Benutzer: Anna-Lena Weiß/werkstatt

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Werkstatt von Anna-Lena Weiß

Darstellung von Utopie und Dystopie in Dokumentarfilmen


In Dokumentarfilmen über den Klimawandel, wird nicht nur die aktuelle Lage dokumentiert und präsentiert, sondern auch utopische und dystopische Zukunftsbilder entworfen. Um jedoch die Dramatik des Ist-Zustandes zu verdeutlichen, bedienen sich viele Dokumentarfilmer*innen der Darstellung hypothetischer zukünftiger Szenarien. Diese können entweder eine ideale Gesellschaft illustrieren, dann handelt es sich um eine utopische Darstellung. Oder es wird ein negatives Gegenbild zu diesem Ideal erzeugt, eine Dystopie. [1] Der Einsatz von düsteren, dystopischen Zukunftsversionen findet tendeziell häufiger in Dokumentarfilmen statt. Dieser Artikel soll anhand von zwei Beispielen verdeutlichen, wie dystopische und utopische Szenarien in Dokumentarfilmen Anwendung finden, diese kinematografisch umgesetzt werden, welche Funktionen sie erfüllen und ob sie nicht besser in Science Fiction Filmen aufgehoben wären.


Thematischer Rahmen utopischer und dystopischer Darstellungen


Der Thematik der Utopie liegt eine lange und kontroverse Tradition zu Grunde, wobei die Dystopie, als Anti-Utopie, ein Derivat dieser darstellt. Die ursprünglich literarische Gattung lässt sich nicht einheitlich definieren, weshalb im Folgenden die Begriffsklärung von Martin Seel einen Anhaltspunkt bieten soll: "Utopien sind in Raum und Zeit unerreichbare Zustände, deren Erreichbarkeit dennoch gedacht werden kann und gedacht werden soll. Sie soll gedacht werden, um innerhalb des Wirklichen den Sinn für das Mögliche zu schärfen […]. Alle Utopien lassen ferne Möglichkeiten absehbar werden, um hier und jetzt ergreifbare Möglichkeiten sichtbar werden zu lassen […]". Thematisch handelt es sich somit um Zukunftsprojektion, die entweder Wunsch- oder Schreckensbilder wiedergeben können.

In Dokumentarfilmen, die sich mit dem Klimawandel befassen, sieht die utopische Zukunft zumeist so aus, dass Menschen und Natur im Einklang miteinander leben und dieser Zustand mittels einer nachhaltigen Lebensweise erreicht wird. Wie genau diese bessere Zukunft aussehen kann, lässt sich exemplarisch anhand des Dokumentarfilms David Attenborough: Ein Leben auf unserem Planeten nachvollziehen. Auf inhaltlicher Ebene wird dort auf drei Aspekte eingegangen. Der erste Aspekt beinhaltet die landwirtschaftliche Nutzung von Flächen, ohne dabei die Natur zu verdrängen. Der gleiche Ansatz wird auf die Weltmeere angewandt, indem die Möglichkeit eingeräumt wird, dass sich die Fischbestände wieder erholen können. Auch die nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern stellt ein Teil dieser Zukunft dar. Die Themen werden mit Bildern von freien, gesunden Tieren und lebendiger, blühender Natur untermauert, wobei der Mensch und seine Existenz nur als kleiner Teil dieser auftaucht. Somit zeichnen die utopischen Darstellungen eine Zukunft, in der Menschen mit der Natur und nicht gegen sie arbeiten. Diese kann jedoch nur erreicht werden, wenn sich etwas ändert.[2]

Im Gegensatz dazu zeigt die Dystopie, was passieren kann, wenn sich nichts verändert und der Klimawandel weiter voranschreitet. Viele Dokumentarfilme bedienen sich der Darstellung einer düsteren Zukunft, wobei dieser oft ähnliche Inhalte zu Grunde liegen. Im Mittelpunkt stehen immer die zerstörte Umwelt und die Auswirkungen auf die Menschen und Tiere. Die Themen reichen, je nach Fokus des Dokumentarfilms, von Abholzung des Regenwalds, dem Auftauen der Permafrostböden, dem Insektensterben bis hin zur Erwärmung der Ozeane. Wobei vor allem die Darstellung von Wirkungszusammenhängen häufig Anwendung findet, da sie die weitreichenden Gefahren des Klimawandels darlegen. Exemplarisch dafür ist die folgende Grafik, welche einen solchen Ursache Wirkungszusammenhang aus der Dokumentation „Eine Welt ohne Insektensterben“ darlegt.[3]

Ursache-Wirkungszusammenhang Insektensterben [4]













Diese inhaltlichen Verkettungen werden in der Regel untermalt durch die Bilder von zerstörter, lebloser Natur, leidenden oder toten Tieren und Naturkatastrophen. Die dystopischen Darstellungen sind somit als Worst-Case-Szenarien zu verstehen, welche eintreten könnten, wenn nichts gegen den Klimawandel unternommen wird.


Kinematografische Elemente


Es stellt sich zunächst die Frage, welches Material genutzt wird, um zukünftige Szenarien darzustellen. In der heutigen Zeit existieren, dank verschiedener Formen von Computeranimationen, theoretisch keine Grenzen mehr, um hypothetische Szenarien zu erschaffen. In dem Film Ein Leben auf unserem Planeten werden diese Möglichkeiten in der Utopie Darstellung durchaus genutzt. Das Filmmaterial für eine positive Vision besteht zum einen Teil aus realen Aufnahmen von Orten, an denen die Menschen sich bereits in die Natur integrieren. Zum anderen wird jedoch auf Animationen zurückgegriffen, welche in die realen Bildaufnahmen eingebettet werden. Es handelt sich um futuristisch anmutende Objekte, die in den aktuellen Bildern platziert werden. Die Zukunft wird somit durch den Einsatz von neuen Technologien im Einklang mit der Natur gezeichnet.

Trotz der beschriebenen Möglichkeit die Zukunft zu animieren, werden dystopische Darstellungen vor allem mit Hilfe von Aufnahmen aus der Gegenwart realisiert. Diese werden lediglich neu kontextualisiert und in Szene gesetzt. Dieses Phänomen lässt sich durch eine beliebte Darstellung, im Hinblick auf die Problematik der schmelzenden Pole, verdeutlichen.

Bild von Eisbär (Attenborough oder Unser Planet)

Die Szene zeigt einen Eisbären, welcher im Wasser schwimmt, wobei der Kameraausschnitt so gewählt wird, dass keine rettende Eisscholle in Sicht ist. Somit wird suggeriert, dass in Zukunft kein Eis mehr vorhanden ist, welches in der realen Aufnahme sehr wohl noch existiert. Lediglich durch die andere Kontextualisierung wird die bevorstehende Katastrophe abgebildet und das Bildmaterial von der Gegenwart losgelöst. Damit das Bild einer utopischen oder dystopischen Zukunft kinematografische Elemente bestärkt.

Die Differenzierung zwischen utopischen und dystopischen Darstellungen lässt sich schon durch den Einsatz bestimmter Einstellungsgrößen und Kameraperspektiven vornehmen. In der Utopie Szene in Ein Leben auf unserem Planeten sind lediglich Weit - Panoramaaufnahmen zu finden, wobei die Kamera aus der Vogelperspektive und in langsamer Geschwindigkeit über das Geschehen schwenkt. Dadurch entsteht der Eindruck eines Beobachters, welcher aus der Ferne seinen Blick über die hypothetische Zukunft schweifen lässt. Anders verhält es sich im Hinblick auf die dystopischen Bilder. Der Wechsel von Nah – und Panoramaaufnahmen suggeriert die Nähe zu dem abgebildeten Geschehen. Dieses Phänomen wird durch den abwechselnden Einsatz der Vogelperspektive und der Normalsicht verstärkt. Durch diese Darstellung befindet sich der*die Rezipient*in mitten im Geschehen, wodurch der reale Bezug des Bildmaterials nochmals hervorgehoben wird.

Um die Charakteristika der gegensätzlichen Genres zu unterstreichen, nutzen Dokumentarfilmer*innen verschiedene Möglichkeiten innerhalb der Postproduktion. Besonders auffällig sind die Unterschiede im Hinblick auf die farbliche Gestaltung des Bildmaterials, den Einsatz der Musik und der Einarbeitung von Special Effects. Bei Betrachtung der folgenden Bilder aus dem Film Ein Leben auf unserem Planeten, lässt sich sofort erahnen, welches sich der utopischen oder dystopischen Darstellung zuordnen lässt.

(Bild Farbgebung)

Die hellen, bunten und kräftigen Farben sind in utopischen Szenen zu finden. Vor allem die extreme Helligkeit führt dazu, dass diese traumhaft anmuten und sich somit von der Realität differenzieren. Besonders auffällig sind dabei die kräftigen Grüntöne, welche die Lebendigkeit der Natur betonen. Das Farbschema sorgt somit für die Untermalung der positiv dargestellten Zukunft. Im Gegensatz dazu stehen die dunklen Farben in dystopischen Darstellungen. Diese werden von Schwarz, Braun- und Grautönen dominiert. Da die Farbintensität sehr gering ausfällt, wirken auch bunte Farben farblos und trist, wodurch allgemein eine düstere Atmosphäre geschaffen wird. Um diesen düsteren Charakter zu verstärken, wird in einigen Dokumentationen zusätzlich mit Masken gearbeitet. In der Dokumentation Eine Welt ohne Insektensterben tritt dieser Effekt durch einen geschwärzten Bildrand auf.

Ähnliche atmosphärische Effekte werden durch die musikalische Gestaltung erzeugt. Die Inszenierung der besseren Zukunft wird unterstützt durch leise, melodische Hintergrundmusik. Durch helle, hohe Töne wird eine fröhliche Atmosphäre geschaffen. Wohingegen sich die musikalische Gestaltung in dystopischen Szenen sich eher durch dunkle und tiefe Töne auszeichnet. Diese sind weniger melodisch, sondern fallen durch steigende und abfallende Lautstärke sowie einzelne Akzente auf, wodurch eine bedrohliche Stimmung entsteht.

Der Einsatz von special effects ist zwar nicht typisch für Dokumentarfilme, dennoch sind sie in Einzelfällen vorhanden. Im Hinblick auf die Dystopie können im Film Eine Welt ohne Insektensterben einige Flimmereffekte beobachtet werden. In Zusammenspiel mit den bereits erwähnten musikalischen Akzenten, wird damit nicht nur eine düstere, sondern eine horrormäßige Atmosphäre geschaffen, wodurch die Situation des Klimawandels weiter dramatisiert wird.

Alle aufgeführten kinematografischen Elemente der beiden Zukunftsvisionen zielen darauf ab, eine bestimmte Stimmung und Atmosphäre zu erzeugen. Besonders die dystopischen Szenen fungieren als ein abschreckendes Szenario , um die Rezipient*innen zum Nachdenken und im besten Fall zum Handeln zu motivieren. Die utopische Darstellung verfolgt das selbe Ziel, nur mit einer anderen Herangehensweise, indem sie einen Anreiz für die Verhaltensänderung bietet. Die Dokumentation dient somit nicht nur als Informationsquelle, sondern auch als Handlungsaufforderung. Es bleibt jedoch noch die Frage offen, ob im Hinblick auf die doch deutlich inszenierte Darstellung der Dystopie und Utopie , überhaupt noch von einer Dokumentation gesprochen werden kann.

Science Fiction oder Doku?


Weltuntergangsszenarien, eine vollkommen technologisierte Gesellschaft oder das Leben im Weltall. Der Fantasie sind in Science Fiction Filmen keine Grenzen gesetzt, wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht, welche häufig als Dystopie oder Utopie dargestellt werden. Bei Betrachtung der Zukunftsszenen in den Dokumentationen basieren die behandelten Themen sogar auf ähnlichen Grundlagen. Das gleiche Phänomen ist auf der Seite der kinematografischen Elemente zu erkennen. In den Dokumentationen sind die Bildausschnitte dramatisch inszeniert und geschnitten, die Realität wird neu kontextualisiert, es kommen Computeranimationen und in einigen Fällen sogar special effects zum Einsatz.

Dennoch werden die Filme der Gattung Dokumentationsfilm zugeordnet. Der bedeutsamste Unterschied zu Spielfilmen liegt darin, dass keine fiktionale Wirklichkeit erschaffen wird, sondern die Dargestellte einen Teil unseren realen Lebenswelt einnimmt. Diese kann gegenwärtig oder historisch angesiedelt sein. Außerdem ist es nebensächlich mit welchen Hilfsmitteln die Darstellung der Wirklichkeit erreicht wird. [5]. So weit scheinen die zukünftigen Szenen dem dokumentarischen Charakter durchaus gerecht zu werden und die dramatische Aufmachung stellt keinen direkten Widerspruch dar. Jedoch handelt es sich weder um aktuelle noch historische Lebensumstände, welche abgebildet werden. Könnte somit die dystopische und utopische Zukunftsdarstellung nicht einfach der wilden Fantasie eines Science Fiction Genies entspringen?

Es wäre zu einfach und zudem falsch zu behaupten, Science Fiction Filme sind Fantasiegebilde und Dokumentarfilme bilden die Realität ab. Vor allem Science Fiction Filme basieren häufig auf der technisch-wissenschaftlichen Forschung und orientieren sich an dessen Möglichkeiten. Somit sind reale wissenschaftliche Prognosen nicht immer von den Stoffen des Spielfilmgenres zu trennen. Ähnlich verhält es sich in den utopischen und dystopischen Darstellung im Dokumentarfilm, sie bedienen sich ebenfalls an den Verfahren der Science Fiction Filme, indem sie ihren Zukunftsvisionen wissenschaftlich fundierte Informationen zu Grunde legen. Diese Tatsache wird in dem Film David Attenborough auch dem*der Rezipient*in vermittelt. Durch den einleitenden Satz: „Wenn ich heute zur Welt käme, würde ich nach Einschätzung der Wissenschaftler folgendes erleben.“, wird suggeriert, dass die folgenden dystopischen Szenen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Hieran lässt sich verdeutlichen, dass Utopien bzw. Dystopien eine Vermischung von fiktiven und nicht fiktiven Inhalten fordern. Der springende Punkt ist jedoch, dass die Fiktion auf die reale Gegenwart hindeuten muss, welche von dem*der Zuschauer*in als Realität angenommen wird. Demnach findet in den Zukunftsdarstellung eine Verrückung dieser Realität statt. Da dieses Phänomen sowohl in Science Fiction Filmen, wie auch in den Dystopien und Utopien vorliegt, bleibt weiterhin die Frage offen, inwiefern sie voneinander abgegrenzt werden können. Der Hauptunterschied liegt im Endeffekt bei der Rezeption. Vor der Sichtung eines Films wird ein geistiger Vertrag zwischen Filmemacher*in und Rezipient*in geschlossen. Durch diesen wird eine bestimmte Erwartungshaltung evoziert, indem sich der*die Zuschauer*in über die Art des Films und seinen fiktionalen Charakter bewusst wird. Bei Dokumentarfilmen ist die Haltung eher distanziert, da der Bezug zur Realität das Eintauchen in eine filmische Fantasiewelt verhindert. Dieser Aspekt ist in Science Fiction Filmen nicht in dem Ausmaß gegeben. Trotz Bezügen zur außerfilmischen Realität, unterscheidet sich die Erwartungshaltung, wobei eher Unterhaltung und Filmvergnügen im Fokus stehen.

Um die Frage „Science Fiction oder Doku?“ abschließend zu beantworten, lässt sich festhalten, dass keine eindeutige Entscheidung getroffen werden kann und sich die Gattungen eher gegenseitig beeinflussen, als sich zu trennen. Ungeachtet ob Science Fiction oder nicht, im Hinblick auf Dokumentarfilme über den Klimawandel spielt die Darstellung von Utopien und vor allem Dystopien eine wichtige Rolle. Durch sie werden die Entwicklungen der Realität weiter gedacht und verdeutlichen die dramatische Lage, in der wir uns befinden.


Belege

  1. Zemanek, Evi (2008): Ökologische Genres und Schreibmodi. Naturästhetische, umweltethische und wissenspoetische Muster. In: Zemanek, Evi (Herausgeberin) (Hrsg.): Ökologische Genres : Naturästhetik – Umweltethik – Wissenspoetik, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 40.
  2. David Attenborough (2020): David Attenborough: Ein Leben auf unserem Planeten. Vereinigtes Königreich: Altitude Film Entertainment, Netflix, Silverback Films. 01:12:15.
  3. Angela Graas (2020): Eine Welt ohne Insektensterben. Deutschland: BR Fernsehen. 00:00:56.
  4. Angela Graas (2020): Eine Welt ohne Insektensterben. Deutschland: BR Fernsehen. 00:00:56.
  5. Mundhenke, Florian (2017): Zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Zur Repräsentation und Rezeption von Hybrid-Formen. Wiesbaden: Springer VS.