Benutzer: Amira Mehr/Werkstatt
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Auf dieser Seite erfahren Sie, was die Disziplin der Umweltethik ausmacht, mit welchen zentralen Fragen und Begriffen sich die Disziplin auseinandersetzt und wie Positionen der Umweltethik eingeordnet und kategorisiert werden können.
Was ist Umweltethik?
Die Umweltethik (auch: Naturethik, ökologische Ethik) ist eine Teildisziplin der angewandten Ethik, die die (außermenschliche) Umwelt bzw. Natur zum Gegenstand hat. Im Kern steht die Frage nach dem ethisch richten Umgang des Menschen mit der Natur, welche über die traditionelle Ethik hinausgeht, die sich allein mit dem Umgang des Menschen mit dem Menschen befasst[1]. Es wird unterschieden zwischen deskriptiver Umweltethik, welche vorherrschende Wertvorstellungen von Menschen gegenüber der Umwelt beschreibt, und präskriptiver Umweltethik, welche versucht, richtiges Handeln gegenüber der Umwelt zu definieren und zu begründen. Folglich entstehen Überschneidungen mit einer Vielzahl an weiteren philosophischen und ethischen Teildisziplin, wie beispielsweise der Tierethik, Klimaethik, Agrarethik, Wasserethik und der Naturästhetik[2].
Darüber hinaus bedient sich die Umweltethik an Erkenntnissen aus den Gebieten der Naturphilosophie und der Naturwissenschaften[3][4]. Dazu gehören beispielsweise Annahmen über den Naturbegriff, über die Natur des Menschen und über das Mensch-Natur-Verhältnis. Solche Annahmen sind oftmals implizit oder explizit in den Begründungen von umweltethischen Positionen enthalten[5].
Was Umweltethik heutzutage zu einer fortschreitend relevanteren philosophischen Teildisziplin macht, sind die immer stärkeren Eingriffe des Menschen in die Natur und somit die Gefährdung der Existenz des (menschlichen) Lebens auf der Erde[6][7]. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als erste weitreichende Umweltschäden observiert wurden, entstand ein Bewusstsein für und somit eine Kritik an den Eingriffen des Menschen in der Natur – infolgedessen wurde neben Umweltorganisationen und Fachwissenschaften auch die philosophische Disziplin der Umweltethik ins Leben gerufen[8]. Obwohl Umweltethiker*innen auch praktische Ziele verfolgen (z.B. Mitarbeit an Leitlinien, politischer Einfluss, etc.), ist es ihre Hauptaufgabe, auf theoretischer Ebene moralisch richtiges Verhalten gegenüber der Umwelt zu definieren und zu begründen, sowie aktuelles menschliches Verhalten gegenüber der Umwelt zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen[9].
Zentrale Begriffe und Fragen der Umweltethik
Die zentrale Frage der Umweltethik ist, welche natürlichen Entitäten (z.B. Tiere, Pflanzen, Berge, etc.) direkt oder indirekt moralisch berücksichtigt werden sollten. Traditionelle Ethiken der abendländischen Philosophie sind von und für Menschen gemacht und somit anthropozentrisch. Es ist jedoch möglich, weitere Entitäten in die Moralgemeinschaft aufzunehmen. Infolgedessen hätten moralische Personen diesen Entitäten gegenüber ebenso direkte moralische Pflichten wie gegenüber Menschen[10]. Daraus würde nicht automatisch folgen, dass auch diese Entitäten gegenüber allen anderen Entitäten moralische Pflichten hätten. Die sprachliche Unterscheidung zwischen moral agents ("moralisch Handelnde") und moral patients ("moralisch Behandelte") macht dies deutlich.
Allerdings kann auch ohne eine Erweiterung der Moralgemeinschaft Umweltschutz ethisch gerechtfertigt werden. Allerdings gäbe es dann nur indirekte Pflichten gegenüber natürlichen Entitäten „in Ansehung“ jener Entitäten, die der Moralgemeinschaft angehören[11]. So ist es beispielsweise denkbar, Wälder allein deshalb schützen zu wollen, um Rohstoffe für künftige Generationen von Menschen zu erhalten oder ihnen angenehme Spaziergänge im Wald zu ermöglichen.
Welche Entitäten in die Moralgemeinschaft aufgenommen werden, d.h. welche „Reichweite“[12] eine Umweltethik aufweist, wird meist darüber begründet, ob diese einen moralischen Eigenwert, also intrinsischen Wert besitzen[13][14]. Intrinsischer Wert meint dabei einen der Entität innewohnenden Eigenwert, der unabhängig vom Menschen ist. Einige Autor*innen bestreiten, dass es etwas Derartiges überhaupt gibt. Es steht zu Debatte, ob die Existenz wertender Menschen eine allgemeine Voraussetzung dafür ist, dass (in diesem Sinne relationale) Werte in der Natur existieren (epistemischer Wertanthropozentrismus), oder ob auch ohne wertende Menschen (in diesem Sinne absolute) Werte in der Natur existieren können (epistemischer Wertphysiozentrismus)[15].
Das Gegenstück zum intrinsischen Wert ist der instrumentelle Wert. Entitäten besitzen instrumentellen Wert, wenn sie für den Menschen wertvoll oder nützlich sind[16]. So sind beispielsweise Bäume von instrumentellem Wert für den Menschen, da sie zu Möbeln oder Papier verarbeitet werden können.
Einige Autor*innen sprechen zusätzlich von einer dritten Wertkategorie, dem eudaimonistischen Wert[17]. Auch die Frage nach eudaimonistischen Werten ist Teil der traditionellen Ethik. Die eudaimonistische Ethik hat zum Ziel, Konzeptionen eines guten oder glücklichen Lebens zu erarbeiten[18]. Übertragen auf die Domäne der Umweltethik sind Entitäten demnach von eudaimonistischem Wert, wenn der Mensch sie als „Komponenten eines guten Lebens wertschätz[t]“[19] und sie nicht substituierbar sind, wie beispielsweise der Anblick einer schönen Meereslandschaft. Obgleich es sich dabei um einen Eigenwert von Naturentitäten handelt, ist dieser ästhetischer und nicht moralischer Art. Es bedarf eines Menschen, der mittels ästhetischer Kontemplation diesen Wert erkennt, damit sich eine moralische Dimension eröffnet, insofern als dass das gute Leben des betrachtenden Menschen moralischen Wert hat[20].
Eine Taxonomie Umweltethischer Positionen
Gängige umweltethische Positionen lassen sich in einem sogenannten „Argumentationsraum der Umweltethik“[21] oder einer „Argumentationslandschaft“[22] verorten. Diese liefern eine Basis, um die Ansätze einzelner Autor*innen zu kategorisieren. Die meisten Positionen lassen sich entlang des Inklusionsproblems ordnen, d.h. je nachdem, welchen natürlichen Entitäten moralischer Eigenwert und somit direkte moralische Berücksichtigung zugesprochen wird. Die erste Stufe, der Anthropozentrismus, betrachtet allein den Menschen als Entität mit moralischem Eigenwert. Jede weitere Stufe schließt die Entitäten der vorherigen Stufe und darüber hinaus zusätzliche weitere Entitäten ein. So werden von pathozentrischen Ansätzen (auch: sentientistisch) alle empfindungsfähigen Lebewesen berücksichtigt, von biozentrischen Ansätzen alle Lebewesen, von physiozentrischen Ansätzen sogar unbelebte Entitäten wie Berge oder Flüsse und von holistischen bzw. ökozentrischen Ansätzen Ökosysteme als Ganzes[23][24]. Als einflussreiche Vertreter*innen des Biozentrismus gelten im deutschen Sprachraum Hans Jonas und Albert Schweizer.
Darüber hinaus können die verschiedenen argumentativen Ansätze auch methodisch in zwei Kategorien untergliedert werden. Epistemisch anthropozentrische Ausdehnungsargumente setzen an der herkömmlichen zwischenmenschlichen Moraltheorie an und versuchen darauf aufbauend zusätzliche Naturentitäten in bestehende Moralsysteme aufzunehmen[25]. Absolute Argumente hingegen funktionieren „von außen nach innen; die absolute Wertordnung der Natur soll als verbindliche Instanz für den menschlichen Umgang mit der Natur und letztlich auch für die zwischenmenschliche Praxis erkannt werden“[26].
Eine weitere, vom Inklusionsproblem unabhängige Begründungsstruktur sind theozentrische Ansätze, die mit religiösen und spirituellen Argumenten arbeiten. Jenseits des Inklusionsproblems gibt es weitere Systematisierungsansätze für umweltethische Positionen. So wird beispielsweise unterschieden zwischen individualistischen und ganzheitlichen Ansätzen, zwischen egalitären und gradualistischen Ansätzen sowie zwischen kantianischen und utilitaristischen Ansätzen. Während individualistische Ansätze nur Individuen als Wertträger*innen anerkennen, betrachten ganzheitliche Ansätze (auch) Ganzheiten, wie Ökosysteme oder Arten[27]. Ökozentrische und holistische Ansätze zählen zu den ganzheitlichen Ansätzen, während anthropozentrische, pathozentrische und biozentrische Ansätze individualistischer Art sind.
Im Rahmen von egalitären Ansätzen wird allen Wertträger*innen im selben Maße intrinsischer Wert zugewiesen; gradualistische/hierarchische Ansätze hingegen lassen Abstufungen bzw. Hierarchien zu, die es erlauben, in Konfliktsituationen gewissen Wertträger*innen ein höheres Schutzrecht zu gewähren[28]. Autor*innen wie Paul W. Taylor und David Ehrenfeld vertreten beispielsweise einen strengen biozentrischen Egalitarismus und schreiben in der Tat allen Lebewesen denselben Eigenwert zu[29][30][31]. In der Praxis würde dies bedeuten, dass bei Befolgung einer solchen Ethik ein Menschenleben mit dem Leben eines oder mehrerer Tiere, Pflanzen oder gar Bakterien aufgerechnet werden müsste. Das Feld der Medizin würde in diesem Fall zu einem „unmoralischen Geschäft“[32]. Robin Attfield hingegen vertritt einen biozentrischen Gradualismus, in dem er zwar allen Lebewesen den gleichen Eigenwert zuspricht, jedoch eine nach Organisationshöhe abgestufte moralische Signifikanz[33][34]. Dieser Gedanke erweist sich als spannend in der Praxis, in der häufig die Interessen unterschiedlicher Entitäten gegeneinander abgewogen werden müssen, wie beispielsweise auch bei der Abwägung zwischen Umweltschutz und Gerechtigkeitsanliegen zwischen Menschen[35].
Umweltethik in der Praxis
Für die praktische Anwendung von umweltethischen Ansätzen ist die zentrale Frage, welche Forderungen sich für menschliches Handeln ergeben. Trotz unterschiedlicher Begründungsstrukturen gelangen Ethiken unterschiedlicher Art nicht selten zu ähnlichen oder gar denselben Handlungsempfehlungen[36]. So kann sich eine Person beispielsweise für den Schutz von Wäldern einsetzen, um das Ökosystem Wald zu erhalten (ökozentrisch/holistisch), um Tieren und anderen Lebewesen einen Lebensraum zu gewährleisten (pathozentrisch/biozentrisch) oder um CO2 aus der Atmosphäre zu binden, was wiederum dem Menschen zugutekommt (anthropozentrisch). Die Konvergenzhypothese nach Brian G. Norton besagt sogar, dass im Großen und Ganzen die gleichen Handlungsempfehlungen von allen Umweltethiken nahegelegt werden[37][38].
Zudem gibt es grundsätzlich unterschiedliche Positionen dazu, inwieweit der Mensch überhaupt in den Lauf der Natur eingreifen sollte. Während einige Autor*innen die Natur sich selbst überlassen möchten und beispielsweise das natürliche Aussterben von Arten nicht verhindern möchten, halten andere ein aktives Eingreifen für richtig[39]. Ein Beispiel für erstere Überzeugung ist das Nature-Knows-Best-Argument, welches besagt, dass die Natur alles selbst am besten regeln könne, während technische Eingriffe durch den Menschen im Umweltschutz weniger effektiv oder gar schädlich seien“[40].
Einige Autor*innen fordern allein negative Pflichten (auch: Unterlassungspflichten) gegenüber der Natur, d.h. Pflichten, der Natur nicht aktiv Leid zuzufügen. Fordern Personen hingegen auch ein Eingreifen in die Natur, um bestehendes Leid zu vermindern, so spricht man von positiven Pflichten[41]. Darüber hinaus gibt es eine Unterscheidung zwischen konservativem und progressivem Naturschutz[42]. Konservative Naturschützer*innen haben es zum Ziel, bereits existierende Naturbestandteile zu erhalten, während progressive Naturschützer*innen darüber hinaus (auch) neue wertvolle Naturbestandteile erschaffen möchten.
Belege
- ↑ Krebs, Angelika (1997): Naturethik im Überblick. In: Angelika Krebs (Hrsg.): Naturethik, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, S. 337-379.
- ↑ Ott, Konrad, Dierks, Jan & Voget-Kleschin, Lieske (2016): Einleitung. In: Konrad Ott, Jan Dierks & Lieske Voget-Kleschin (Hrsg.): Handbuch Umweltethik, Stuttgart: J. B. Metzler, S. 1-19.
- ↑ Frankena, William K. (1997): Ethik und die Umwelt. In: Angelika Krebs (Hrsg.): Naturethik, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, S. 271-295.
- ↑ Köchy, Kristian (2016): Natur/Umwelt. In: Konrad Ott, Jan Dierks & Lieske Voget-Kleschin (Hrsg.): Handbuch Umweltethik, Stuttgart: J. B. Metzler, S. 20-25.
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- ↑ Ott, Konrad, Dierks, Jan & Voget-Kleschin, Lieske (2016): Einleitung. In: Konrad Ott, Jan Dierks & Lieske Voget-Kleschin (Hrsg.): Handbuch Umweltethik, Stuttgart: J. B. Metzler, S. 1-19.
- ↑ Wilson, Edward O. (1984): Biophilia. Cambridge, MA: Harvard University Press.
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- ↑ Birnbacher, Dieter (2011): Natur und Umwelt schützen – vor dem Menschen oder für den Menschen?. In: Johann S. Ach, Kurt Bayertz & Ludwig Siep (Hrsg.): Grundkurs Ethik – Band II: Anwendungen, Paderborn: mentis, S. 67-80.
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- ↑ Ehrenfeld, David (1997): Das Naturschutzdilemma. In: Dieter Birnbacher (Hrsg.): Ökophilosophie, Stuttgart: Reclam, S. 135-177.
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- ↑ Krebs, Angelika (1997): Naturethik im Überblick. In: Angelika Krebs (Hrsg.): Naturethik, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, S. 337-379.
- ↑ Attfield, Robin (1997): Biozentrismus, moralischer Status und moralische Signifikanz. In: Dieter Birnbacher (Hrsg.): Ökophilosophie, Stuttgart: Reclam, S. 117-134.
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- ↑ Norton, Brian G. (1991): Toward Unity Among Environmentalists. New York: Oxford University Press USA.
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