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==Definition der Begriffe==
 
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===Politisch===
 
===Politisch===
Das Wort ‚politisch‘ ist grundsätzlich als Adjektiv zu verstehen, welches etwas beschreibt, dass die Politik betrifft <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=politisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/politisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref>. Weiterhin kann es als „auf ein Ziel gerichtet, klug und berechnend“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=politisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/politisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref> verstanden werden. Seine Herkunft findet das Wort im Griechischen. „politikós“ steht dabei in Bezug auf die Staatsverwaltung oder für die Bürgerschaft <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=politisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/politisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref>.
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Das Wort ‘politisch’ leitet sich vom Substantiv ‘Politik’ ab und ist als Adjektiv zu verstehen, welches etwas beschreibt, dass die Politik betrifft <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=politisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/politisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref>.  
 
===Ästhetisch===
 
===Ästhetisch===
Das Wort ‚ästhetisch‘ bildet das Adjektiv zum Substantiv ‚Ästhetisch‘ und ist dadurch in erster Linie als „den Gesetzen der Ästhetik entsprechend“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=ästhetisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/aesthetisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref> zu verstehen. Gleichzeitig bedeutet dies eine Auslegung des Begriffs als „stilvoll, schön, geschmackvoll, ansprechend“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=ästhetisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/aesthetisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref>.
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Das Wort ‘ästhetisch’ bildet das Adjektiv zum Substantiv ‘Ästhetik’. Die Ästhetik leitet sich aus dem griechischen “aisthētikḗ”, der “Wissenschaft vom sinnlich Wahrnehmbaren”<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=ästhetisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/aesthetisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref> ab und kann als “[...] philosophische Disziplin, die nach Eigenart und Bedeutung einer [...] ästhetische Erfahrung bezeichneten Form wahrnehmenden Erlebens und/oder nach Eigenart, Zweck und Wert der Gegenstände dieser Erfahrung, bes. der Kunst, fragt[...] <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=49 }}</ref> ausgelegt werden.
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==Ausführliche Informationen zu den Begriffen==
 
==Ausführliche Informationen zu den Begriffen==
Auf den ersten Blick sind die Begriffe ‚politisch‘ und ‚ästhetisch‘ im Kontext der Literatur, spezifisch der Klimaliteratur, nicht einfach einzuordnen. Bei genauerer Betrachtung ist eine Auslegung möglich, bei der ‚politisch‘ mit der ‚littérature engagée‘ gleichgesetzt wird, ‚ästhetisch‘ hingegen das Prinzip von ‚l’art pour l’art‘ repräsentiert.
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Auf den ersten Blick ist die Auslegung von ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ sowohl im Allgemeinen, als auch im Bezug auf die Literatur als Gegensatzpaar nicht direkt nachvollziehbar. Setzt man ‘politisch’ jedoch mit der ‘litérature engagée’ und ‘ästhetisch’ mit dem Prinzip von ‘l’art pour l’art’ gleich, so werden die Wörter als Gegensatzpaar erkenntlicher.
Der Begriff ‚littérature engagée‘ kommt aus dem Französischen und beschreibt die engagierte Literatur. Als engagierte Literatur lassen sich (vorrangig) belletristische Werke bezeichnen, welche den Anspruch haben, dem Leser ein spezifisches Interesse nahe zu legen. Engagierte Literatur kann also als eine Form der Literatur verstanden <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=190 }}</ref>. Die engagierte Literatur verfolgt somit immer ein Ziel. Das literarische Werk soll beim Leser ein Nachdenken über das Geschriebene auslösen, sodass seine eigenen Überzeugungen reflektiert werden und schlussendlich eine Handlungsmotivation entsteht. Bezogen auf die Klimaliteratur ist das Ziel der engagierten Literatur verschieden auszulegen. Es sollen dem Leser die Gründe und Auswirkungen des Klimawandels näher gebracht werden, aber auch dazu anleiten, selbst in Aktion zu treten und das eigene Leben klimafreundlicher zu gestalten, also ein nachhaltigeres Denken anregen. Im Besten Falle ist die Überzeugung des Werkes so mächtig, dass der Leser sich aktiv für den Klimaschutz einsetzt.  
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Der Begriff ‚litérature engagée‘ stammt aus dem Französischen und beschreibt die engagierte Literatur. Der Franzose Jean-Paul Sartre hat den Ausdruck mit seiner Definition als “[...] Forderung nach einer gesellschaftlichen Positionierung der Lit[eratur]” <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=190 }}</ref> geprägt. Nach Sartre sei jedem/jeder Verfasser*in selbst überlassen, ob diese Positionierung von religiöser, sozialer oder politischer Natur sein sollte <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=190 }}</ref>.
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Als engagierte Literatur lassen sich also literarische Werke bezeichnen, welche den Anspruch haben, dem Leser ein spezifisches Interesse nahe zu legen<ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=190 }}</ref>. In der engagierten Literatur sind häufig Handlungsaufforderungen zu finden, welche der Positionierung des Textes entsprechen. Auch in der Klimaliteratur sind solche Handlungsaufforderungen anzutreffen und sind in der Regel politischer Natur.
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Der Begriff ‚l’art pour l’art‘ stammt ebenfalls aus dem Französischen und bedeutet wortwörtlich übersetzt „die Kunst für die Kunst“. Sinngemäß ist dies als „die Kunst um der Kunst willen“ zu verstehen: „L’art pour l’art, [ist eine] Formel, die […] die Autonomie der Kunst gegen jegliche außerästhetischen (z. B. moralischen, religiösen oder politischen) Zwecke propagiert und das Schöne zum alleinigen Gestaltungsprinzip erklärt.“  <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=420 }}</ref>. Der Begriff ‘ästhetisch’ kann neben der zuvor genannten Definition weiterhin als „stilvoll, schön, geschmackvoll, ansprechend“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=ästhetisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/aesthetisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref> ausgelegt werden. Betrachtet man diese Definition, so wird erkennbar, inwiefern ‘ästhetisch’ im Kontext der Literatur mit dem Prinzip der ‘l’art pour l’art’ gleichgesetzt werden kann. Zählt man also die Literatur zur Kunst dazu, ergibt sich durch die ästhetische Literatur ein Gegensatz zur engagierten Literatur.
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Betrachtet man die Klimaliteratur mit Blick auf das Gegensatzpaar ‚ästhetisch‘ und ‚politisch‘ gilt es zu überlegen, ob die literarischen Werke der Klimaliteratur der engagierten oder der ästhetischen Literatur zuzuordnen sind.
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==Detailierte Analyse des Gegensatzpaares anhand ausgewählter Beispiele aus der Klimaliteratur==
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Ein Beispiel für ästhetische Klimaliteratur lässt sich in der Lyrik von Marion Poschmann finden. In ihrem Werk „Nimbus“ (2020) behandelt die Autorin den Klimawandel in Form von Gedichten. Die Dichtungen Poschmanns verweisen unter anderem auf das Eisschmelzen: <blockquote>„Noch gestern hielt ich mich in tiefverschneiten/ Bergen auf. Jetzt sind sie eingeebnet,/ aufgelöst, ganz schlicht, so wie man einen/ Kühlschrank abtaut. Ich sah Wasser rinnen,/ sah das Eis in Brocken von den Wänden/ brechen, alles fiel zu Tal und wurde/ flüssig, wurde Tal und wurde nichts.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Poschmann, Marion |Titel=Nimbus |Ort=Berlin |Verlag=Suhrkamp Verlag |Jahr=2020 |Seite=9  }}</ref></blockquote> Poschmann bietet den Rezipient*innen mit “Nimbus” die Möglichkeit, durch das lyrische Ich Erfahrungen mit den Folgen des Klimawandels nachzuempfinden und zu beobachten. “Poschmanns Sprache hat etwas Leichtes. Wie Schneekristalle schweben die Worte in die Zeilen, aus denen ihre Gedichte bestehen. Weiß und unberührt aber sind die sprachlichen Gebilde dennoch nicht, können es nicht sein, weil in den Gedichten naturzerstörende Katastrophen zur Sprache kommen.” (QUELLE) Explizite Handlungsaufforderungen bleiben jedoch aus: “Allerdings resultieren daraus keine den Gedichten eingeschriebenen Dringlichkeitsappelle. Nie wird es in Poschmanns Versen fordernd laut – im Gegenteil. Es wird sehr viel geflüstert, manchmal auch nur gehaucht.” <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Opitz, Michael |Titel= Marion Poschmann: “Nimbus” / Gedichte als Schutzraum gegen den Klimawandel |Jahr=2020 |Website=Deutschlandfunk |Online=https://www.deutschlandfunk.de/marion-poschmann-nimbus-gedichte-als-schutzraum-gegen-den-100.html |Abruf=18.02.2022 }}</ref>
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Dystopische Szenarien sind fester Bestandteil der Klimaliteratur. Ein bekanntes Beispiel dafür ist „Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele“ von Suzanne Collins. In ihrem Roman beschreibt Collins eine düstere Zukunft, in der sich Nordamerika aufgrund von unzähligen Klimakatastrophen und Kriegen zu einem Land der Diktatur gewandelt hat. Zu Beginn der Geschichte wird klar betont, dass Naturkatastrophen und deren Auswirkungen zum Untergang Nordamerikas geführt haben, wie es heutzutage bekannt ist, der Schwerpunkt des Romans hingegen liegt bei der Diktatur, welche dort nun herrscht, und den Folgen dieser Regierungsform für die Unterworfenen. Der Fokus wendet sich somit vom Thema Klimawandel und dessen Folgen ab und verfolgt stattdessen über die Trilogie den Kampf der Unterworfenen gegen das Regime, welches sie unterdrückt. Zwar sendet dieser Handlungsverlauf auch eine politische Nachricht, thematisch lässt sich diese aber getrennt zum Thema Klimawandel einordnen. Im Bereich der Klimaliteratur ist Collins Roman demnach als eine Mischform von politisch und ästhetisch einzuordnen.
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[[Datei:SchmelzendesEis.jpg|thumb|Eisschollen, die im Wasser schwimmen.]]
  
Der Begriff ‚l’art pour l’art‘ stammt ebenfalls aus dem Französischen und bedeutet wortwörtlich übersetzt „die Kunst für die Kunst“. Sinngemäß ist dies als „die Kunst um der Kunst willen“ zu verstehen und bildet damit den Gegensatz zur engagierten Literatur, welche immer einen Zweck neben der künstlerischen Aussage selbst verfolgt. Die Kunst um der Kunst willen hingegen steht dafür ein, dass die Kunst selbst Aussage genug ist und verfolgt kein weiteres Motiv: „L’art pour l’art, […] Formel, die […] die Autonomie der Kunst gegen jegliche außerästhetischen (z. B. moralischen, religiösen oder politischen) Zwecke propagiert und das Schöne zum alleinigen Gestaltungsprinzip erklärt.“ <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=420 }}</ref>
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In „Eistau“ von Ilija Trojanow wird – wie u.a. bei Poschmann – das Eisschmelzen beschrieben, jedoch auf andere Art und Weise. Der Roman handelt von Zeno Hintermeier, einem Glaziologen, der nun auf Kreuzfahrtschiffen in der Antarktis den Passagieren Informationen über das Eissterben in Form von Vorträgen und individuellen Erklärungsgesprächen näherbringt. Im Verlauf des Romans spiegeln sich die sichtbaren anthropogenen Umwelteinflüsse wie z.B. das Schmelzen des Eises immer stärker in Zenos psychischem Zustand. Das Gletschersterben geht ihm so nah, wie das Sterben einer geliebten Person.
Betrachtet man die Klimaliteratur mit Blick auf das Gegensatzpaar ‚ästhetisch‘ und ‚politisch‘ gilt es zu überlegen, ob die literarischen Werke der Klimaliteratur immer einen politischen Anspruch haben, oder ob sich auch Werke finden lassen, welche rein ästhetisch einzuordnen sind.
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„[…] was mich lähmt, scheint sie mit Leben zu erfüllen.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=Frankfurt am Main |Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=10  }}</ref> Zeno beschreibt in diesem Moment den gravierenden Unterschied zwischen ihm selbst und den Passagieren an Bord. Während ihn das Abtauen der Eismassen in verzweifeln lässt, erfreuen sich die Urlauber an Bord an der Natur, die während der Kreuzfahrt zu beobachten ist. Es finden sich viele derartige Formulierungen in Trojanows Roman, die Zenos desaströsen Gemütszustand zum Ausdruck bringen. Für den Wissenschaftler mündet das Wissen über das Tauen der Gletscher in eine Depression. Auch den Passagieren die Bedeutung der Eisschmelze näherzubringen erscheint ihm irgendwann wie eine Farce. Am deutlichsten wird dies in einem Gespräch zwischen Zeno und einem Wirt aus Ushuaia, einem Ort, den das Kreuzfahrtschiff öfters besucht: <blockquote>„Ich habe dich beobachtet. Du bist nur Gerede. Deine Empörung ist ein Furz. Du läßt Luft ab, du stänkerst herum, ansonsten bist du wie alle anderen, nein, schlimmer noch, du weißt Bescheid, und du läßt dir dein Wissen versilbern.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=Frankfurt am Main|Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=17  }}</ref></blockquote> Die Worte sind an Zeno selbst gerichtet, der dafür bekannt ist, sich selbst in Rage zu reden, wenn er über das Schmelzen der Eismassen redet. Zeno verteidigt sich nicht gegen den Vorwurf. Aus den Worten des Wirtes ist eine klare Anklage Zenos zu entnehmen, der in den Augen des Wirts noch schlimmer als die Passagiere des Kreuzfahrtschiffes ist, da er über das Ausmaß an Naturverwüstung Bescheid weiß und doch nichts Konkretes dagegen unternimmt. Der Vorwurf an Zeno kann auch als ein Vorwurf an die Menschheit im Allgemeinen verstanden werden. Die Konsequenzen des Klimawandels sind bereits bekannt, jedoch ist die vorherrschende Meinung, dass viel zu wenig unternommen wird, um das Klima zu schützen. Der Vorwurf enthält also eine politische Nachricht, die auch kurz darauf noch einmal ganz klar formuliert wird: „Etwas muß geschehen. Es ist höchste Zeit.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=Frankfurt am Main|Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=18 }}</ref>
==Detailierte Analyse des Gegensatzpaares anhand ausgewählter Beispiele aus der Klimaliteratur==
 
Kunst, im Allgemeinen, hat grundsätzlich immer eine ästhetische Funktion. Die Ästhetik beschreibt in diesem Sinn die Wahrnehmung eines künstlerischen Objekts auf den Betrachter: wie nimmt der Betrachter das Objekt war? Was löst es in dem Betrachter aus? Dabei zu beachten gilt es, dass Kunst von verschiedenen Menschen auf ganz unterschiedliche Weise wahrgenommen werden kann. Zurückzuführen ist dies auf die unterschiedlichen Einflüsse, unter denen Menschen aufgewachsen sind, und die daraus resultierenden unterschiedlichen Geschmäcke, Präferenzen und Abneigungen. Man kann also nicht davon ausgehen, dass ein Kunstwerk die gleiche Reaktion von zwei Personen erhält.
 
Für Kunstwerke, die einen rein ästhetischen Anspruch haben, also dem Prinzip der ‚l’art pour l’art‘ entsprechen, stellt dies keine Hürde dar. Besteht das Ziel lediglich darin, in einer undefinierten Form auf den Rezipienten zu wirken, so erfüllt sich das Ziel automatisch durch das Betrachten des Werkes. Im Fall der Literatur erfüllt sich also das Ziel, auf den Leser zu wirken, automatisch dadurch, dass das Werk gelesen wird.
 
 
Hat das Kunstwerk hingegen einen politischen Anspruch und gehört somit zur engagierten Literatur, so geht das Ziel über das Einwirken hinaus. Der künstlerische Beitrag muss nun auf der Wirkungsebene einen solchen Eindruck hinterlassen, dass der Betrachter ausreichend emotional motiviert wird, um aktiv zu handeln: „[...] der Klimawandelroman [...] kann durch seine inhaltliche wie formale Gestaltung das Lesepublikum nicht nur intellektuell, sondern auch emotional-affektiv erreichen.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Mayer, Sylvia |Titel=Klimawandelroman |Herausgeber*in=Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte |Sammelband=Ecocriticism - eine Einführung |Ort=Köln |Verlag=Böhlau Verlag |Jahr=2015 |Seite=234 }}</ref>
 
Ein immer wieder in der Klimaliteratur anzutreffendes Thema sind Dystopien. Ein bekanntes Beispiel dafür ist „Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele“ von Suzanne Collins. In ihrem Roman beschreibt Collins eine düstere Zukunft, in der sich Nordamerika aufgrund von unzähligen Klimakatastrophen und Kriegen zu einem Land der Diktatur gewandelt hat. Zu Beginn der Geschichte wird klar betont, dass Naturkatastrophen und deren Auswirkungen zum Untergang Nordamerikas geführt haben, wie es heutzutage bekannt ist, der Schwerpunkt des Romans hingegen liegt bei der Diktatur, welche dort nun herrscht, und den Folgen dieser Regierungsform für die Unterworfenen. Der Fokus wendet sich somit vom Thema Klimawandel und dessen Folgen ab und verfolgt stattdessen über die Trilogie den Kampf der Unterworfenen gegen das Regime, welches sie unterdrückt. Zwar sendet dieser Handlungsverlauf auch eine politische Nachricht, thematisch lässt sich diese aber getrennt zum Thema Klimawandel einordnen. Im Bereich der Klimaliteratur ist Collins Roman demnach mehr als ästhetisch statt politisch zu kategorisieren.   
 
  
Ein weiteres Beispiel für ästhetische Klimaliteratur lässt sich in der Lyrik von Marion Poschmann finden. In ihrem Werk „Nimbus“ behandelt die Autorin den Klimawandel in Form von Gedichten. Die Dichtungen Poschmanns verweisen unter anderem auf das Eisschmelzen: <blockquote>„Noch gestern hielt ich mich in tiefverschneiten/ Bergen auf. Jetzt sind sie eingeebnet,/ aufgelöst, ganz schlicht, so wie man einen/ Kühlschrank abtaut. Ich sah Wasser rinnen,/ sah das Eis in Brocken von den Wänden/ brechen, alles fiel zu Tal und wurde/ flüssig, wurde Tal und wurde nichts.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Poschmann, Marion |Titel=Nimbus |Ort=Berlin |Verlag=Suhrkamp Verlag |Jahr=2020 |Seite=}}</ref></blockquote>Die Autorin reagiert auf die zu beobachtenden Folgen des Klimawandels mit einer lyrischen Beschreibung, die eben nur das ist: eine Beschreibung ohne Handlungsaufforderung.
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Während in “Eistau” klar formulierte Handlungsaufforderungen anzutreffen sind, welche auf eine politische Einordnung des Romans verweisen, erinnern Zenos Landschaftsbeschreibungen in gewisser Weise an die lyrischen Eisbeschreibungen Poschmanns. Es sind demnach durchaus nicht nur politische Elemente in Trojanows Roman anzutreffen, sie vermischen sich auch mit ästhetischen Elementen und bieten  eine Einordnung zwischen ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ an, wie auch in “Die Tribute von Panem”. Es zeigt sich, dass sich die Bereiche ‘politisch’ und ‘ästhetisch’, trotz ihrer gegensätzlichen Natur, gegenseitig beeinflussen: “Durch die mögliche Imagination in der Literatur kann ein Mehrwert geschaffen werden, der durch ästhetische Sensibilisierung ein tiefergehendes ökologisches Verständnis hervorrufen kann und somit gegebenenfalls ein aktives Handeln bewirkt.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Mayer, Sylvia |Titel=Klimawandelroman |Herausgeber*in=Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte |Sammelband=Ecocriticism - eine Einführung |Ort=Köln |Verlag=Böhlau Verlag |Jahr=2015 |Seite=259 }}</ref> Ästhetische Elemente können somit als Verstärker für Handlungsaufforderungen fungieren.  
  
Etwas anders sieht es in „Eistau“ von Ilija Trojanow aus. Wie auch Poschmann wird hier das Eisschmelzen beschrieben, jedoch auf andere Art und Weise. Der Roman handelt von Zeno Hintermeier, einem ehemaligen Wissenschaftler, der nun auf Kreuzfahrtschiffen durch die Arktis den Passagieren Informationen über das Eissterben in Form von Vorträgen und individuellen Erklärungsgesprächen näherbringt. Im Verlauf des Romans wird Zenos Leiden immer klarer. Sein Gebiet der Expertise, das Schmelzen der Gletscher überall auf der Welt, geht ihm so nah wie das Sterben einer geliebten Person: „[…] was mich lähmt, scheint sie mit Leben zu erfüllen.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=?|Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=10  }}</ref> Zeno beschreibt in diesem Moment den gravierenden Unterschied zwischen ihm selbst und den Passagieren an Bord. Während ihn das Abtauen der Eismassen in Verzweiflung stürzt, erfreuen sich die Urlauber an Bord an den Gletschern, die während der Kreuzfahrt zu beobachten sind. Es finden sich viele derartige Formulierungen in Trojanows Roman, die über Zenos Gemütszustand keinen Zweifel lassen. Für den ehemaligen Wissenschaftler mündet das Wissen über das Tauen der Gletscher in einer Depression, aus der er kaum herauszufinden vermag. Auch sein Handeln, den Passagieren die Bedeutungen des Eisschmelzens näherzubringen, erscheint ihm irgendwann wie eine Farce. Am deutlichsten wird dies in einem Gespräch zwischen Zeno und einem Wirt aus Ushuaia, einem Ort, den das Kreuzfahrtschiff öfters besucht: <blockquote>„Ich habe dich beobachtet. Du bist nur Gerede. Deine Empörung ist ein Furz. Du läßt Luft ab, du stänkerst herum, ansonsten bist du wie alle anderen, nein, schlimmer noch, du weißt Bescheid, und du läßt dir dein Wissen versilbern.“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=?|Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=17  }}</ref></blockquote> Die Worte sind an Zeno selbst gerichtet, der dafür bekannt ist, sich selbst in Rage zu reden, wenn er über das Schmelzen der Eismassen redet. Zeno verteidigt sich nicht gegen den Vorwurf. Aus den Worten des Wirtes ist eine klare Anklage Zenos zu entnehmen, der in den Augen des Wirtes noch schlimmer als die Passagiere des Kreuzfahrtschiffes ist, da er über das Ausmaß an Naturverwüstung Bescheid weiß und doch nichts Konkretes dagegen unternimmt. Der Vorwurf an Zeno kann auch als ein Vorwurf an die Menschheit im Allgemeinen verstanden werden. Die Konsequenzen des Klimawandels sind bereits bekannt, jedoch ist die vorherrschende Meinung, dass viel zu wenig unternommen wird, um das Klima zu schützen. Der Vorwurf enthält also eine politische Nachricht, die auch kurz darauf noch einmal ganz klar formuliert wird: „Etwas muß geschehen. Es ist höchste Zeit.“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=?|Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=18  }}</ref>
 
 
 
==Fazit==
 
==Fazit==
Die verschiedenen Beispiele zeigen, dass sowohl in der ästhetischen Klimaliteratur als auch in der politischen Klimaliteratur grundsätzlich von AutorInnen so gehandelt wird, dass die LeserInnen auf unbestimmte, für jeden Leser und Leserin unterschiedliche Art und Weise, erreicht werden. Ist das Ziel des Werkes, eine politische Aussage zu vermitteln, so sind die Werke trotzdem von ihrer emotionalen Tragweite abhängig: „Durch die mögliche Imagination in der Literatur kann ein Mehrwert geschaffen werden, der durch ästhetische Sensibilisierung ein tiefergehendes ökologisches Verständnis hervorrufen kann und somit gegebenenfalls ein aktives Handeln bewirkt.“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Mayer, Sylvia |Titel=Klimawandelroman |Herausgeber*in=Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte |Sammelband=Ecocriticism - eine Einführung |Ort=Köln |Verlag=Böhlau Verlag |Jahr=2015 |Seite=259 }}</ref> Beachtet man dabei, dass die Form und das Ausmaß, in der ein Werk auf jemanden wirken kann äußerst subjektiv ist, kann argumentiert werden, dass auch die Einordnung eines literarischen Werkes zu ästhetisch oder politisch subjektiv ist und somit sehr unterschiedlich ausfallen kann.
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Zusammengefasst muss für eine Einordnung als ‘politisch’ aus dem Text eine klare Stellungnahme hervorgehen, häufig gekoppelt an eine klar formulierte Handlungsaufforderung. Jedoch schließt dies eine Zuordnung zu ‘ästhetisch’ nicht aus, wobei die ästhetische Gestaltung des Romans die politische Positionierung, sowie die formulierte Handlungsaufforderung, unterstützen und verstärken kann. Die verschiedenen Beispiele zeigen, dass ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ als sich gegenüberstehende Endpunkte auf einer Skala zu verstehen sind, auf der es literarische Werke einzuordnen gilt.
 
 
== Belege ==
 
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Version vom 23. Februar 2022, 23:15 Uhr

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Definition der Begriffe

Politisch

Das Wort ‘politisch’ leitet sich vom Substantiv ‘Politik’ ab und ist als Adjektiv zu verstehen, welches etwas beschreibt, dass die Politik betrifft [1].

Ästhetisch

Das Wort ‘ästhetisch’ bildet das Adjektiv zum Substantiv ‘Ästhetik’. Die Ästhetik leitet sich aus dem griechischen “aisthētikḗ”, der “Wissenschaft vom sinnlich Wahrnehmbaren”[2] ab und kann als “[...] philosophische Disziplin, die nach Eigenart und Bedeutung einer [...] ästhetische Erfahrung bezeichneten Form wahrnehmenden Erlebens und/oder nach Eigenart, Zweck und Wert der Gegenstände dieser Erfahrung, bes. der Kunst, fragt[...] [3] ausgelegt werden.

Ausführliche Informationen zu den Begriffen

Auf den ersten Blick ist die Auslegung von ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ sowohl im Allgemeinen, als auch im Bezug auf die Literatur als Gegensatzpaar nicht direkt nachvollziehbar. Setzt man ‘politisch’ jedoch mit der ‘litérature engagée’ und ‘ästhetisch’ mit dem Prinzip von ‘l’art pour l’art’ gleich, so werden die Wörter als Gegensatzpaar erkenntlicher. Der Begriff ‚litérature engagée‘ stammt aus dem Französischen und beschreibt die engagierte Literatur. Der Franzose Jean-Paul Sartre hat den Ausdruck mit seiner Definition als “[...] Forderung nach einer gesellschaftlichen Positionierung der Lit[eratur]” [4] geprägt. Nach Sartre sei jedem/jeder Verfasser*in selbst überlassen, ob diese Positionierung von religiöser, sozialer oder politischer Natur sein sollte [5]. Als engagierte Literatur lassen sich also literarische Werke bezeichnen, welche den Anspruch haben, dem Leser ein spezifisches Interesse nahe zu legen[6]. In der engagierten Literatur sind häufig Handlungsaufforderungen zu finden, welche der Positionierung des Textes entsprechen. Auch in der Klimaliteratur sind solche Handlungsaufforderungen anzutreffen und sind in der Regel politischer Natur.

Der Begriff ‚l’art pour l’art‘ stammt ebenfalls aus dem Französischen und bedeutet wortwörtlich übersetzt „die Kunst für die Kunst“. Sinngemäß ist dies als „die Kunst um der Kunst willen“ zu verstehen: „L’art pour l’art, [ist eine] Formel, die […] die Autonomie der Kunst gegen jegliche außerästhetischen (z. B. moralischen, religiösen oder politischen) Zwecke propagiert und das Schöne zum alleinigen Gestaltungsprinzip erklärt.“ [7]. Der Begriff ‘ästhetisch’ kann neben der zuvor genannten Definition weiterhin als „stilvoll, schön, geschmackvoll, ansprechend“ [8] ausgelegt werden. Betrachtet man diese Definition, so wird erkennbar, inwiefern ‘ästhetisch’ im Kontext der Literatur mit dem Prinzip der ‘l’art pour l’art’ gleichgesetzt werden kann. Zählt man also die Literatur zur Kunst dazu, ergibt sich durch die ästhetische Literatur ein Gegensatz zur engagierten Literatur. Betrachtet man die Klimaliteratur mit Blick auf das Gegensatzpaar ‚ästhetisch‘ und ‚politisch‘ gilt es zu überlegen, ob die literarischen Werke der Klimaliteratur der engagierten oder der ästhetischen Literatur zuzuordnen sind.

Detailierte Analyse des Gegensatzpaares anhand ausgewählter Beispiele aus der Klimaliteratur

Ein Beispiel für ästhetische Klimaliteratur lässt sich in der Lyrik von Marion Poschmann finden. In ihrem Werk „Nimbus“ (2020) behandelt die Autorin den Klimawandel in Form von Gedichten. Die Dichtungen Poschmanns verweisen unter anderem auf das Eisschmelzen:

„Noch gestern hielt ich mich in tiefverschneiten/ Bergen auf. Jetzt sind sie eingeebnet,/ aufgelöst, ganz schlicht, so wie man einen/ Kühlschrank abtaut. Ich sah Wasser rinnen,/ sah das Eis in Brocken von den Wänden/ brechen, alles fiel zu Tal und wurde/ flüssig, wurde Tal und wurde nichts.“[9]

Poschmann bietet den Rezipient*innen mit “Nimbus” die Möglichkeit, durch das lyrische Ich Erfahrungen mit den Folgen des Klimawandels nachzuempfinden und zu beobachten. “Poschmanns Sprache hat etwas Leichtes. Wie Schneekristalle schweben die Worte in die Zeilen, aus denen ihre Gedichte bestehen. Weiß und unberührt aber sind die sprachlichen Gebilde dennoch nicht, können es nicht sein, weil in den Gedichten naturzerstörende Katastrophen zur Sprache kommen.” (QUELLE) Explizite Handlungsaufforderungen bleiben jedoch aus: “Allerdings resultieren daraus keine den Gedichten eingeschriebenen Dringlichkeitsappelle. Nie wird es in Poschmanns Versen fordernd laut – im Gegenteil. Es wird sehr viel geflüstert, manchmal auch nur gehaucht.” [10]

Dystopische Szenarien sind fester Bestandteil der Klimaliteratur. Ein bekanntes Beispiel dafür ist „Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele“ von Suzanne Collins. In ihrem Roman beschreibt Collins eine düstere Zukunft, in der sich Nordamerika aufgrund von unzähligen Klimakatastrophen und Kriegen zu einem Land der Diktatur gewandelt hat. Zu Beginn der Geschichte wird klar betont, dass Naturkatastrophen und deren Auswirkungen zum Untergang Nordamerikas geführt haben, wie es heutzutage bekannt ist, der Schwerpunkt des Romans hingegen liegt bei der Diktatur, welche dort nun herrscht, und den Folgen dieser Regierungsform für die Unterworfenen. Der Fokus wendet sich somit vom Thema Klimawandel und dessen Folgen ab und verfolgt stattdessen über die Trilogie den Kampf der Unterworfenen gegen das Regime, welches sie unterdrückt. Zwar sendet dieser Handlungsverlauf auch eine politische Nachricht, thematisch lässt sich diese aber getrennt zum Thema Klimawandel einordnen. Im Bereich der Klimaliteratur ist Collins Roman demnach als eine Mischform von politisch und ästhetisch einzuordnen.

Eisschollen, die im Wasser schwimmen.

In „Eistau“ von Ilija Trojanow wird – wie u.a. bei Poschmann – das Eisschmelzen beschrieben, jedoch auf andere Art und Weise. Der Roman handelt von Zeno Hintermeier, einem Glaziologen, der nun auf Kreuzfahrtschiffen in der Antarktis den Passagieren Informationen über das Eissterben in Form von Vorträgen und individuellen Erklärungsgesprächen näherbringt. Im Verlauf des Romans spiegeln sich die sichtbaren anthropogenen Umwelteinflüsse wie z.B. das Schmelzen des Eises immer stärker in Zenos psychischem Zustand. Das Gletschersterben geht ihm so nah, wie das Sterben einer geliebten Person.

„[…] was mich lähmt, scheint sie mit Leben zu erfüllen.“[11] Zeno beschreibt in diesem Moment den gravierenden Unterschied zwischen ihm selbst und den Passagieren an Bord. Während ihn das Abtauen der Eismassen in verzweifeln lässt, erfreuen sich die Urlauber an Bord an der Natur, die während der Kreuzfahrt zu beobachten ist. Es finden sich viele derartige Formulierungen in Trojanows Roman, die Zenos desaströsen Gemütszustand zum Ausdruck bringen. Für den Wissenschaftler mündet das Wissen über das Tauen der Gletscher in eine Depression. Auch den Passagieren die Bedeutung der Eisschmelze näherzubringen erscheint ihm irgendwann wie eine Farce. Am deutlichsten wird dies in einem Gespräch zwischen Zeno und einem Wirt aus Ushuaia, einem Ort, den das Kreuzfahrtschiff öfters besucht:

„Ich habe dich beobachtet. Du bist nur Gerede. Deine Empörung ist ein Furz. Du läßt Luft ab, du stänkerst herum, ansonsten bist du wie alle anderen, nein, schlimmer noch, du weißt Bescheid, und du läßt dir dein Wissen versilbern.“ [12]

Die Worte sind an Zeno selbst gerichtet, der dafür bekannt ist, sich selbst in Rage zu reden, wenn er über das Schmelzen der Eismassen redet. Zeno verteidigt sich nicht gegen den Vorwurf. Aus den Worten des Wirtes ist eine klare Anklage Zenos zu entnehmen, der in den Augen des Wirts noch schlimmer als die Passagiere des Kreuzfahrtschiffes ist, da er über das Ausmaß an Naturverwüstung Bescheid weiß und doch nichts Konkretes dagegen unternimmt. Der Vorwurf an Zeno kann auch als ein Vorwurf an die Menschheit im Allgemeinen verstanden werden. Die Konsequenzen des Klimawandels sind bereits bekannt, jedoch ist die vorherrschende Meinung, dass viel zu wenig unternommen wird, um das Klima zu schützen. Der Vorwurf enthält also eine politische Nachricht, die auch kurz darauf noch einmal ganz klar formuliert wird: „Etwas muß geschehen. Es ist höchste Zeit.“[13]

Während in “Eistau” klar formulierte Handlungsaufforderungen anzutreffen sind, welche auf eine politische Einordnung des Romans verweisen, erinnern Zenos Landschaftsbeschreibungen in gewisser Weise an die lyrischen Eisbeschreibungen Poschmanns. Es sind demnach durchaus nicht nur politische Elemente in Trojanows Roman anzutreffen, sie vermischen sich auch mit ästhetischen Elementen und bieten eine Einordnung zwischen ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ an, wie auch in “Die Tribute von Panem”. Es zeigt sich, dass sich die Bereiche ‘politisch’ und ‘ästhetisch’, trotz ihrer gegensätzlichen Natur, gegenseitig beeinflussen: “Durch die mögliche Imagination in der Literatur kann ein Mehrwert geschaffen werden, der durch ästhetische Sensibilisierung ein tiefergehendes ökologisches Verständnis hervorrufen kann und somit gegebenenfalls ein aktives Handeln bewirkt.” [14] Ästhetische Elemente können somit als Verstärker für Handlungsaufforderungen fungieren.

Fazit

Zusammengefasst muss für eine Einordnung als ‘politisch’ aus dem Text eine klare Stellungnahme hervorgehen, häufig gekoppelt an eine klar formulierte Handlungsaufforderung. Jedoch schließt dies eine Zuordnung zu ‘ästhetisch’ nicht aus, wobei die ästhetische Gestaltung des Romans die politische Positionierung, sowie die formulierte Handlungsaufforderung, unterstützen und verstärken kann. Die verschiedenen Beispiele zeigen, dass ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ als sich gegenüberstehende Endpunkte auf einer Skala zu verstehen sind, auf der es literarische Werke einzuordnen gilt.

  1. Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): politisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
  2. Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): ästhetisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
  3. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 49.
  4. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 190.
  5. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 190.
  6. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 190.
  7. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 420.
  8. Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): ästhetisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
  9. Poschmann, Marion (2020): Nimbus. Berlin: Suhrkamp Verlag, S. 9.
  10. Opitz, Michael (2020): Marion Poschmann: “Nimbus” / Gedichte als Schutzraum gegen den Klimawandel. In: Deutschlandfunk. Online, zuletzt abgerufen am 18.02.2022.
  11. Trojanow, Ilja (2019): Eistau. Frankfurt am Main: FISCHER Taschenbuch, S. 10.
  12. Trojanow, Ilja (2019): Eistau. Frankfurt am Main: FISCHER Taschenbuch, S. 17.
  13. Trojanow, Ilja (2019): Eistau. Frankfurt am Main: FISCHER Taschenbuch, S. 18.
  14. Mayer, Sylvia (2015): Klimawandelroman. In: Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte (Hrsg.): Ecocriticism - eine Einführung, Köln: Böhlau Verlag, S. 259.