Analyse von Pressetexten

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Dieser Artikel ist Teil einer Reihe. Er dient als Einführung in ein Schwerpunktthema, in dem Pressetexte aus sprachwissenschaftlicher Perspektive analysiert werden. Die Einzelbeiträge der Reihe finden Sie weiter unten.

Watercolor-Werning.png Die Analyse von Pressetexten wird in der Sprachwissenschaft genutzt, um sichtbar zu machen, wie gesamtgesellschaftlich relevante Themen in einer Sprachgemeinschaft (z. B. Deutschland) verhandelt werden. Dabei geraten bevorzugt Texte und Äußerungen von Akteur*innen aus Politik (z. B. Umweltminister*innen) und Gesellschaft (z. B. Aktivist*innen wie Greta Thunberg), aber auch aus der Öffentlichkeit (in Leser*innenbriefen oder Social Media) in den Blick. Wenn bestimmte ikonisch gewordene Bilder häufig auf Start- und Frontseiten auftauchen oder eingängige Schlagwörter oft in Schlagzeilen genutzt werden, liegt es nahe, zu vermuten, dass diese die öffentliche Wahrnehmung des Problemkomplexes Klimawandel prägen. Dass das nicht immer ausreicht, beklagt beispielsweise der taz-Autor Heiko Werning, als bei der Mehrheit der Gesellschaft trotz der apokalyptisch anmutenden Fotos der Waldbrände in Kalifornien kein Umdenken in Hinblick auf den Klimawandel stattfindet.[1] Und trägt damit natürlich zur weiteren öffentlichen Meinungsbildung im Rahmen von Pressetexten bei.

Solchen Dynamiken des gesamtgesellschaftlichen Sprechens (und Wissens) mithilfe der Pressetextanalyse auf die Spur zu kommen ist ein zentrales Anliegen der linguistischen Diskursanalyse.

Relevanz massenmedialer Berichterstattung in der Gesellschaft und als Analyseobjekt

Das Aufkommen neuer Kommunikationsmöglichkeiten durch die Entwicklung des Internets steht zunehmend im Fokus von Fragen der sprachwissenschaftlichen Diskursanalyse. Während sich ältere Untersuchungen vor allem auf schriftsprachliche Texte bestimmter zentraler Presseorgane beziehen,[2][3] rücken zunehmend auch Social Media und eine multimodale Perspektivierung von Massenmedien ins Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dennoch ist die Bedeutung der historisch länger etablierten Massenmedien nicht zu unterschätzen. So argumentieren die Kulturwissenschaftlerin Clara S. Thompson und der Politikwissenschaftler Max Goldenbaum in Bezug auf die Fridays for Future-Bewegung:

Obwohl ihre Anliegen und Narrative auch durch soziale Medien in die Öffentlichkeit gebracht werden können, versprechen sie nicht die gleiche Reichweite wie Massenmedien. Da die Massenmedien aktive Mitgestalter der Erzählung über die Klimakrise sind, sind soziale Bewegungen davon abhängig, dass ihre Themen in die Medien gebracht werden. Massenmedien bestimmen maßgeblich mit, welche Geschichten sich durchsetzen, und können dadurch die Meinung von Medienrezipient_innen beeinflussen. Diese können dann durch ihre Rolle als Wähler_innen, Konsument_innen oder Unterstützer_innen entsprechende Reaktionen in der Politik und Wirtschaft hervorrufen.[4]

Insofern bleibt eine Analyse zentraler Presseorgane und ihrer Online-Ableger wie beispielsweise des Magazins Der Spiegel oder der Süddeutschen Zeitung unverzichtbar, möchte man herausarbeiten, inwiefern und inwieweit größere Problemkomplexe wie der Klimawandel durch die Gesellschaft wahrgenommen und angegangen werden.

Sprachwissenschaftliche Analyse von Pressetexten

Die Etablierung der Pressetextanalyse als zentralem Zugang zu gesellschaftlichem Wissen durch die Sprachwissenschaft hat eine Vielzahl methodischer Ansätze hervorgebracht, die sich je nach thematischem Schwerpunkt oder ausgewähltem Korpus richten. Um die wachsende Methodenvielfalt zu überblicken, entstehen inzwischen auch wissenschaftliche Übersichtsartikel, die die einzelnen Ansätze zu einem kohärenten methodischen Vorgehen zusammenführen. Ein Beispiel dieser Bemühungen stellt die Untersuchung Andreas Gardts dar, der die einzelnen Ansätze den drei folgenden Leitperspektiven auf Textanalysen unterordnet.[5]

Kommunikativ-pragmatischer Rahmen

Eine Analyse beginnt üblicherweise mit einer kurzen Charakterisierung des untersuchten Presseorgans. In einer modernen Mediengesellschaft ist es für die Sprachbenutzer*innen selbstverständlich, zum Beispiel Zeitungen ein bestimmtes Ethos zuordnen zu können, oder alltagssprachlicher ausgedrückt: Ein bestimmtes Image, das im Wechselspiel zwischen dem Presseorgan und ihren Rezipient*innen gewachsen ist. Das heißt, es werden bestimmte Erwartungen an eine Zeitung herangetragen, und sowohl die Bestätigung als auch die Hinterfragung dieser Erwartungen ist aus linguistischer Sicht interessant. In jedem Falle aber rahmt bereits dieses Wissen auf Produzierenden- und Rezipierendenseite die in den Zeitungen verhandelten Inhalte ein.[6][7]

Übersicht über die drei Ebenen des textsemantischen Analyserasters nach Gardt[8] mit Beispielen

Textuelle Makrostruktur

Makrostrukturelle Beobachtungen bilden vereinfacht ausgedrückt den ersten Eindruck ab, den sich Rezipierende über einen Text verschaffen. Sie basieren auf Beschreibungen von Themenentfaltungen, die sich anhand von Titeln und Untertiteln, Bildern und ihren Bildunterschriften sowie dem Layout ganzer Seiten oder auch ganzer Zeitungen/Websites nachvollziehen lassen – ist ein Text eher darstellend/berichtend oder meinungsbildend/argumentierend? Die zeitliche Abfolge, in der bestimmte Themen in einem Presseorgan auftauchen und sich weiterentwickeln, spielt hierbei ebenfalls eine zentrale Rolle – bis hin zum konkreten Veröffentlichungszeitpunkt bei Online-Publikationen: Ist es für den Text zentral, möglichst zeitnah zum berichteten Ereignis zu erscheinen, oder wird eher später, dafür aber vielschichtiger/reflektierter berichtet?[9][10]

Textuelle Mikrostruktur

Auf der Mikroebene der Texte können vielfältigste Sprachmuster auffallen. Für den Klimawandeldiskurs können aufgrund der Komplexität des Themas zum Beispiel Metaphern und ikonisch gewordene (so genannte Schlag-)Bilder im Vordergrund einer Analyse stehen, mit denen dieses Phänomen greifbar gemacht wird – so vermittelt eine Abbildung der Erde als ein trauriges Gesicht mit Thermometer im Mund das Konzept Klimawandel als Krankheit oder ein hungernder Eisbär wird als Verweis auf das problematische Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt genutzt. Aber auch mehr oder weniger implizite Argumentationsmuster können sich zeigen, wenn beispielsweise durch die häufige oder bevorzugte Nutzung zentraler Schlagwörter bestimmte Maßnahmen gegenüber anderen als dringlicher perspektiviert werden. Je nach dem, ob der Problemkomplex als Klimawandel, Klimakrise oder Klimakatastrophe beschrieben wird, erscheinen bestimmte politische Maßnahmen als angebracht oder übertrieben.[11][12]

Einzelbeiträge der Reihe „Analyse von Pressetexten“

Belege

  1. Werning, Heiko (2020): Alle mal wegschauen. In: taz. Online, zuletzt abgerufen am 12.05.2021.
  2. Kalwa, Nina (2013): Das Konzept »Islam«. Eine diskurslinguistische Untersuchung. Berlin/Boston: De Gruyter.
  3. Lautenschläger, Sina (2017): Geschlechtsspezifische Körper- und Rollenbilder. Eine korpuslinguistische Untersuchung. Berlin/Boston: De Gruyter.
  4. Goldenbaum, Max/Thompson, Clara S. (2020): Fridays for Future im Spiegel der Medienöffentlichkeit. In: Haunss, Sebastian/Sommer, Moritz (Hrsg.): Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel. Konturen der weltweiten Protestbewegung, Bielefeld: transcript, S. 184.
  5. Gardt, Andreas (2013): Textanalyse als Basis der Diskursanalyse. Theorie und Methoden. In: Felder, Ekkehard (Hrsg.): Faktizitätsherstellung in Diskursen. Die Macht des Deklarativen, Berlin/New York: De Gruyter, S. 29-55.
  6. Reszke, Paul (2013): Wissensdynamik in der Mediengesellschaft. Der Diskurs über Schulamokläufe. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 68-70.
  7. Tereick, Jana (2016): Klimawandel im Diskurs. Multimodale Diskursanalyse crossmedialer Korpora. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 109-128.
  8. Gardt, Andreas (2013): Textanalyse als Basis der Diskursanalyse. Theorie und Methoden. In: Felder, Ekkehard (Hrsg.): Faktizitätsherstellung in Diskursen. Die Macht des Deklarativen, Berlin/New York: De Gruyter, S. 29-55.
  9. Reszke, Paul (2013): Wissensdynamik in der Mediengesellschaft. Der Diskurs über Schulamokläufe. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 68-70.
  10. Tereick, Jana (2016): Klimawandel im Diskurs. Multimodale Diskursanalyse crossmedialer Korpora. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 109-128.
  11. Reszke, Paul (2013): Wissensdynamik in der Mediengesellschaft. Der Diskurs über Schulamokläufe. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 68-70.
  12. Tereick, Jana (2016): Klimawandel im Diskurs. Multimodale Diskursanalyse crossmedialer Korpora. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 109-128.



Autor*innen

Erstfassung: Paul Reszke am 11.05.2021. Den genauen Verlauf aller Bearbeitungsschritte können Sie der Versionsgeschichte des Artikels entnehmen; mögliche inhaltliche Diskussionen sind auf der Diskussionsseite einsehbar.

Zitiervorlage:
Reszke, Paul (2021): Analyse von Pressetexten. In: Böhm, Felix; Böhnert, Martin; Reszke, Paul (Hrsg.): Climate Thinking – Ein Living Handbook. Kassel: Universität Kassel. URL=https://wiki.climate-thinking.de/index.php?title=Analyse von Pressetexten, zuletzt abgerufen am 29.03.2024.