Benutzer: Serhat Dal/Werkstatt: Unterschied zwischen den Versionen

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== Begriffliche Problembeschreibung: Globale Erderwärmung, Klimawandel oder Klimakrise? ==
  
'''Tatsachenbegriff von Searle'''
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Dieser Artikel beschäftigt sich mit Schwierigkeiten der begrifflichen Problembeschreibung der globalen Erwärmung und ähnlicher Phänomene anhand der beiden Begriffspaare „globale Erderwärmung“/„Klimawandel“ und „Klimawandel“/„Klimakrise“.
  
Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem sprachphilosophischen Begriff der Tatsache, wie er vor allem durch den Philosophen John Searle geprägt wurde.
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== Begriffliche Problembestimmung und problematische Begriffsbestimmung ==
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Der Umgang mit den Veränderungen des Klimas stellt die Gesellschaft neben allen anderen auch vor die sprachliche Herausforderung einer begrifflichen Problembeschreibung. Im deutschsprachigen Raum konkurrieren mindestens drei Begriffe miteinander: Während von der globalen „Erderwärmung“ bereits in den 1990er Jahren gesprochen wird, lässt sich zeigen, dass die Rede vom „Klimawandel“ in den frühen 2000er Jahren immer häufiger wird und spätestens seit 2015 rasant zunimmt. Ebenfalls ab dem Jahr 2015 beginnt man in Zeitungen auch den Begriff „Klimakrise“ zur Problembeschreibung zu verwenden, seit 2019 erstmals häufiger als „Erderwärmung“.<ref>Vgl. {{Quellen-Lexika|Lemma= Wortverlaufskurve für „Erderwärmung · Klimawandel · Klimakrise |Autorin= |Herausgeberin= |Nachschlagewerk=Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache |Band= |Ort= |Verlag= |Jahr= |Seite= |Website= |Online= https://www.dwds.de/r/plot/?view=1&corpus=zeitungenxl&norm=date%2Bclass&smooth=spline&genres=0&grand=1&slice=1&prune=0&window=3&wbase=0&logavg=0&logscale=0&xrange=2000%3A2022&q1=Erderw%C3%A4rmung&q2=Klimawandel&q3=Klimakrise |Abruf=04.03.2023 }}</ref>
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[[Datei: Wortverlaufskurve.png|thumb|Wortverlaufskurve]]
  
'''Rohe und institutionelle Tatsachen'''
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Vor diesem Hintergrund lässt sich fragen, welche Rolle die Sprache in der Klimadebatte hat und ob es einen Unterschied macht, das Phänomen als Klimawandel, Klimakrise oder doch als globale Erderwärmung zu beschreiben.  Ein sich wandelnder Sprachgebrauch ist nichts Ungewöhnliches, doch dass verschiedene Interessensgruppen jeweils normativ eingreifen, lässt sich als Anzeichen dafür erachten, dass der begrifflichen Bestimmung eine hohe Relevanz zugeschrieben wird: So rät beispielsweise der Meinungsforscher und Politikberater Frank Luntz schon 2002 beim US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf George W. Bush dazu, den Begriff „climate change“ (Klimawandel), statt „global warming“ (globale Erwärmung) zu benutzen und die Fridays for Future-Bewegung (kurz: FFF) bestärkt und bekräftigt hingegen den Begriff der „Klimakrise“ anstelle von „Klimawandel“ zu verwenden.
  
Searle stellt sich die Ausgangsfrage, was an einem 50-Dollar-Schein diesen zu Geld macht, denn hierzu seien dessen physischen Beschaffenheiten eher irrelevant (vgl. Searle 1999, S. 112). Geld wird von ihm neben, Heirat oder Präsidenten der Vereinigten Staaten als beispielhaft für eine Kategorie unserer Realität angeführt, die dadurch konstituiert wird, dass wir sie für das jeweils Entsprechende erachten, die folglich „nur deshalb existiert, weil wir denken, dass sie existiert“  (Searle 2006, S. 13). Searle bezeichnet diese Kategorie als institutionelle Tatsachen (institutional facts) und grenzt diese von rohen Tatsachen (brute facts) ab. Als rohe Tatsachen beschreibt Searle Tatsachen, wie Schnee auf dem Mount Everest oder, dass die Sonne dreiundneunzig Millionen Meilen von der Erde entfernt ist (vgl. Searle 1999, S. 123). Um seine Unterscheidung klarer zu machen, führt Searle das Konzept der Beobachtungsabhängigkeit bzw. -unabhängigkeit ein. Charakteristisch für rohe Tatsachen ist es nach Searle, dass sie unabhängig davon sind, ob sie von Menschen – in einem sehr weiten Sinne – beobachtet oder wahrgenommen werden: Gäbe es keine Menschen mehr, würde die Landform, die wir heute Mount Everest nennen, dennoch in der Welt existieren. Die Frage, was einen Berg ausmacht und wann etwa ein Tal anfängt, also kurzgesagt, inwiefern Menschen beginnen eine Landform als Berg zu bestimmen, ist hingegen ein bspw. geologisches Gegenstandsfeld, das wiederum beobachtungsabhängig ist. Alle Aspekte des „Mount Everest“ als kartographierte Landform, dessen Erhebung anhand seiner Höhe über dem Meeresspiegel beschrieben wird, fallen entsprechend in den Bereich institutioneller Tatsachen. Für institutionelle Tatsachen ist es konstituierend, dass Sie beobachtungsabhängig sind, als nur aus dem Grund in der Welt existieren, weil sie in einem sehr breiten Sinne von Menschen beobachtet oder wahrgenommen werden: Gäbe es keine Menschen mehr auf der Welt, dann würde der 50-Dollar-Schein als gesellschaftliche Übereinkunft nicht mehr existieren, sondern nur noch ein bedrucktes Stück Papier sein.
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Wenn die Unterscheidung aus verschiedenen Perspektiven als wichtig erachtet wird, lässt sich auch fragen, auf welcher Ebene die sprachlichen Anpassungen Auswirkungen haben: Geht es um eine präzisere bzw. angemessenere Beschreibung des Phänomens in einer erkenntnistheoretischen Hinsicht oder eher mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung und damit auch um den gesellschaftlichen und individuellen Umgang mit dem Phänomen.  
  
Zusammenfassend kann man sagen, rohe Tatsachen „sind in der Welt“ und institutionelle Tatsachen werden erst „in der Welt erschaffen“, weil wir als Kollektiv daran glauben.
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=== Klimawandel und Klimakrise ===
Im Folgenden soll es darum gehen, darzulegen, wie Searle das Zustandekommen institutioneller Tatsachen erklärt, und zwar als ontologisch subjektive Phänomenen – d. h., dass diese nur aufgrund unseres subjektiven Dafürhaltens in der Welt existieren –, die aber gleichzeitig objektiv erfahrbar und erforschbar sind, weil sie eine kausale Wirkung auf die Welt haben – bspw. wenn ein bestimmtes Arial als Naturschutzgebiet deklariert wird und damit dessen Nutzung erheblichen Einschränkungen unterliegt.
 
  
'''Drei Voraussetzungen institutioneller Tatsachen'''
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Schon 2019 hat die britische Zeitung „The Guardian“ die redaktionellen Sprachregeln geändert und empfiehlt den Begriff „climate crisis“ in journalistischen Texten<ref>Vgl.  {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Carrington, Damian|Titel=Why the Guardian is changing the language it uses about the environment|Zeitung=The Guardian|Datum=17.05.2019|Online=https://www.theguardian.com/environment/2019/may/17/why-the-guardian-is-changing-the-language-it-uses-about-the-environment|Abruf=08.06.2022}}</ref>, inspiriert von der Klimaaktivistin Greta Thunberg und der FFF-Bewegung, um die gegenwärtige Entwicklung „akkurater“<ref>{{Quellen-Zeitung|Autor*in=The Guardian |Titel=Guardian and Observer style guide |Datum=30.04.2021 |Online=https://www.theguardian.com/guardian-observer-style-guide-c |Abruf=27.02.2023 }}</ref> darzustellen.
  
Searle erachtet für das Konzept institutioneller Tatsachen drei Elemente als notwendig, nämlich kollektive Intentionalität, Funktionszuweisungen und konstitutive Regeln. Alle drei müssen nicht aufeinanderfolgend, sondern gemeinsam erfüllt werden.  
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Als die damals 15-jährige Greta Thunberg im August 2018 beschloss, die Schulpflicht für drei Wochen auszusetzen hat sich die Idee für das Klima zu streiken in der ganzen Welt verbreitet. 2019 organisierte u. a. die Studentin Luise Neubauer in verschiedenen deutschen Städten die ersten deutschen Schulstreiks.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Sontheimer, Leonie|Titel=Fridays for Future: Die Strategin|Zeitung=Die Zeit|Datum=2019|Online=https://www.zeit.de/campus/2019-02/fridays-for-future-luisa-neubauer-organisatorin-demonstration-schueler-klimaschutz|Abruf=09.06.2022}}</ref> Mehr als 300.000 Schüler*innen aus mehr als 230 Städten nahmen nach Angaben der Organisator*innen am ersten „Global Climate Strike for Future“ teil, der von FFF am 15. März 2019 einberufen wurde.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Staude, Jörg |Titel=300.000 bei "Fridays for Future" in Deutschland |Zeitung=Klimareporter |Datum=2019 |Seite= |Online=https://www.klimareporter.de/protest/300-000-bei-fridays-for-future#!Greta_am_15.03. |Abruf=08.06.2022 }}</ref> Das Engagement junger Menschen für das Klima ist rasant gewachsen. Die Proteste weiteten sich stetig aus, gefolgt von einer der größten Demonstrationen der Bewegung in Deutschland am 20. September 2019. Rund 1,4 Millionen Menschen an 575 Orten in Deutschland folgten nach Angaben der Veranstalter*innen dem Aufruf zu Demonstrationen.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Wüstenberg, Daniel |Titel=Greta begeistert: "Unglaublich, ein historischer Tag" – aktuell Straßenblockaden in mehreren Städten |Zeitung=STERN.de |Datum=20.09.2019 |Seite= |Online=https://www.stern.de/politik/klimastreik-und--fridays-for-future---der-grosse-protesttag-8912750.html |Abruf=08.07.2022 }}</ref>
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Dabei ist Greta Thunberg ein Vorbild für die weltweiten Streiks. Um ihre Ziele zu erreichen, reiste sie in viele Länder, wird von der internationalen Politik gehört und sprach persönlich mit dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem Papst und verschiedenen UN-Politiker*innen und nahm am Weltwirtschaftsforum in Davos teil. Ihr Motto lautet: „Why should I be studying for a future that soon may be no more, when no one is doing anything to save that future?“.<ref>{{Quellen-Zeitung|Autor*in=Carrington, Damian|Titel='Our leaders are like children,' school strike founder tells climate summit|Zeitung=The Guardian|Datum=04.12.2018|Online=https://www.theguardian.com/environment/2018/dec/04/leaders-like-children-school-strike-founder-greta-thunberg-tells-un-climate-summit|Abruf=08.06.2022}}</ref>
  
'''Kollektive Intentionalität'''
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Denn fest steht, dass im Jahr 2021 Europa den wärmsten Sommer seit den Wetteraufzeichnungen 1979 erlebte.<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in=Copernicus Climate Change Service|Titel=European State of the Climate 2021|Website=climate.copernicus.eu|Jahr=2021|Online=https://climate.copernicus.eu/sites/default/files/2022-07/ESOTCsummary2021_static.pdf|Abruf=07.06.2022}}</ref> In den vergangenen Jahren wurde das durch Überschwemmungen, Stürme, [[Berichterstattung über die Waldbrände in Kalifornien 2020|Hitzewelle]], und Dürren immer deutlicher und auch das Abschmelzen der Polkappen und vieler Gletscher sowie der Anstieg des Meeresspiegels<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in= Bundesregierung|Titel= Welche Auswirkungen hat der Klimawandel|Jahr=2019|Online=https://www.bundesregierung.de/bregde/themen/klimaschutz/auswirkungen-klimawandel-1669160| Abruf=24.09.2022 }}</ref> haben bereits Auswirkungen auf Natur und Gesellschaft – im globalen Norden wie auch im globalen Süden.
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Aufgrund von Nahrungsmittelknappheit, Wassermangel, Krankheiten und Landflucht tragen die ärmsten Entwicklungsländer die Hauptlast des Klimawandels, was verdeutlicht, dass die Zusammenhänge von Verursachung und Auswirkung räumlich und zeitlich verschwimmen.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Wallacher, Johannes|Titel=Klimaschutz nicht auf Kosten der Ärmsten|Zeitung=Deutschlandfunkkultur|Datum=2009|Online=https://www.deutschlandfunkkultur.de/klimaschutz-nicht-auf-kosten-der-aermsten-100.html|Abruf=08.06.2022 }}</ref>
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Die Menschheit befindet sich derzeit auf einem Emissionspfad, der je nach Modellrechnung die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts um mehrere Grade Celsius ansteigen lassen könnte, wenn nicht gezielt reagiert wird. Dann ist ein sogenannter Kipppunkt (englisch: „tipping point“) erreicht, an dem es zu irreversiblen Schäden kommt und der stabile Klimazustand bald abrupt endet.<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in=Reske, Vanessa; Puttfarcken, Lena|Titel=Vier tickende Zeitbomben, die unser Klima radikal verändern würden|Website=Quarks|Jahr=30.09.2021|Seite=|Online=https://www.quarks.de/umwelt/klimawandel/diese-4-kippelemente-beschleunigen-die-klimaerwaermung/|Abruf=08.06.2022}}</ref>
  
Um kollektive Intentionalität in ihrer Rolle als Voraussetzung institutioneller Tatsachen zu beschreiben, muss zuerst geklärt werden, was Intentionalität selbst bedeutet. Man kann Intentionalität allgemein als die Art und Weise verstehen, wie sich der Geist auf die Welt bezieht (vgl. Lutz 2015, S. 664), etwa indem jemand etwas hofft, wünscht, befürchtet oder behauptet.
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Die FFF-Bewegung möchte deshalb u. a. das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 erfüllen, die Erderwärmung auf maximal 1,5°C zu begrenzen. Viele Wissenschaftler*innen zweifeln daran, dass das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen ist<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in= Ehring, Georg|Titel= Klimawandel - Das 1,5-Grad-Ziel könnte schon bis 2026 überschritten werden|Zeitung= Deutschlandfunk.de|Datum= 2022|Online= https://www.deutschlandfunk.de/ein-komma-fuenf-grad-ziel-klimawandel-wmo-100.html|Abruf=09.06.2022 }}</ref>, da hierzu umgehend Maßnahmen in Form von massiven Emissionsminderungen ergriffen oder Wege entwickelt werden, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu extrahieren. Deswegen fordern die FFF  unmittelbar vor der Aufnahme der Koalitionsgespräche zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP im Oktober 2021 konkret für die Regierung in Deutschland die Verabschiedung eines 1,5 Grad konformen CO₂-Budgets, einen Erdgasausstieg bis 2035, Kohleausstieg bis 2030, versiebenfacht schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien, radikale und gerechte Mobilitätswende, 14 Milliarden Euro pro Jahr für internationale Klimafinanzierung.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Andreoli, Josephine|Titel=Sechs Forderungen an die nächste Regierung: Fridays for Future setzen Politiker unter Druck|Zeitung=watson|Datum=20.10.2021|Online=https://www.watson.de/nachhaltigkeit/vor%20ort/222059535-sechs-forderungen-an-die-naechste-regierung-fridays-for-future-setzen-politiker-unter-druck|Abruf=09.06.2022}}</ref> Kritiker äußern ihre Bedenken hinsichtlich möglicher Einschränkungen für die „Energiewirtschaft, Industrie, Gebäudesektor und Landwirtschaft“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Sommer, Moritz; Rucht, Dieter; Haunss, Sebastian; Zajak, Sabrina |Titel=Fridays for Future. Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland |Zeitschrift= ipb working papers|Jahr=2019|Online=https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/2019_ipb_FridaysForFuture.pdf |Abruf=07.09.2022|Seite=2  }}</ref> sowie für Bürger*innen und Lobbygruppen. Dieser Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und ökologischen Aspekten erfordert eine bewusste Auseinandersetzung und gezielte Handlungsansätze zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.
Kollektive oder geteilte Intentionalität meint dann, gemeinsam etwas zu hoffen, wünschen, befürchten oder behaupten und somit das Teilen von Hoffnungen, Wünschen, Befürchtungen oder Behauptungen mit anderen Individuen. Searle unterscheidet entsprechend zwischen individueller Intentionalität der Form „I intend“ und kollektiver Intentionalität der Form „we intend“ (Searle 1999, S. 118) und geht davon aus, dass kollektive Intentionalität nicht auf individuelle Intentionalität reduziert werden kann
 
Searle verdeutlicht seine Überzeugung an einem Beispiel: In einem Orchester, das eine Symphonie spielt, beabsichtigt jedes Orchestermitglied die eigene Rolle individuell zu spielen. Gleichzeitig gäbe es jedoch die geteilte Absicht des gesamten Orchesters, gemeinsam die Symphonie zu spielen: „Even if by chance the individual members were all rehearsing their parts in a way that happened to be synchronized, so that it sounded like the symphony, there is still a crucial difference between the intentionality of collective cooperative behavior and that of individual behavior“ (Searle 1999, S. 120). Dieses Beispiel sei übertragbar und gelte auch für Fußballmannschaften oder politische Versammlungen, das heißt wenn Menschen Hoffnungen, Wünschen, Befürchtungen oder Behauptungen miteinander teilen, ist dies ein Anzeichen kollektiver Intentionalität.
 
  
'''Funktionszuweisung'''
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Umso wichtiger ist hier die präzise Sprache zur Benennung des Phänomens. Der Umweltwissenschaftler Nils Meyer-Ohlendorf betont, dass der Begriff „Klimawandel“ die anthropogene Implikation nicht berücksichtigt, sondern ein Narrativ eines natürlichen Prozesses unterstütze.  Meyer-Ohlendorf schlägt deshalb den Begriff „Klimakrise“<ref>{{Quellen-Zeitung|Autor*in=Meyer-Ohlendorf, Nils|Titel=Framing-Check: "Klimawandel". Dieser Begriff ist ein Sieg für alle, die nichts verändern wollen|Zeitschrift=Süddeutsche Zeitung|Jahr=2018|Online=https://www.sueddeutsche.de/kultur/framing-check-klimawandel-begriff-1.4252824|Abruf=05.08.2022}}</ref> vor. Auch die britische Zeitung „The Guardian“ teilt wie erwähnt diese Ansicht und benutzen ab 2019 den Begriff „climate crisis“, statt „climate change“ - mit der Begründung, dass Klimawandel zu „passiv und sanft“<ref> {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Carrington, Damian|Titel=Why the Guardian is changing the language it uses about the environment|Zeitung=The Guardian|Datum=17.05.2019|Online=https://www.theguardian.com/environment/2019/may/17/why-the-guardian-is-changing-the-language-it-uses-about-the-environment|Abruf=08.06.2022}}</ref> klinge.
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=== Globale Erderwärmung und Klimawandel ===
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Wie erwähnt, lassen sich Maßnahmen einer normativen Sprachanpassung hinsichtlich der Bezugnahme auf die Erwärmung der Atmosphäre bereits im US-Präsidentschaftswahlkampf 2002 ausmachen. Dabei ist die Beziehung der Begriffe „global warming“ und „climate change“ zentral: Der Journalist Oliver Burkeman konstatiert, der frühere Präsident George W. Bush habe in seinen Reden vor dem Jahr 2002 den Begriff „global warming“ noch häufig verwendet, ab 2002 aber kaum noch, was Burkeman auf die politische Beratung des Meinungsforschers Luntz zurückführt.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Burkeman, Oliver|Titel=Memo exposes Bush's new green strategy|Zeitung=The Guardian|Datum=04.03.2003|Online=https://www.theguardian.com/environment/2003/mar/04/usnews.climatechange|Abruf=9. Juni 2022}}</ref>
  
Als zweite Bedingung nennt Searle die Funktionszuweisung. Man kann Dingen Funktionen zuschreiben und somit etwas als etwas anderes benutzen, etwa einen Gegenstand aus Metall, um damit einen Nagel einzuschlagen, oder einen langen Stock, um eine Banane zu erreichen. Searle meint, dass die erste Ebene einer Funktionszuweisung auf einer intrinsischen Funktionalität basiert: man kann Dinge aufgrund bestimmter physikalischer Eigenschaften eine Funktion zuweisen, bspw. aufgrund der Beschaffenheit des Gegenstandes aus Metall und nicht aus Glass. Funktionszuschreibungen sind nach Searle immer beobachtungsabhängig, da zwar ihre physikalische Beschaffenheit Voraussetzung für die zugeschriebene Funktion ist, welche Funktion dem Objekt jedoch zugeschrieben wird, hängt von den Benutzer*innen ab. Man stelle sich einen Stuhl vor, so Searle: Dieser habe eine bestimmte Masse, Form und Molekularstruktur, die beobachtungsunabhängig ist. Die Funktionszuweisung jedoch, dass dieser Gegenstand gut dazu taugt, darauf zu sitzen, ist beobachtungsabhängig – man könnte ihm aufgrund seiner physikalischen Beschaffenheit auch die Funktion eines Tisches, Tritthockers oder Briefbeschwerers zuschreiben (vgl. Searle 1999, S. 116). Ein weiteres Beispiel das Searle anbringt, ist, dass wir dem Herzen die Funktion zuschreiben, Blut zu pumpen, weil wir davon ausgehen, das Pumpen von Blut dem Leben und dem Überleben dient und damit ist diese Funktion, wie oben erwähnt, auch abhängig von dieser Annahme und dementsprechend beobachtungsabhängig in einem weiten Sinne (vgl. Searle 1999, S. 123).
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Luntz ist auf den Einfluss sprachlicher Mittel bei der öffentlichen Meinungsbildung spezialisiert. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer*innen sowie deren positive oder negative emotionale Reaktionen auf vermittelte Inhalte sei Luntz zufolge stark von sprachlichen Entscheidungen abhängig. So hält Luntz in seinem 2007 erschienenen Buch fest, dass die wirksamste politische Rhetorik durch Wiederholung, Konsistenz, einfache, klare Sprache, einprägsame Phrasen und kurze Sätze gekennzeichnet ist.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Luntz, Frank|Titel=Words that work: It’s not what you say, it’s what people hear|Ort=New York|Verlag=Hyperion|Jahr=2007|Seite=16}}</ref> Nach Ansicht von Luntz kann ein einziges Wort ein Thema einrahmen ([[Frame-Semantik|frame]]) und bei den Wähler*innen positive oder negative Assoziation im Kopf erwecken. Deswegen ist es nach Luntz weniger wichtig, ob eine Aussage zutrifft oder nicht, sondern dass die diese vermittelnde Geschichte emotional überzeugt:
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<blockquote>„A compelling story, even if factually inaccurate, can be more emotionally compelling than a dry recitation of the truth“.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Luntz, Frank|Titel=The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America|Online=https://www.sourcewatch.org/images/4/45/LuntzResearch.Memo.pdf|Abruf=01.08.2022, S.132 |Jahr=2002}}</ref></blockquote>
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Luntz zufolge hänge die Meinung der Menschen zur Klimapolitik u. a. davon ab, ob sie glauben, dass Einigkeit unter den Expert*innen über die vom Menschen verursachte globale Erwärmung herrscht oder nicht.<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in=Luntz, Frank|Titel=The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America|Online=https://www.sourcewatch.org/images/4/45/LuntzResearch.Memo.pdf |Jahr=2002|Abruf=01.08.2022, S.132}}</ref>
  
'''Konstitutive Regeln'''
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In einem Memo an Präsident George W. Bush aus dem Jahr 2002 mit dem Titel „The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America“ rät Luntz entsprechend dazu, die wissenschaftliche Einigkeit über die globale Erwärmung in Zweifel zu ziehen, da ansonsten die Debatte über die globale Erwärmung für die republikanische Partei verloren sei und damit eine Wahlniederlage bevorstünde:„Voters believe that there is no consensus about global warming within the scientific community. Should the public come to believe that the scientific issues are settled, their views about global warming will change accordingly. […] The scientific debate is closing [against us] but not yet closed. There is still a window of opportunity to challenge the science”.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Luntz, Frank|Titel=The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America|Online=https://www.sourcewatch.org/images/4/45/LuntzResearch.Memo.pdf |Jahr=2002|Abruf=01.08.2022, S.137-138}}</ref>
  
Die dritte Voraussetzung für institutionelle Tatsachen ist für Searle das Aufstellen konstitutiver Regeln. Searle unterscheidet konstitutive Regeln von regulierenden Regeln. Regulierende Regeln regulieren einen bestimmten Ablauf oder zuvor vorherrschende Verhaltensweisen. Die Regel der Straßenverkehrsordnung etwa, die besagt, dass in Deutschland auf der rechten Fahrbahnseite zu fahren ist, ist insofern regulierend, als sie ein bereits bestehendes Verhalten – das Fahren auf der Fahrbahn reguliert. Nicht alle Regeln sind regulativ, denn es gibt auch sogenannte konstitutive Regeln, die nicht nur regulieren, sondern konstituieren. Searle verdeutlicht den Unterschied anhand des Beispiels der Schachregeln. Schachregeln regulieren nicht ein bestehendes Verhalten, bei dem Personen Holzstücke auf einem Brett herumschieben, sondern bestimmen grundlegend, welche Spielfigur, welche Funktion hat, wie diese gezogen werden kann und was den Beginn und das Ende einer Partie bestimmt. Ohne diese Regeln kann nicht von einem Schachspiel die Rede sein, weshalb diese Regeln konstitutiv für Schach sind: Erst wenn bestimmte Regeln berücksichtigt werden und Abläufe passieren, kann man von Schach spielen reden (vgl. Searle 1999, S. 123).
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Immer wieder betont Luntz, dass man auf die vermeintliche Unsicherheit in der Klimaforschung bzw. in der Wissenschaft im Kontext der globalen Erwärmung hinweisen solle ungeachtet des Umstandes, dass ein Konsens zwar ein politisches, nicht aber ein wissenschaftliches Kriterium ist – um damit den Eindruck zu erwecken, dass innerhalb der wissenschaftlichen Debatte Uneinigkeit über den Ursprung der Erderwärmung herrsche: „Continue to make the lack of scientific certainty a primary issue in the debate”<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Luntz, Frank|Titel=The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America|Online=https://www.sourcewatch.org/images/4/45/LuntzResearch.Memo.pdf |Jahr=2002|Abruf=01.08.2022, S. 137}}</ref> oder: „The most important principle is your commitment to sound science“.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Luntz, Frank|Titel=The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America|Online=https://www.sourcewatch.org/images/4/45/LuntzResearch.Memo.pdf|Jahr=2002|Abruf=01.08.2022, S.138}}</ref>
Searle fasst diese konstitutiven Regeln in der Formel „X zählt als Y in (Kontext) K“ zusammen: „In the context of a chess game, such-and-such a move on the part of a certain shape of piece counts as a move by the knight. Such-and-such a position on the board counts as a check-mate“ (Searle 1999, S. 124).
 
  
'''Ein Modell institutioneller Tatsachen'''
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Diese Strategie stützt er durch seine bekannte sprachliche Empfehlung, den Begriff „Klimawandel“ anstelle von „globaler Erwärmung“ zu verwenden: „Globale Erwärmung“ impliziere die Notwendigkeit schnellen Handelns, aufgrund der erschreckenden Konnotationen des Wortes, wohingegen „Klimawandel“ eher eine überschaubarere und weniger emotionale Herausforderung bedeute: <blockquote>„It’s time for us to start talking about ‘climate change’ instead of global warming [...]. ‘Climate change’ is less frightening than ‘global warming’ ”.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Luntz, Frank|Titel=The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America|Online=https://www.sourcewatch.org/images/4/45/LuntzResearch.Memo.pdf|Jahr=2002|Abruf=01.08.2022, S.142}}</ref></blockquote>
  
Das Vorhandensein der drei genannten Elemente kollektive Intentionalität, Funktionszuweisungen und konstitutive Regeln, erlaubt es nach Searle institutionelle Tatsachen zu erschaffen: In Verbindung mit Funktionszuweisungen erlauben konstitutive Regeln Searle zufolge, das Zustandekommen von Funktionen zweiter Ebene, nämlich unabhängig von ihrer physikalischen Beschaffenheit. Aufrechterhalten wird dieser Status wiederum aufgrund unseres kollektiven Dafürhaltens. Diese kollektiv anerkannten Statusfunktionen sind der Kern institutioneller Tatsachen, d. h. wie oben beschrieben, Tatsachen, die in ihrer Existenz (d. h. ontologisch) beobachtungsabhängig und damit subjektiv sind, jedoch mit Blick auf unser Wissen um sie (d. h. erkenntnistheoretisch) beobachtungsunabhängig und somit objektiv erfahrbar und erforschbar sind. Anhand des Beispiels eines 50-Dollar-Scheins lässt sich dies gut illustrieren.  
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Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass Luntz später bedauerte, die Bush-Regierung in dieser Hinsicht beraten zu haben. Er distanzierte sich von der von ihm zuvor vertretenen Position und wies jede Verantwortung für die Handlungen der Bush-Regierung zurück.<ref>{{Quellen-Zeitung|Autor*in=Hayward, Freddie|Titel=Why Frank Luntz regrets being a populist|Zeitung=New Statesman|Datum=01.06.2022|Online=https://www.newstatesman.com/encounter/2022/06/why-frank-luntz-regrets-being-a-populist|Abruf=05.08.2022}}</ref> In einer Rede vor dem Committee on the Climate Crisis des US-Repräsentantenhauses am 25. Juli 2019 bat Luntz seine Beratungstätigkeit denjenigen an, die an der Bekämpfung der klimatischen Situation arbeiten. Er betonte, dass er sich geirrt, 2001 einen Fehler gemacht und sich verändert habe. Er versprach, den Demokraten im Klimaausschuss zu helfen und an einer parteiübergreifenden Lösung zu arbeiten.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Yoder, Kate|Titel=Frank Luntz, the GOP’s message master, calls for climate action|Zeitung=Grist|Datum=26.07.2019|Online=https://grist.org/article/the-gops-most-famous-messaging-strategist-calls-for-climate-action/|Abruf=08.08.2022}}</ref>
Im Kontrast zu konkreten Tauschmitteln wie Kaffee oder Warengeld wie Gold, hat ein 50-Dollar-Schein keinen Eigenwert, der auf seine Materialität zurückzuführen ist. Gerade dies macht deutlich, dass es sich hierbei um eine institutionelle Tatsache im Sinne Searles handelt: a) es bedarf einer Funktionszuweisung unabhängig der physikalischen Beschaffenheit, da das Papier, aus dem der 50-Dollar-Schein besteht, selbst nicht 50-Dollar entspricht;  b) diese wird entsprechend einer konstitutiven Regel formuliert, die sich auf einen bestimmten Kontext bezieht; und c) es bedarf dem kollektiven Dafürhalten, dass dieses Papier ein 50-Dollar-Schein ist. Das bedeutet, dass sich als Antwort auf die Eingangsfrage, was genau an einem 50-Dollar-Schein, diesen zu Geld macht, sagen lässt, dass das spezifisch bedruckte Papier (X) mit bestimmten Aufdrucken wie dem „Euro-Zeichen“ die Funktion von Geld bzw. Zahlungsmittel (Y) in einem bestimmten Kontext hat, wie der Europäischen Union bzw. den Vorgaben der Europäischen Zentralbank (K). Das Gesetz als konstitutive Regel definiert, was Zahlungsmittel sind und diese Funktion wird dem bedruckten Papier übertragen. Daher gilt die Annahme von Euro-Banknoten beim Kauf bspw. einer Jacke.  
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Obwohl Luntz an die vom Menschen verursachte globale Erwärmung glaubt, verteidigte er im Jahr 2006 seine Aktionen. Er sagte, dass der damalige Stand der Wissenschaft unvollständig war<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Panorama|Titel=Climate chaos: Bush's climate of fear|Zeitung=BBC One|Datum=2006|Online=http://news.bbc.co.uk/1/hi/programmes/panorama/5005994.stm|Abruf=01.08.2022}}</ref> und dass sein Rat weniger beängstigend klingen sollte.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Yoder, Kate|Titel=Frank Luntz, the GOP’s message master, calls for climate action|Zeitung=Grist|Datum=26.07.2019|Online=https://grist.org/article/the-gops-most-famous-messaging-strategist-calls-for-climate-action/|Abruf=08.08.2022}}</ref>
  
'''Klimawandel als rohe und institutionelle Tatsache'''
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== Macht es einen Unterschied, ob wir andere Begriffe benutzen? ==
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Es zeigt sich, dass die begriffliche Problembestimmung ein umkämpftes Feld ist und normative Eingriffe auf den Sprachgebrauch von verschiedenen Seiten vorgenommen werden, also grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass die begriffliche Bezeichnung des Phänomens eine entscheidende Rolle spielt. Aus einer sprachphilosophischen Perspektive lässt sich dieser Gedanke mit der Unterscheidung zwischen [[Tatsache (sprachphilosophisch)|rohen und institutionellen Tatsachen]] besser durchdringen: Während sich die klimatischen Veränderungen rein sachbezogen als rohe Tatsache verstehen lassen, wird die soziale Wirklichkeit und damit die öffentliche Wahrnehmung des Phänomens sprachliche im Sinne von institutionellen Tatsachen geprägt.
  
In der öffentlichen Debatte wird häufig eine (meist naturwissenschaftlich-technische) Perspektive auf den Klimawandel eingenommen, die den Klimawandel als rohe Tatsache begreift. Wenn man wissenschaftliche Tatsachen wie Bruno Latour als Resultate langandauernder „Institutionalisierungsprozesse“ (Latour 2002, S. 381) versteht, dann wird klar, dass der Gegenstand der Naturwissenschaften zwar (häufig) rohe Tatsachen sind, aber jede Form der Beschreibung sie in institutionelle Tatsachen überführt. Denn der Klimawandel kann als soziales Phänomen und gleichzeitig als beobachtungsunabhängiger Prozess verstanden werden, wie im obigen Beispiel, ein Berg für Searle Aspekte der rohen und institutionellen Tatsachen umfasst. Entsprechend ließe sich zwischen rohen und institutionellen Tatsachenaspekten des Klimawandels unterscheiden: Etwa die weltweite bodennahe Lufttemperatur oder das Abschmelzen von Gletschern einerseits als rohe Tatsachenaspekte, „Klima“ als Beschreibung des Zustands der Atmosphäre über einen mindestens 30-jährigen Zeitraum, der Verweis auf die klimatische Veränderung als „Erderwärmung“, „Klimawandel“ oder „Klimakrise“ oder die Forderungen des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 andererseits als institutionelle Tatsachenaspekte. Begreift man Tatsachen wie sie Searle versteht, können institutionelle Tatsachen eindeutig nicht isoliert von rohen Tatsachen betrachtet werden, da Searle argumentiert, dass das Ziel institutioneller Strukturen darin besteht, rohe Tatsachen zu kontrollieren und sie sprachlich und damit gesellschaftlich verankert zu beschreiben. Denn Eine rohe Tatsache macht uns nicht verantwortlich bzw. verpflichtet uns zu nichts, aber als institutionelle Tatsache verleiht sie uns Rechte und erlegt uns Pflichten auf und zwingt uns damit zum Handeln (vgl. Searle 1999, S. 131).  
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Klimawandel, Klimakrise oder globale Erwärmung: Es gibt viele Worte für die begriffliche Problembeschreibung im öffentlichen Diskurs. Die Forschung hierzu wird hauptsächlich in der [[Sprachwissenschaft|Linguistik]] und den kognitiven Wissenschaften der Psychologie durchgeführt, dabei ist die genaue Beziehung zwischen Sprache und Bewusstsein ziemlich komplex und schwer festzumachen. Dennoch stellen die Sprachwissenschaftler*innen Warnke und Kämper fest, dass Sprache auf die soziale Wirklichkeit<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Smiljanic, Mirko|Titel=Linguistik und Gender-Debatte - Kann Sprache Wirklichkeit schaffen?|Herausgeber=Deutschlandfunk.de|Datum=2019|Online=https://www.deutschlandfunk.de/linguistik-und-gender-debatte-kann-sprache-wirklichkeit-100.html|Abruf=07.08.2022}} </ref> Einfluss nimmt und somit institutionelle bzw. soziale Tatsachen schafft.
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Insbesondere in [[Analyse von Pressetexten|Pressetexten]] wird diese Beziehung immer wieder selbst reflektiert: „Das Sein bestimmt das Klimabewusstsein“<ref>{{Quellen-Zeitung|Autor*in=Schöneberg, Kai|Titel=Neue Empfehlungen für die taz: Besser übers Klima schreiben|Zeitung=taz.de|Datum=07.09.2020|Online=https://taz.de/Neue-Empfehlungen-fuer-die-taz/!5708300/|Abruf=26.08.2022}}</ref>, titelt so etwa die TAZ und die britischen Zeitungen The Guradian und The Observer sprechen wie bereits erwähnt Empfehlungen für die Begriffwahl ihrer Mitarbeiter*innen aus.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Carrington, Damian|Titel=Why the Guardian is changing the language it uses about the environment|Zeitung=The Guardian|Datum=17.05.2019|Online=https://www.theguardian.com/environment/2019/may/17/why-the-guardian-is-changing-the-language-it-uses-about-the-environment|Abruf=08.06.2022}}</ref> Der Journalist Dan Zak bringt die Überlegung auf den Punkt, wenn er 2019 in der Washington Post festhält: 
  
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<blockquote>„The climate problem is not just scientific. It’s linguistic. If we can agree how to talk and write about an issue that affects us all, maybe we can understand and fix it together".<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Zak, Dan|Titel=How should we talk about what’s happening to our planet?|Herausgeber=The Washington Post|Datum=27.08.2019|Online=https://www.washingtonpost.com/lifestyle/style/how-should-we-talk-about-whats-happening-to-our-planet/2019/08/26/d28c4bcc-b213-11e9-8f6c-7828e68cb15f_story.html|Abruf=12.08.2022}}</ref></blockquote>
  
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Erst eine angemessene Benennung des Phänomens, so der Gedanke, fördere das Verständnis und führe somit dazu Handlungsmaßnahmen zu ergreifen. Eine präzise Sprache kann im Kontext des Klimas also entscheidend sein, um konkrete Handlungen zu bewirken.
  
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Abschließend folgt eine definitorische Beschreibung der Begriffe Klimawandel, Klimakrise und globale Erderwärmung.
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=== Klimawandel ===
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Klimawandel ist wie die obige Statistik zeigt, der im öffentlichen Diskurs etablierteste Begriff, der aufgrund der fehlenden Bedrohungssemantik als sachlicher und nicht politisch motiviert erachtet wird.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Plöger, Sven|Titel=Klimawandel, Klimakrise, Klimakatastrophe: Welcher Begriff passt am besten?|Herausgeber=SWR Wissen|Datum=27.06.2020|Online=https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/klimawandel-klimakrise-klimakatastrophe-welcher-begriff-passt-ab-besten-100.html|Abruf=25.02.2022}}</ref> Denn ein bis heute weitverbreitetes Argument der US-amerikanischen Republikaner*innen ist es die Veränderungen des Klimas als etwas anzusehen, das sich schon seit Jahrhunderten wandelt. Also den Wechsel von Wärme- und Kälteperioden als Teil des natürlichen Laufs der Umweltgeschichte<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in=Böhnert, Martin; Reszke, Paul|Titel=Which Facts to Trust in the Debate on Climate Change? – On Knowledge and Plausibility in Times of Crisis|Herausgeber*in=Hohaus, Pascal|Sammelband=Science Communication in Times of Crises|Ort=Amsterdam|Verlag=John Benjamins|Jahr=2022|Seite=15-40, hier S. 33-35}}</ref> und deshalb müsse man sich darum nicht kümmern, weil die Menschen nichts damit zu tun haben. Der ehemalige republikanische Präsident Donald Trump hat den Klimawandel als einen „von den Chinesen erfundenen Schwindel“<ref>{{Quellen-Zeitung|Autor*in=Jacobson, Louis |Titel=PolitiFact - Yes, Donald Trump did call climate change a Chinese hoax |Zeitung=Politifact |Datum=03.06.2016 |Online=https://www.politifact.com/factchecks/2016/jun/03/hillary-clinton/yes-donald-trump-did-call-climate-change-chinese-h/ |Abruf=10.09.2022 }}</ref> abgetan, um amerikanische Arbeitsplätze zu zerstören. Entsprechend behauptet Trump spöttisch auf Twitter, dass die USA eine „globale Erderwärmung“ gebrauchen könnten, nachdem die Temperaturen längere Zeit unter dem Gefrierpunkt lagen.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung|Autor*in=Firozi, Paulina|Titel=The Energy 202: Another winter, another Trump call for 'good old fashioned Global Warming'|Zeitung=The Washington Post|Datum=17.07.2020|Online=https://www.washingtonpost.com/news/powerpost/paloma/the-energy-202/2019/01/22/the-energy-202-another-winter-another-trump-call-for-good-old-fashioned-global-warming/5c4640ac1b326b29c3778c59/|Abruf=20.09.2022}}</ref>
  
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Das Klima unterliegt einem steten Wandel, doch dieser Begriff ist ein sehr neutraler und verharmlost möglicherweise die tiefgreifenden und negativen Auswirkungen, die dieser Prozess auf unsere Umwelt und Gesellschaft hat. Nach dem Begriff „Klimawandel“ ist der Mensch nicht als aktive Ursache einbezogen. Denn „sich wandeln“ hat eine reflexive Struktur: „man wandelt sich“, nicht „man wird gewandelt“. Hier findet eine begriffliche Rahmung<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in=Wehling, Elisabeth |Titel=Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht |Ort=Bonn |Verlag=Bundeszentrale für politische Bildung |Jahr=2017| Seite=28 }}</ref> für einen natürlich verlaufenden Klimawandel statt, der nicht menschengemacht ist, denn suggeriert wird, dass der Wandel unabhängig von äußeren Einflüssen einer eigenen Dynamik folgt.
  
'''Literaturverzeichnis'''
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=== Klimakrise ===
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Im alltagssprachlichen Gebrauch kann eine „Krise“ als eine schwierige Lage oder Zeit definiert werden, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt.<ref>Vgl. {{Quellen-Lexika|Lemma=Krise |Autor*in=Scholze-Stubenrecht, Werner; Pescheck, Ilka; Hoberg, Rudolf; Hoberg, Ursula; Folz, Jürgen|Herausgeberin= |Nachschlagewerk= Duden, Deutsches Universalwörterbuch |Band= |Ort=Berlin|Verlag=Dudenverlag |Jahr=2015 |Seite=1070 }}</ref> Dabei sind Krisen eher Durchgangsstadien und dauern eher kurz an, was man beim Klima als langfristiges Phänomen nicht behaupten kann.<ref>Vgl. {{Quellen-Lexika|Lemma= |Autor*in=Schmidt, Manfred G.  |Herausgeber*in=|Nachschlagewerk=Wörterbuch zur Politik |Band= |Ort=Stuttgart |Verlag=Alfred Kröner |Jahr=2010 |Seite=443f }}</ref>
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„Klimakrise“ ist jedoch ein Begriff, der auf die Dringlichkeit der Situation angesichts der menschengemachten, globalen Erwärmung aufmerksam macht.<ref>Vgl. {{Quellen-Zeitung| Autor*in= Meyer-Ohlendorf, Nils|Titel=Framing-Check: "Klimawandel". Dieser Begriff ist ein Sieg für alle, die nichts verändern wollen|Jahr=2018|Online= https://www.sueddeutsche.de/kultur/framing-check-klimawandel-begriff-1.4252824|Abruf=05.08.2022}}</ref>
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Klimakrise als Problembeschreibung soll damit anstelle des Begriffs Klimawandel zu einem frühzeitigen Handeln führen, und das Phänomen nicht als harmlos klingend beschreiben. Bedenkt man jedoch, dass wir wohlmöglich in einer „Krisengesellschaft“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Frandsen, Finn; Johansen, Winni|Titel=Organizational Crisis Communication: A Multivocal Approach|Jahr=2017|Verlag=Sage|Ort=London|Seite=17 }}</ref> leben, wird vielleicht auch diese Dringlichkeit als weniger dringend empfunden, wenn die Klimakrise, wie die Augsburger Allgemeine titelte, „nur noch [als] eine Krise unter vielen“<ref>{{Quellen-Zeitung|Autor*in=Schierack, Sarah |Titel=Nur noch eine Krise unter vielen? Wir müssen wieder über das Klima reden |Zeitung=Augsburger Allgemeine |Datum=25.03.2022|Online=https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/kommentar-wir-muessen-wieder-ueber-die-klimakrise-reden-id62151746.html|Abruf=25.02.2023 }}</ref> wahrgenommen wird. Eine mögliche Eskalation der Dringlichkeit bietet der Begriff der Klimakatastrophe an. Hier bedeutet Katastrophe in etwa „Zusammenbruch“<ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=Zusammenbruch|Autor*in=Scholze-Stubenrecht, Werner|Herausgeber*in= |Nachschlagewerk=Duden. Die deutsche Rechtschreibung: auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln |Band=24., völlig neu bearbeit. und erweit. Aufl. |Ort=Mannheim |Verlag=Dudenverlag |Jahr=2006 |Seite=658 }}</ref> und meint damit auch die Entwicklung eines dauerhaft negativen Verlaufs.<ref>Vgl. {{Quellen-Lexika|Lemma=Katastrophe |Autor*in=Scholze-Stubenrecht, Werner; Pescheck, Ilka; Hoberg, Rudolf; Hoberg, Ursula; Folz, Jürgen|Herausgeberin= |Nachschlagewerk= Duden, Deutsches Universalwörterbuch |Band= |Ort=Berlin|Verlag=Dudenverlag |Jahr=2015 |Seite=982 }}</ref> Mit dem Begriff der „Katastrophe“ sind entsprechend hohe sachliche, natürliche und humane Verluste verbunden.<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in= Günther, Florian C. |Titel= Klimaethik - Klimapolitik - Klimasoziologie. Zur Theorie der sozialen Klimakatastrophe |Jahr= 2022 |Verlag= WBG |Ort= Darmstadt}}</ref>
  
Latour, Bruno (2002): Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. 1. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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=== Globale Erderwärmung ===
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Die globale Erwärmung oder Erderwärmung meint den messbaren Anstieg der „Erdoberfläche im weltweiten Durchschnitt“.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Latif, Mojib|Titel=Globale Erwärmung|Ort=Stuttgart|Verlag=UTB GmbH; Ulmer|Jahr=2012|Seite=7 }}</ref> Viele Wissenschaftler* innen sind sich einig<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in=Cook, John; Nuccitelli, Dana; Green, Sarah A.; Richardson, Mark; Winkler, Bärbel; Painting, Rob et al.|Titel=Quantifying the consensus on anthropogenic global warming in the scientific literature.|Zeitschrift=Environ. Res. Lett.|Band=8|Nummer=2|Jahr=2013|DOI=10.1088/1748-9326/8/2/024024}}</ref>, dass die Hauptursache der globalen Erderwärmung der Anstieg der Treibhausgase ist, insbesondere des vom Menschen verursachten Kohlendioxidausstoßes.
  
Lutz, Bernd (Hg.) (2015): Metzler Philosophen Lexikon. Von den Vorsokratikern bis zu den Neuen Philosophen. Dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage, Sonderausgabe. Stuttgart: Verlag J.B. Metzler.
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Forscher*innen der University of Massachusetts haben die durchschnittliche globale Jahrestemperatur der letzten 1000 Jahre untersucht.<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in=Kondratenko, Tatiana |Titel=Faktencheck: Ist die globale Erwärmung ein natürlicher Prozess? |Zeitschrift=Deutsche Welle |Online= https://www.dw.com/de/faktencheck-klimawandel-ist-globale-erw%C3%A4rmung-nat%C3%BCrlicher-prozess/a-57876170 |Jahr=2021 |Abruf=04.10.2022 }}</ref> Bereits im Jahr 1998 entdeckten sie, dass es über mehrere Jahrhunderte hinweg nur geringe Schwankungen gab, bis es im 20. Jahrhundert zu einem plötzlichen starken Anstieg kam.<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in=Mann, Michael E.; Bradley, Raymond S.; Hughes, Malcolm K.|Titel=Northern hemisphere temperatures during the past millennium: Inferences, uncertainties, and limitations|Zeitschrift=Geophysical Research Letters|Band=26|Nummer=6|Jahr=1999|Seite=759–762, hier. S. 759|DOI=10.1029/1999GL900070}}</ref> Studien von 2013 zeigen ähnliche Funde<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur |Autor*in=Marcott, Shaun A.; Shakun, Jeremy D.; Clark, Peter U.; Mix, Alan C. |Titel=A reconstruction of regional and global temperature for the past 11,300 years |Zeitschrift=Science (New York, N.Y.) |Band=339 |Nummer=6124 |Jahr=2013 |Seite=1198–1201, hier S. 1198|DOI=10.1126/science.1228026 }}</ref>: Die Erde erwärmt sich schneller denn je, und das letzte Jahrhundert habe sich schneller erwärmt als je zuvor seit der letzten Eiszeit.<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in=Kondratenko, Tatiana |Titel=Faktencheck: Ist die globale Erwärmung ein natürlicher Prozess? |Zeitschrift=Deutsche Welle |Online= https://www.dw.com/de/faktencheck-klimawandel-ist-globale-erw%C3%A4rmung-nat%C3%BCrlicher-prozess/a-57876170 |Jahr=2021|Abruf=04.10.2022 }}</ref> Dies sind Indizien dafür, dass es sich eben nicht um den natürlichen Verlauf von Kälte- und Hitzeperioden handelt.
  
Searle, John R. (1999): Mind, language, and society. Philosophy in the real world. 1. paperb. ed. New York, NY: Basic Books (MasterMinds series).
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Der Begriff der Erderwärmung ist von den drei hier diskutierten Begriffen vermutlich der, der am stärksten auf die rohe Tatsache der klimatischen Veränderung verweist, selbst wenn die Ursachen hierfür maßgeblich menschlichen Handlungszusammenhängen zugeschrieben werden. Dagegen, dass es sich hierbei jedoch um eine rein [[Objetkivität|objektive Beschreibung]] des Phänomens handelt, die kaum Auswirkungen auf die soziale Wirklichkeit hat, sprechen Luntz' strategische Überlegungen, in denen der bedrohliche Charakter des Begriffs und die damit verbundenen individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen antizipiert werden.
  
Searle, John R. (2006): Social ontology. In: Anthropological Theory, Band 6, Nummer 1, S. 12–29.
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== Fazit ==
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Die unterschiedlichen begrifflichen Problembeschreibungen unterliegen weder rein subjektiven Vorlieben, noch lassen sie sich mit Verweis auf den üblichen Sprachwandel restlos erklären. Das Ringen um die Begriffe lässt sich auch um ein Ringen um die Kontrolle der rohen Tatsachen und der Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit verstehen.
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Denn laut dem Philosoph John Searle macht uns eine rohe Tatsache nicht verantwortlich bzw. verpflichtet uns zu nichts, aber als institutionelle Tatsache verleiht sie uns Rechte und Pflichten und eine Art Betroffenheit, die uns zum Handeln zwingt.<ref>Vgl. {{Quellen-Literatur|Autor*in=Searle, John R. |Titel=Mind, language, and society. Philosophy in the real world. |Ort=New York, NY |Verlag=Basic Books (MasterMinds series) |Jahr=1999| Seite= 131}}</ref> Dies trifft auch bei Klimawandel, Klimakrise oder globale Erderwärmung zu, bei denen der politische und gesellschaftliche Diskurs um die richtige Bezeichnung Auswirkungen auf unsere Realität haben.  
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== Belege ==
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Aktuelle Version vom 17. Juli 2023, 15:14 Uhr

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Begriffliche Problembeschreibung: Globale Erderwärmung, Klimawandel oder Klimakrise?

Dieser Artikel beschäftigt sich mit Schwierigkeiten der begrifflichen Problembeschreibung der globalen Erwärmung und ähnlicher Phänomene anhand der beiden Begriffspaare „globale Erderwärmung“/„Klimawandel“ und „Klimawandel“/„Klimakrise“.

Begriffliche Problembestimmung und problematische Begriffsbestimmung

Der Umgang mit den Veränderungen des Klimas stellt die Gesellschaft neben allen anderen auch vor die sprachliche Herausforderung einer begrifflichen Problembeschreibung. Im deutschsprachigen Raum konkurrieren mindestens drei Begriffe miteinander: Während von der globalen „Erderwärmung“ bereits in den 1990er Jahren gesprochen wird, lässt sich zeigen, dass die Rede vom „Klimawandel“ in den frühen 2000er Jahren immer häufiger wird und spätestens seit 2015 rasant zunimmt. Ebenfalls ab dem Jahr 2015 beginnt man in Zeitungen auch den Begriff „Klimakrise“ zur Problembeschreibung zu verwenden, seit 2019 erstmals häufiger als „Erderwärmung“.[1]

Wortverlaufskurve

Vor diesem Hintergrund lässt sich fragen, welche Rolle die Sprache in der Klimadebatte hat und ob es einen Unterschied macht, das Phänomen als Klimawandel, Klimakrise oder doch als globale Erderwärmung zu beschreiben. Ein sich wandelnder Sprachgebrauch ist nichts Ungewöhnliches, doch dass verschiedene Interessensgruppen jeweils normativ eingreifen, lässt sich als Anzeichen dafür erachten, dass der begrifflichen Bestimmung eine hohe Relevanz zugeschrieben wird: So rät beispielsweise der Meinungsforscher und Politikberater Frank Luntz schon 2002 beim US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf George W. Bush dazu, den Begriff „climate change“ (Klimawandel), statt „global warming“ (globale Erwärmung) zu benutzen und die Fridays for Future-Bewegung (kurz: FFF) bestärkt und bekräftigt hingegen den Begriff der „Klimakrise“ anstelle von „Klimawandel“ zu verwenden.

Wenn die Unterscheidung aus verschiedenen Perspektiven als wichtig erachtet wird, lässt sich auch fragen, auf welcher Ebene die sprachlichen Anpassungen Auswirkungen haben: Geht es um eine präzisere bzw. angemessenere Beschreibung des Phänomens in einer erkenntnistheoretischen Hinsicht oder eher mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung und damit auch um den gesellschaftlichen und individuellen Umgang mit dem Phänomen.

Klimawandel und Klimakrise

Schon 2019 hat die britische Zeitung „The Guardian“ die redaktionellen Sprachregeln geändert und empfiehlt den Begriff „climate crisis“ in journalistischen Texten[2], inspiriert von der Klimaaktivistin Greta Thunberg und der FFF-Bewegung, um die gegenwärtige Entwicklung „akkurater“[3] darzustellen.

Als die damals 15-jährige Greta Thunberg im August 2018 beschloss, die Schulpflicht für drei Wochen auszusetzen hat sich die Idee für das Klima zu streiken in der ganzen Welt verbreitet. 2019 organisierte u. a. die Studentin Luise Neubauer in verschiedenen deutschen Städten die ersten deutschen Schulstreiks.[4] Mehr als 300.000 Schüler*innen aus mehr als 230 Städten nahmen nach Angaben der Organisator*innen am ersten „Global Climate Strike for Future“ teil, der von FFF am 15. März 2019 einberufen wurde.[5] Das Engagement junger Menschen für das Klima ist rasant gewachsen. Die Proteste weiteten sich stetig aus, gefolgt von einer der größten Demonstrationen der Bewegung in Deutschland am 20. September 2019. Rund 1,4 Millionen Menschen an 575 Orten in Deutschland folgten nach Angaben der Veranstalter*innen dem Aufruf zu Demonstrationen.[6] Dabei ist Greta Thunberg ein Vorbild für die weltweiten Streiks. Um ihre Ziele zu erreichen, reiste sie in viele Länder, wird von der internationalen Politik gehört und sprach persönlich mit dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem Papst und verschiedenen UN-Politiker*innen und nahm am Weltwirtschaftsforum in Davos teil. Ihr Motto lautet: „Why should I be studying for a future that soon may be no more, when no one is doing anything to save that future?“.[7]

Denn fest steht, dass im Jahr 2021 Europa den wärmsten Sommer seit den Wetteraufzeichnungen 1979 erlebte.[8] In den vergangenen Jahren wurde das durch Überschwemmungen, Stürme, Hitzewelle, und Dürren immer deutlicher und auch das Abschmelzen der Polkappen und vieler Gletscher sowie der Anstieg des Meeresspiegels[9] haben bereits Auswirkungen auf Natur und Gesellschaft – im globalen Norden wie auch im globalen Süden. Aufgrund von Nahrungsmittelknappheit, Wassermangel, Krankheiten und Landflucht tragen die ärmsten Entwicklungsländer die Hauptlast des Klimawandels, was verdeutlicht, dass die Zusammenhänge von Verursachung und Auswirkung räumlich und zeitlich verschwimmen.[10] Die Menschheit befindet sich derzeit auf einem Emissionspfad, der je nach Modellrechnung die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts um mehrere Grade Celsius ansteigen lassen könnte, wenn nicht gezielt reagiert wird. Dann ist ein sogenannter Kipppunkt (englisch: „tipping point“) erreicht, an dem es zu irreversiblen Schäden kommt und der stabile Klimazustand bald abrupt endet.[11]

Die FFF-Bewegung möchte deshalb u. a. das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 erfüllen, die Erderwärmung auf maximal 1,5°C zu begrenzen. Viele Wissenschaftler*innen zweifeln daran, dass das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen ist[12], da hierzu umgehend Maßnahmen in Form von massiven Emissionsminderungen ergriffen oder Wege entwickelt werden, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu extrahieren. Deswegen fordern die FFF unmittelbar vor der Aufnahme der Koalitionsgespräche zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP im Oktober 2021 konkret für die Regierung in Deutschland die Verabschiedung eines 1,5 Grad konformen CO₂-Budgets, einen Erdgasausstieg bis 2035, Kohleausstieg bis 2030, versiebenfacht schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien, radikale und gerechte Mobilitätswende, 14 Milliarden Euro pro Jahr für internationale Klimafinanzierung.[13] Kritiker äußern ihre Bedenken hinsichtlich möglicher Einschränkungen für die „Energiewirtschaft, Industrie, Gebäudesektor und Landwirtschaft“[14] sowie für Bürger*innen und Lobbygruppen. Dieser Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und ökologischen Aspekten erfordert eine bewusste Auseinandersetzung und gezielte Handlungsansätze zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.

Umso wichtiger ist hier die präzise Sprache zur Benennung des Phänomens. Der Umweltwissenschaftler Nils Meyer-Ohlendorf betont, dass der Begriff „Klimawandel“ die anthropogene Implikation nicht berücksichtigt, sondern ein Narrativ eines natürlichen Prozesses unterstütze. Meyer-Ohlendorf schlägt deshalb den Begriff „Klimakrise“[15] vor. Auch die britische Zeitung „The Guardian“ teilt wie erwähnt diese Ansicht und benutzen ab 2019 den Begriff „climate crisis“, statt „climate change“ - mit der Begründung, dass Klimawandel zu „passiv und sanft“[16] klinge.

Globale Erderwärmung und Klimawandel

Wie erwähnt, lassen sich Maßnahmen einer normativen Sprachanpassung hinsichtlich der Bezugnahme auf die Erwärmung der Atmosphäre bereits im US-Präsidentschaftswahlkampf 2002 ausmachen. Dabei ist die Beziehung der Begriffe „global warming“ und „climate change“ zentral: Der Journalist Oliver Burkeman konstatiert, der frühere Präsident George W. Bush habe in seinen Reden vor dem Jahr 2002 den Begriff „global warming“ noch häufig verwendet, ab 2002 aber kaum noch, was Burkeman auf die politische Beratung des Meinungsforschers Luntz zurückführt.[17]

Luntz ist auf den Einfluss sprachlicher Mittel bei der öffentlichen Meinungsbildung spezialisiert. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer*innen sowie deren positive oder negative emotionale Reaktionen auf vermittelte Inhalte sei Luntz zufolge stark von sprachlichen Entscheidungen abhängig. So hält Luntz in seinem 2007 erschienenen Buch fest, dass die wirksamste politische Rhetorik durch Wiederholung, Konsistenz, einfache, klare Sprache, einprägsame Phrasen und kurze Sätze gekennzeichnet ist.[18] Nach Ansicht von Luntz kann ein einziges Wort ein Thema einrahmen (frame) und bei den Wähler*innen positive oder negative Assoziation im Kopf erwecken. Deswegen ist es nach Luntz weniger wichtig, ob eine Aussage zutrifft oder nicht, sondern dass die diese vermittelnde Geschichte emotional überzeugt:

„A compelling story, even if factually inaccurate, can be more emotionally compelling than a dry recitation of the truth“.[19]

Luntz zufolge hänge die Meinung der Menschen zur Klimapolitik u. a. davon ab, ob sie glauben, dass Einigkeit unter den Expert*innen über die vom Menschen verursachte globale Erwärmung herrscht oder nicht.[20]

In einem Memo an Präsident George W. Bush aus dem Jahr 2002 mit dem Titel „The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America“ rät Luntz entsprechend dazu, die wissenschaftliche Einigkeit über die globale Erwärmung in Zweifel zu ziehen, da ansonsten die Debatte über die globale Erwärmung für die republikanische Partei verloren sei und damit eine Wahlniederlage bevorstünde:„Voters believe that there is no consensus about global warming within the scientific community. Should the public come to believe that the scientific issues are settled, their views about global warming will change accordingly. […] The scientific debate is closing [against us] but not yet closed. There is still a window of opportunity to challenge the science”.[21]

Immer wieder betont Luntz, dass man auf die vermeintliche Unsicherheit in der Klimaforschung bzw. in der Wissenschaft im Kontext der globalen Erwärmung hinweisen solle – ungeachtet des Umstandes, dass ein Konsens zwar ein politisches, nicht aber ein wissenschaftliches Kriterium ist – um damit den Eindruck zu erwecken, dass innerhalb der wissenschaftlichen Debatte Uneinigkeit über den Ursprung der Erderwärmung herrsche: „Continue to make the lack of scientific certainty a primary issue in the debate”[22] oder: „The most important principle is your commitment to sound science“.[23]

Diese Strategie stützt er durch seine bekannte sprachliche Empfehlung, den Begriff „Klimawandel“ anstelle von „globaler Erwärmung“ zu verwenden: „Globale Erwärmung“ impliziere die Notwendigkeit schnellen Handelns, aufgrund der erschreckenden Konnotationen des Wortes, wohingegen „Klimawandel“ eher eine überschaubarere und weniger emotionale Herausforderung bedeute:

„It’s time for us to start talking about ‘climate change’ instead of global warming [...]. ‘Climate change’ is less frightening than ‘global warming’ ”.[24]

Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass Luntz später bedauerte, die Bush-Regierung in dieser Hinsicht beraten zu haben. Er distanzierte sich von der von ihm zuvor vertretenen Position und wies jede Verantwortung für die Handlungen der Bush-Regierung zurück.[25] In einer Rede vor dem Committee on the Climate Crisis des US-Repräsentantenhauses am 25. Juli 2019 bat Luntz seine Beratungstätigkeit denjenigen an, die an der Bekämpfung der klimatischen Situation arbeiten. Er betonte, dass er sich geirrt, 2001 einen Fehler gemacht und sich verändert habe. Er versprach, den Demokraten im Klimaausschuss zu helfen und an einer parteiübergreifenden Lösung zu arbeiten.[26] Obwohl Luntz an die vom Menschen verursachte globale Erwärmung glaubt, verteidigte er im Jahr 2006 seine Aktionen. Er sagte, dass der damalige Stand der Wissenschaft unvollständig war[27] und dass sein Rat weniger beängstigend klingen sollte.[28]

Macht es einen Unterschied, ob wir andere Begriffe benutzen?

Es zeigt sich, dass die begriffliche Problembestimmung ein umkämpftes Feld ist und normative Eingriffe auf den Sprachgebrauch von verschiedenen Seiten vorgenommen werden, also grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass die begriffliche Bezeichnung des Phänomens eine entscheidende Rolle spielt. Aus einer sprachphilosophischen Perspektive lässt sich dieser Gedanke mit der Unterscheidung zwischen rohen und institutionellen Tatsachen besser durchdringen: Während sich die klimatischen Veränderungen rein sachbezogen als rohe Tatsache verstehen lassen, wird die soziale Wirklichkeit und damit die öffentliche Wahrnehmung des Phänomens sprachliche im Sinne von institutionellen Tatsachen geprägt.

Klimawandel, Klimakrise oder globale Erwärmung: Es gibt viele Worte für die begriffliche Problembeschreibung im öffentlichen Diskurs. Die Forschung hierzu wird hauptsächlich in der Linguistik und den kognitiven Wissenschaften der Psychologie durchgeführt, dabei ist die genaue Beziehung zwischen Sprache und Bewusstsein ziemlich komplex und schwer festzumachen. Dennoch stellen die Sprachwissenschaftler*innen Warnke und Kämper fest, dass Sprache auf die soziale Wirklichkeit[29] Einfluss nimmt und somit institutionelle bzw. soziale Tatsachen schafft. Insbesondere in Pressetexten wird diese Beziehung immer wieder selbst reflektiert: „Das Sein bestimmt das Klimabewusstsein“[30], titelt so etwa die TAZ und die britischen Zeitungen The Guradian und The Observer sprechen wie bereits erwähnt Empfehlungen für die Begriffwahl ihrer Mitarbeiter*innen aus.[31] Der Journalist Dan Zak bringt die Überlegung auf den Punkt, wenn er 2019 in der Washington Post festhält:

„The climate problem is not just scientific. It’s linguistic. If we can agree how to talk and write about an issue that affects us all, maybe we can understand and fix it together".[32]

Erst eine angemessene Benennung des Phänomens, so der Gedanke, fördere das Verständnis und führe somit dazu Handlungsmaßnahmen zu ergreifen. Eine präzise Sprache kann im Kontext des Klimas also entscheidend sein, um konkrete Handlungen zu bewirken.

Abschließend folgt eine definitorische Beschreibung der Begriffe Klimawandel, Klimakrise und globale Erderwärmung.

Klimawandel

Klimawandel ist wie die obige Statistik zeigt, der im öffentlichen Diskurs etablierteste Begriff, der aufgrund der fehlenden Bedrohungssemantik als sachlicher und nicht politisch motiviert erachtet wird.[33] Denn ein bis heute weitverbreitetes Argument der US-amerikanischen Republikaner*innen ist es die Veränderungen des Klimas als etwas anzusehen, das sich schon seit Jahrhunderten wandelt. Also den Wechsel von Wärme- und Kälteperioden als Teil des natürlichen Laufs der Umweltgeschichte[34] und deshalb müsse man sich darum nicht kümmern, weil die Menschen nichts damit zu tun haben. Der ehemalige republikanische Präsident Donald Trump hat den Klimawandel als einen „von den Chinesen erfundenen Schwindel“[35] abgetan, um amerikanische Arbeitsplätze zu zerstören. Entsprechend behauptet Trump spöttisch auf Twitter, dass die USA eine „globale Erderwärmung“ gebrauchen könnten, nachdem die Temperaturen längere Zeit unter dem Gefrierpunkt lagen.[36]

Das Klima unterliegt einem steten Wandel, doch dieser Begriff ist ein sehr neutraler und verharmlost möglicherweise die tiefgreifenden und negativen Auswirkungen, die dieser Prozess auf unsere Umwelt und Gesellschaft hat. Nach dem Begriff „Klimawandel“ ist der Mensch nicht als aktive Ursache einbezogen. Denn „sich wandeln“ hat eine reflexive Struktur: „man wandelt sich“, nicht „man wird gewandelt“. Hier findet eine begriffliche Rahmung[37] für einen natürlich verlaufenden Klimawandel statt, der nicht menschengemacht ist, denn suggeriert wird, dass der Wandel unabhängig von äußeren Einflüssen einer eigenen Dynamik folgt.

Klimakrise

Im alltagssprachlichen Gebrauch kann eine „Krise“ als eine schwierige Lage oder Zeit definiert werden, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt.[38] Dabei sind Krisen eher Durchgangsstadien und dauern eher kurz an, was man beim Klima als langfristiges Phänomen nicht behaupten kann.[39] „Klimakrise“ ist jedoch ein Begriff, der auf die Dringlichkeit der Situation angesichts der menschengemachten, globalen Erwärmung aufmerksam macht.[40] Klimakrise als Problembeschreibung soll damit anstelle des Begriffs Klimawandel zu einem frühzeitigen Handeln führen, und das Phänomen nicht als harmlos klingend beschreiben. Bedenkt man jedoch, dass wir wohlmöglich in einer „Krisengesellschaft“[41] leben, wird vielleicht auch diese Dringlichkeit als weniger dringend empfunden, wenn die Klimakrise, wie die Augsburger Allgemeine titelte, „nur noch [als] eine Krise unter vielen“[42] wahrgenommen wird. Eine mögliche Eskalation der Dringlichkeit bietet der Begriff der Klimakatastrophe an. Hier bedeutet Katastrophe in etwa „Zusammenbruch“[43] und meint damit auch die Entwicklung eines dauerhaft negativen Verlaufs.[44] Mit dem Begriff der „Katastrophe“ sind entsprechend hohe sachliche, natürliche und humane Verluste verbunden.[45]

Globale Erderwärmung

Die globale Erwärmung oder Erderwärmung meint den messbaren Anstieg der „Erdoberfläche im weltweiten Durchschnitt“.[46] Viele Wissenschaftler* innen sind sich einig[47], dass die Hauptursache der globalen Erderwärmung der Anstieg der Treibhausgase ist, insbesondere des vom Menschen verursachten Kohlendioxidausstoßes.

Forscher*innen der University of Massachusetts haben die durchschnittliche globale Jahrestemperatur der letzten 1000 Jahre untersucht.[48] Bereits im Jahr 1998 entdeckten sie, dass es über mehrere Jahrhunderte hinweg nur geringe Schwankungen gab, bis es im 20. Jahrhundert zu einem plötzlichen starken Anstieg kam.[49] Studien von 2013 zeigen ähnliche Funde[50]: Die Erde erwärmt sich schneller denn je, und das letzte Jahrhundert habe sich schneller erwärmt als je zuvor seit der letzten Eiszeit.[51] Dies sind Indizien dafür, dass es sich eben nicht um den natürlichen Verlauf von Kälte- und Hitzeperioden handelt.

Der Begriff der Erderwärmung ist von den drei hier diskutierten Begriffen vermutlich der, der am stärksten auf die rohe Tatsache der klimatischen Veränderung verweist, selbst wenn die Ursachen hierfür maßgeblich menschlichen Handlungszusammenhängen zugeschrieben werden. Dagegen, dass es sich hierbei jedoch um eine rein objektive Beschreibung des Phänomens handelt, die kaum Auswirkungen auf die soziale Wirklichkeit hat, sprechen Luntz' strategische Überlegungen, in denen der bedrohliche Charakter des Begriffs und die damit verbundenen individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen antizipiert werden.

Fazit

Die unterschiedlichen begrifflichen Problembeschreibungen unterliegen weder rein subjektiven Vorlieben, noch lassen sie sich mit Verweis auf den üblichen Sprachwandel restlos erklären. Das Ringen um die Begriffe lässt sich auch um ein Ringen um die Kontrolle der rohen Tatsachen und der Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit verstehen. Denn laut dem Philosoph John Searle macht uns eine rohe Tatsache nicht verantwortlich bzw. verpflichtet uns zu nichts, aber als institutionelle Tatsache verleiht sie uns Rechte und Pflichten und eine Art Betroffenheit, die uns zum Handeln zwingt.[52] Dies trifft auch bei Klimawandel, Klimakrise oder globale Erderwärmung zu, bei denen der politische und gesellschaftliche Diskurs um die richtige Bezeichnung Auswirkungen auf unsere Realität haben.


Belege

  1. Vgl. [Lemma] Wortverlaufskurve für „Erderwärmung · Klimawandel · Klimakrise. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, Online, zuletzt abgerufen am 04.03.2023.
  2. Vgl. Carrington, Damian (17.05.2019): Why the Guardian is changing the language it uses about the environment. In: The Guardian. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  3. The Guardian (30.04.2021): Guardian and Observer style guide. Online, zuletzt abgerufen am 27.02.2023.
  4. Vgl. Sontheimer, Leonie (2019): Fridays for Future: Die Strategin. In: Die Zeit. Online, zuletzt abgerufen am 09.06.2022.
  5. Vgl. Staude, Jörg (2019): 300.000 bei "Fridays for Future" in Deutschland. In: Klimareporter. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  6. Vgl. Wüstenberg, Daniel (20.09.2019): Greta begeistert: "Unglaublich, ein historischer Tag" – aktuell Straßenblockaden in mehreren Städten. In: STERN.de. Online, zuletzt abgerufen am 08.07.2022.
  7. Carrington, Damian (04.12.2018): 'Our leaders are like children,' school strike founder tells climate summit. In: The Guardian. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  8. Vgl. Copernicus Climate Change Service (2021): European State of the Climate 2021. In: climate.copernicus.eu. Online, zuletzt abgerufen am 07.06.2022.
  9. Vgl. Bundesregierung (2019): Welche Auswirkungen hat der Klimawandel. Online, zuletzt abgerufen am 24.09.2022.
  10. Vgl. Wallacher, Johannes (2009): Klimaschutz nicht auf Kosten der Ärmsten. In: Deutschlandfunkkultur. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  11. Vgl. Reske, Vanessa; Puttfarcken, Lena (30.09.2021): Vier tickende Zeitbomben, die unser Klima radikal verändern würden. In: Quarks. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  12. Vgl. Ehring, Georg (2022): Klimawandel - Das 1,5-Grad-Ziel könnte schon bis 2026 überschritten werden. In: Deutschlandfunk.de. Online, zuletzt abgerufen am 09.06.2022.
  13. Vgl. Andreoli, Josephine (20.10.2021): Sechs Forderungen an die nächste Regierung: Fridays for Future setzen Politiker unter Druck. In: watson. Online, zuletzt abgerufen am 09.06.2022.
  14. Sommer, Moritz; Rucht, Dieter; Haunss, Sebastian; Zajak, Sabrina (2019): Fridays for Future. Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland. In: ipb working papers Online, zuletzt abgerufen am 07.09.2022.
  15. Framing-Check: "Klimawandel". Dieser Begriff ist ein Sieg für alle, die nichts verändern wollen. Online, zuletzt abgerufen am 05.08.2022.
  16. Carrington, Damian (17.05.2019): Why the Guardian is changing the language it uses about the environment. In: The Guardian. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  17. Vgl. Burkeman, Oliver (04.03.2003): Memo exposes Bush's new green strategy. In: The Guardian. Online, zuletzt abgerufen am 9. Juni 2022.
  18. Luntz, Frank (2007): Words that work: It’s not what you say, it’s what people hear. New York: Hyperion, S. 16.
  19. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S.132.
  20. Vgl. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S.132.
  21. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S.137-138.
  22. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S. 137.
  23. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S.138.
  24. Luntz, Frank (2002): The Environment: A Cleaner, Safer, Healthier America. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022, S.142.
  25. Hayward, Freddie (01.06.2022): Why Frank Luntz regrets being a populist. In: New Statesman. Online, zuletzt abgerufen am 05.08.2022.
  26. Vgl. Yoder, Kate (26.07.2019): Frank Luntz, the GOP’s message master, calls for climate action. In: Grist. Online, zuletzt abgerufen am 08.08.2022.
  27. Vgl. Panorama (2006): Climate chaos: Bush's climate of fear. In: BBC One. Online, zuletzt abgerufen am 01.08.2022.
  28. Vgl. Yoder, Kate (26.07.2019): Frank Luntz, the GOP’s message master, calls for climate action. In: Grist. Online, zuletzt abgerufen am 08.08.2022.
  29. Vgl. Smiljanic, Mirko (2019): Linguistik und Gender-Debatte - Kann Sprache Wirklichkeit schaffen?. Online, zuletzt abgerufen am 07.08.2022.
  30. Schöneberg, Kai (07.09.2020): Neue Empfehlungen für die taz: Besser übers Klima schreiben. In: taz.de. Online, zuletzt abgerufen am 26.08.2022.
  31. Vgl. Carrington, Damian (17.05.2019): Why the Guardian is changing the language it uses about the environment. In: The Guardian. Online, zuletzt abgerufen am 08.06.2022.
  32. Vgl. Zak, Dan (27.08.2019): How should we talk about what’s happening to our planet?. Online, zuletzt abgerufen am 12.08.2022.
  33. Vgl. Plöger, Sven (27.06.2020): Klimawandel, Klimakrise, Klimakatastrophe: Welcher Begriff passt am besten?. Online, zuletzt abgerufen am 25.02.2022.
  34. Vgl. Böhnert, Martin; Reszke, Paul (2022): Which Facts to Trust in the Debate on Climate Change? – On Knowledge and Plausibility in Times of Crisis. In: Hohaus, Pascal (Hrsg.): Science Communication in Times of Crises, Amsterdam: John Benjamins, S. 15-40, hier S. 33-35.
  35. Jacobson, Louis (03.06.2016): PolitiFact - Yes, Donald Trump did call climate change a Chinese hoax. In: Politifact. Online, zuletzt abgerufen am 10.09.2022.
  36. Vgl. Firozi, Paulina (17.07.2020): The Energy 202: Another winter, another Trump call for 'good old fashioned Global Warming'. In: The Washington Post. Online, zuletzt abgerufen am 20.09.2022.
  37. Vgl. Wehling, Elisabeth (2017): Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 28.
  38. Vgl. Scholze-Stubenrecht, Werner; Pescheck, Ilka; Hoberg, Rudolf; Hoberg, Ursula; Folz, Jürgen: [Lemma] Krise. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Berlin: Dudenverlag (2015), S. 1070.
  39. Vgl. Wörterbuch zur Politik, Stuttgart: Alfred Kröner (2010), S. 443f.
  40. Vgl. Framing-Check: "Klimawandel". Dieser Begriff ist ein Sieg für alle, die nichts verändern wollen. Online, zuletzt abgerufen am 05.08.2022.
  41. Frandsen, Finn; Johansen, Winni (2017): Organizational Crisis Communication: A Multivocal Approach. London: Sage, S. 17.
  42. Schierack, Sarah (25.03.2022): Nur noch eine Krise unter vielen? Wir müssen wieder über das Klima reden. In: Augsburger Allgemeine. Online, zuletzt abgerufen am 25.02.2023.
  43. Scholze-Stubenrecht, Werner: [Lemma] Zusammenbruch. Duden. Die deutsche Rechtschreibung: auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln, Bd. 24., völlig neu bearbeit. und erweit. Aufl., Mannheim: Dudenverlag (2006), S. 658.
  44. Vgl. Scholze-Stubenrecht, Werner; Pescheck, Ilka; Hoberg, Rudolf; Hoberg, Ursula; Folz, Jürgen: [Lemma] Katastrophe. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Berlin: Dudenverlag (2015), S. 982.
  45. Vgl. Günther, Florian C. (2022): Klimaethik - Klimapolitik - Klimasoziologie. Zur Theorie der sozialen Klimakatastrophe. Darmstadt: WBG.
  46. Latif, Mojib (2012): Globale Erwärmung. Stuttgart: UTB GmbH; Ulmer, S. 7.
  47. Vgl. Cook, John; Nuccitelli, Dana; Green, Sarah A.; Richardson, Mark; Winkler, Bärbel; Painting, Rob et al. (2013): Quantifying the consensus on anthropogenic global warming in the scientific literature.. In: Environ. Res. Lett. 8(2).
  48. Vgl. Kondratenko, Tatiana (2021): Faktencheck: Ist die globale Erwärmung ein natürlicher Prozess?. In: Deutsche Welle Online, zuletzt abgerufen am 04.10.2022.
  49. Vgl. Mann, Michael E.; Bradley, Raymond S.; Hughes, Malcolm K. (1999): Northern hemisphere temperatures during the past millennium: Inferences, uncertainties, and limitations. In: Geophysical Research Letters 26(6), S. 759–762, hier. S. 759.
  50. Vgl. Marcott, Shaun A.; Shakun, Jeremy D.; Clark, Peter U.; Mix, Alan C. (2013): A reconstruction of regional and global temperature for the past 11,300 years. In: Science (New York, N.Y.) 339(6124), S. 1198–1201, hier S. 1198.
  51. Vgl. Kondratenko, Tatiana (2021): Faktencheck: Ist die globale Erwärmung ein natürlicher Prozess?. In: Deutsche Welle Online, zuletzt abgerufen am 04.10.2022.
  52. Vgl. Searle, John R. (1999): Mind, language, and society. Philosophy in the real world.. New York, NY: Basic Books (MasterMinds series), S. 131.