Benutzer: Tobias Kolle/werkstatt
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Die Waldbrände in Kalifornien 2020 werden aufgrund ihres ungewöhnlich großen Ausmaßes mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Sie erreichten eine große mediale Aufmerksamkeit und wurden so zu einem wichtigen Ereignis im Klimawandeldiskurs im Jahr 2020. Unter anderem wurde von den Online-Ablegern der Presseorgane Der Spiegel und die tageszeitung (taz) über die Waldbrände berichtet. Die Online-Berichterstattung dieser beiden Presseorgane wurde hinsichtlich des von ihnen vermittelten Wissens über den Klimawandel analysiert. Betrachtet wurde dabei die Berichterstattung im Zeitraum vom 15.09.2020 bis 18.09.2020. Neben den Waldbränden in Kalifornien stand zu dieser Zeit auch das Klimaziel der Europäischen Union im Fokus der medialen Aufmerksamkeit.
Pressetextanalysen
Methode
Für die Analyse der Pressetexte wurde das Textsemantische Analyseraster (TextSem) von Andreas Gardt herangezogen. Es handelt sich dabei um eine Zusammenführung verschiedener Aspekte, die sich auf die Bedeutungskonstitution von Texten auswirken. Diese lassen sich in drei Bereiche einordnen: den kommunikativ-pragmatischen Rahmen, die textuelle Makrostruktur und die textuelle Mikrostruktur.[1]
Theoretische Grundlage
Das theoretische Fundament für die Analyse bildet die Position des Sprachphilosophen John Searle. Diese sieht eine Unterscheidung von rohen und institutionellen Tatsachen vor, mit denen sich eben jene soziale Wirklichkeit beschreiben lässt, in die auch der gesellschaftliche Umgang mit dem Klimawandel und damit die Berichterstattung von Spiegel und taz eingebettet ist.
Textkorpus
Für die Analyse der Berichterstattung über den Klimawandel von Spiegel und taz wurden 18 bzw. 14 Artikel analysiert, von denen sich 6 bzw. 3 explizit auf die Waldbrände in Kalifornien beziehen. Die Artikel sind über die jeweiligen Online-Archive frei zugänglich und im Zeitraum vom 15.09.2020 bis 18.09.2020 erschienen. Die Artikel des Spiegels verteilen sich auf fünf verschiedene Ressorts: „Kultur“ (2), „Panorama“ (1), „Politik“ (7), „Wirtschaft“ (1) und „Wissenschaft“ (7). Die Artikel der taz verteilen sich auf die Ressorts “Öko” (10), “Politik” (3) und “Nord” (1).
Analyseergebnisse
spiegel.de
Die Berichterstattung des Spiegels zu den Waldbränden in Kalifornien, aber auch zum Klimawandel allgemein zeichnet sich durch eine Kombination mehrerer Aspekte aus. Zunächst liegt dem Spiegel daran, möglichst synchron über ein bestimmtes Ereignis zu berichten, welches mit dem Klimawandel zusammenhängt. Das Ereignis wird im Rahmen einer Informationsverdichtung zunehmend multiperspektiviert und multilokalisiert. So kommen Vertreter*innen unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche zu Wort, während gleichzeitig auch verschiedene gesellschaftliche Ebenen wie Wirtschaft und Politik berücksichtigt werden. Die Multilokalisierung äußert sich unter anderem auch durch die breite Ressort-Verteilung der Artikel, die für die Analyse herangezogen wurden. Die mit einem Ereignis zusammenhängenden institutionellen Gegebenheiten rücken durch die Hervorhebung einzelner Personen meist in den Hintergrund. Beispielsweise wird der ehemalige US-Präsident Donald Trump in zwei Beiträgen hervorgehoben.[2][3] Politische Institutionen werden so in induktiver Weise dargestellt. Dies sorgt für eine Komplexitätsreduktion. Die Hervorhebung einzelner Personen gerade im politischen Kontext lässt dabei allerdings das Narrativ entstehen, die Geschicke der Welt in Bezug auf den Klimawandel lägen in den Händen einzelner Personen. Die mikroanalytische Betrachtung der Texte des Spiegels ergab diesbezüglich ein deduktives Vorgehen, bei dem von einem größeren Kontext ausgehend eine immer kleinere Ebene betrachtet wird. Sowohl das induktive als auch das deduktive Vorgehen sind in der Darstellung unter „Komplexitätsreduktion“ berücksichtigt. Multiperspektivierung und Multilokalisierung sind unter dem Begriff „Multiplikation” zusammengefasst:
Zieht man nun Searles Terminologie von rohen und institutionellen Tatsachen heran, so lässt sich beobachten, dass der Spiegel nach und nach ein Argumentationsschema errichtet, welches zunächst von rohen Tatsachen, wie den Waldbränden, ausgeht. Die Veränderung oder zukünftige Verhinderung dieser erfordert institutionelle Tatsachen, wie beispielsweise die politische Anordnung einer Umstellung auf erneuerbare Energien. Diese werden entweder durch eine Handlungsempfehlung von Expert*innen oder anderen Politiker*innen gefordert oder von der verantwortlichen Politik selbst initiiert. Die Handlungsempfehlung ergibt sich dabei aus der zunehmenden Verdichtung durch eine synchrone, multiperspektivische, multilokale und komplexitätsreduzierende Berichterstattung.
„Die Mächtigen der Welt müssen nicht in Panik verfallen, nur mit kühlem Kopf das Richtige tun. So zynisch das klingt, vielleicht kann diese Katastrophe dabei helfen.“ (spiegel.de am 16.09.2020) [4]
Ob die Handlungsempfehlung jedoch tatsächlich zu neuen oder veränderten rohen Tatsachen führen bleibt offen. Diese auch teils mit Spekulationen gespickte Art der Berichterstattung ermöglicht es dem Spiegel immer wieder an offene Enden anzuknüpfen. Die Anknüpfbarkeit der Berichterstattung des Spiegels lässt sich folgendermaßen illustrieren:
taz.de
Der Klimawandel und damit auch die Waldbrände in Kalifornien stellen für die taz eine durchaus emotionale Thematik dar. Die taz berichtet nicht nur über den Klimawandel, sondern setzt sich auch aktiv mit ihrer Rolle im Klimawandeldiskurs auseinander. Dabei erkennt sie auch das konstruktivistische Potential dieses Diskurses. In diesem Zusammenhang setzt sie sich für eine sprachlich klimagerechte Berichterstattung ein.[5] Daneben bietet sie Klimaaktivist*innen, Klimaforscher*innen und auch Politiker*innen (des links-grünen Parteienspektrums) eine Plattform für ihre Perspektiven zum Klimawandel.[6] Statt in Bezug auf den Klimawandel lediglich zu beschreiben oder auch Handlungsempfehlungen auszusprechen, sieht sich die taz auch selbst in der Pflicht zu handeln. Ihre Einstellung gibt sie an ihre Leser*innenschaft weiter, mit dem Ziel einer klimagerechten Gesellschaft. Das Wertekonzept der Klimagerechtigkeit stellt damit ein zentrales Anliegen der taz dar. Die abgebildete Darstellung des Berichterstattungsprofils der taz verdeutlicht den Weg zu diesem Ziel:
In Bezug auf Searles Tatsachenunterscheidung zeigt die Analyse, dass die taz in ihrer Berichterstattung zu großen Teilen institutionelle Tatsachen aufgreift bzw. Themen auf einer institutionellen Ebene betrachtet. Das Einbeziehen des Klimaaktivismus dient der taz dabei als vermittelndes Element zwischen der Klimawissenschaft und der Politik und damit auch zwischen der Klimawissenschaft und der Gesellschaft. Die Klimawissenschaft warnt die Gesellschaft, deren Teil Politik und Klimaaktivismus sind. Die Warnung wird vor allem vom Klimaaktivismus aufgenommen, der daraufhin klimapolitische Vorgänge kritisiert, neue klimapolitische Maßnahmen fordert und sich darum bemüht aufzuklären. Besonders ist dies der Fall, wenn es zu einem Ereignis kommt, das mit dem Klimawandel in Zusammenhang steht (z. B. Waldbrände in Kalifornien) oder neue Klimaschutzmaßnahmen beschlossen werden.
„Da helfen am Ende keine Bilder, da hilft wohl nur beharrliche Aufklärung. ‘United behind the Science’ – höchste Zeit, dass die Fridays-for-Future-Kids wieder aus dem Lockdown kommen und den kindischen Wunderglauben der Alten unter Feuer nehmen.“ (taz.de am 16.09.2020) [7]
Im Idealfall sollen die Aufklärung und neu formulierten Klimaschutzmaßnahmen dann zu einer klimagerechten Gesellschaft führen. Werden die Klimaschutzmaßnahmen jedoch in ihrem Status Quo belassen und gelingt die Aufklärung über Klimaereignisse nicht, führt dies zu keiner Veränderung und damit bleibt es bei einer Gesellschaft, die den Klimawandel reproduziert.
Fazit
Die Analysen der Berichterstattung des Spiegels und der taz zeigen, dass sich durchaus unterschiedliche Perspektiven auf den Klimawandel und mit ihm in Verbindung stehende Ereignisse ergeben. Grundsätzlich festhalten lässt sich dabei allerdings, dass beide Nachrichtenmedien das Problem ‚Klimawandel‘ für lösbar halten. Sie präsentieren dafür jedoch unterschiedliche Ansätze. Der Spiegel nimmt vor allem die Politik in den Blick und weist ihr eine zentrale Rolle in Bezug auf den Klimawandel zu. Ihr gegenüber werden Handlungsempfehlungen von verschiedenen gesellschaftlichen Vertreter*innen ausgesprochen. Die taz nimmt hingegen die Gesellschaft als Ganze in den Blick. Sie analysiert den Umgang der Gesellschaft mit dem Klimawandel und hebt dabei besonders den Klimaaktivismus hervor, der die Gesellschaft bezüglich eines klimagerechten Verhaltens aufklären soll. In Bezug auf John Searles Unterscheidung von rohen und institutionellen Tatsachen lassen sich ebenfalls unterschiedliche Schwerpunkte in der Berichterstattung der beiden Nachrichtenmedien feststellen. Der Spiegel bewegt sich bei der Berichterstattung tendenziell zwischen rohen und institutionellen Tatsachen. Die taz legt einen starken Fokus auf institutionelle Tatsachen. Zwar geht auch sie auf rohe Tatsachen ein, doch stellen diese nur einen Ausgangspunkt für eine analytische Betrachtung der institutionellen Realität um sie herum dar.
Belege
- ↑ Gardt, Andreas (2012): Textsemantik. Methoden der Bedeutungserschließung. In: Jochen A. Bär & Marcus Müller (Hrsg.): Geschichte der Sprache, Sprache der Geschichte: Probleme und Perspektiven der historischen Sprachwissenschaft des Deutschen. Oskar Reichmann zum 75. Geburtstag. Berlin: Akademie, 61-82.
- ↑ Stukenberg, Kurt (2020): Die Katastrophe ist da…. In: Der Spiegel. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
- ↑ Pitzke, Marc (2020): Die Ignoranz. In: Der Spiegel. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
- ↑ Pitzke, Marc (2020): Die Ignoranz. In: Der Spiegel. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
- ↑ Schöneberg, Kai; Schäfer Torsten (2020): Besser übers Klima schreiben. In: taz. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
- ↑ n/a (2020): Klimagerechtigkeit. In: taz. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
- ↑ Werning, Heiko (2020): Alle mal wegschauen. In: taz. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
Autor*innen
Erstfassung: Tobias Kolle am 26.03.2021. Den genauen Verlauf aller Bearbeitungsschritte können Sie der Versionsgeschichte des Artikels entnehmen; mögliche inhaltliche Diskussionen sind auf der [[Diskussion:Benutzer:Tobias Kolle/werkstatt|Diskussionsseite]] einsehbar.
Zitiervorlage:
Kolle, Tobias ({{{Bearbeitung-Jahr}}}): werkstatt. In: Böhm, Felix; Böhnert, Martin; Reszke, Paul (Hrsg.): Climate Thinking – Ein Living Handbook. Kassel: Universität Kassel. URL=https://wiki.climate-thinking.de/index.php?title=Benutzer:Tobias Kolle/werkstatt, zuletzt abgerufen am 23.11.2024.