Benutzer: Lara Neugebauer/Werkstatt: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Das Wort | + | Das Wort ‘politisch’ leitet sich vom Substantiv ‘Politik’ ab und ist als Adjektiv zu verstehen, welches etwas beschreibt, dass die Politik betrifft <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=politisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/politisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref>. |
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− | Das Wort | + | Das Wort ‘ästhetisch’ bildet das Adjektiv zum Substantiv ‘Ästhetik’. Die Ästhetik leitet sich aus dem griechischen “aisthētikḗ”, der “Wissenschaft vom sinnlich Wahrnehmbaren”<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=ästhetisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/aesthetisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref> ab und kann als “[...] philosophische Disziplin, die nach Eigenart und Bedeutung einer [...] ästhetische Erfahrung bezeichneten Form wahrnehmenden Erlebens und/oder nach Eigenart, Zweck und Wert der Gegenstände dieser Erfahrung, bes. der Kunst, fragt[...] <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=49 }}</ref> ausgelegt werden. |
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==Ausführliche Informationen zu den Begriffen== | ==Ausführliche Informationen zu den Begriffen== | ||
− | Auf den ersten Blick | + | Auf den ersten Blick ist die Auslegung von ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ sowohl im Allgemeinen, als auch im Bezug auf die Literatur als Gegensatzpaar nicht direkt nachvollziehbar. Setzt man ‘politisch’ jedoch mit der ‘litérature engagée’ und ‘ästhetisch’ mit dem Prinzip von ‘l’art pour l’art’ gleich, so werden die Wörter als Gegensatzpaar erkenntlicher. |
− | Der Begriff | + | Der Begriff ‚litérature engagée‘ stammt aus dem Französischen und beschreibt die engagierte Literatur. Der Franzose Jean-Paul Sartre hat den Ausdruck mit seiner Definition als “[...] Forderung nach einer gesellschaftlichen Positionierung der Lit[eratur]” <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=190 }}</ref> geprägt. Nach Sartre sei jedem/jeder Verfasser*in selbst überlassen, ob diese Positionierung von religiöser, sozialer oder politischer Natur sein sollte <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=190 }}</ref>. |
+ | Als engagierte Literatur lassen sich also literarische Werke bezeichnen, welche den Anspruch haben, dem Leser ein spezifisches Interesse nahe zu legen<ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=190 }}</ref>. In der engagierten Literatur sind häufig Handlungsaufforderungen zu finden, welche der Positionierung des Textes entsprechen. Auch in der Klimaliteratur sind solche Handlungsaufforderungen anzutreffen und sind in der Regel politischer Natur. | ||
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+ | Der Begriff ‚l’art pour l’art‘ stammt ebenfalls aus dem Französischen und bedeutet wortwörtlich übersetzt „die Kunst für die Kunst“. Sinngemäß ist dies als „die Kunst um der Kunst willen“ zu verstehen: „L’art pour l’art, [ist eine] Formel, die […] die Autonomie der Kunst gegen jegliche außerästhetischen (z. B. moralischen, religiösen oder politischen) Zwecke propagiert und das Schöne zum alleinigen Gestaltungsprinzip erklärt.“ <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=420 }}</ref>. Der Begriff ‘ästhetisch’ kann neben der zuvor genannten Definition weiterhin als „stilvoll, schön, geschmackvoll, ansprechend“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=ästhetisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/aesthetisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref> ausgelegt werden. Betrachtet man diese Definition, so wird erkennbar, inwiefern ‘ästhetisch’ im Kontext der Literatur mit dem Prinzip der ‘l’art pour l’art’ gleichgesetzt werden kann. Zählt man also die Literatur zur Kunst dazu, ergibt sich durch die ästhetische Literatur ein Gegensatz zur engagierten Literatur. | ||
+ | Betrachtet man die Klimaliteratur mit Blick auf das Gegensatzpaar ‚ästhetisch‘ und ‚politisch‘ gilt es zu überlegen, ob die literarischen Werke der Klimaliteratur der engagierten oder der ästhetischen Literatur zuzuordnen sind. | ||
+ | ==Detailierte Analyse des Gegensatzpaares anhand ausgewählter Beispiele aus der Klimaliteratur== | ||
+ | Ein Beispiel für ästhetische Klimaliteratur lässt sich in der Lyrik von Marion Poschmann finden. In ihrem Werk „Nimbus“ (2020) behandelt die Autorin den Klimawandel in Form von Gedichten. Die Dichtungen Poschmanns verweisen unter anderem auf das Eisschmelzen: <blockquote>„Noch gestern hielt ich mich in tiefverschneiten/ Bergen auf. Jetzt sind sie eingeebnet,/ aufgelöst, ganz schlicht, so wie man einen/ Kühlschrank abtaut. Ich sah Wasser rinnen,/ sah das Eis in Brocken von den Wänden/ brechen, alles fiel zu Tal und wurde/ flüssig, wurde Tal und wurde nichts.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Poschmann, Marion |Titel=Nimbus |Ort=Berlin |Verlag=Suhrkamp Verlag |Jahr=2020 |Seite=9 }}</ref></blockquote> Poschmann bietet den Rezipient*innen mit “Nimbus” die Möglichkeit, durch das lyrische Ich Erfahrungen mit den Folgen des Klimawandels nachzuempfinden und zu beobachten. “Poschmanns Sprache hat etwas Leichtes. Wie Schneekristalle schweben die Worte in die Zeilen, aus denen ihre Gedichte bestehen. Weiß und unberührt aber sind die sprachlichen Gebilde dennoch nicht, können es nicht sein, weil in den Gedichten naturzerstörende Katastrophen zur Sprache kommen.” (QUELLE) Explizite Handlungsaufforderungen bleiben jedoch aus: “Allerdings resultieren daraus keine den Gedichten eingeschriebenen Dringlichkeitsappelle. Nie wird es in Poschmanns Versen fordernd laut – im Gegenteil. Es wird sehr viel geflüstert, manchmal auch nur gehaucht.” <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Opitz, Michael |Titel= Marion Poschmann: “Nimbus” / Gedichte als Schutzraum gegen den Klimawandel |Jahr=2020 |Website=Deutschlandfunk |Online=https://www.deutschlandfunk.de/marion-poschmann-nimbus-gedichte-als-schutzraum-gegen-den-100.html |Abruf=18.02.2022 }}</ref> | ||
+ | Dystopische Szenarien sind fester Bestandteil der Klimaliteratur. Ein bekanntes Beispiel dafür ist „Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele“ von Suzanne Collins. In ihrem Roman beschreibt Collins eine düstere Zukunft, in der sich Nordamerika aufgrund von unzähligen Klimakatastrophen und Kriegen zu einem Land der Diktatur gewandelt hat. Zu Beginn der Geschichte wird klar betont, dass Naturkatastrophen und deren Auswirkungen zum Untergang Nordamerikas geführt haben, wie es heutzutage bekannt ist, der Schwerpunkt des Romans hingegen liegt bei der Diktatur, welche dort nun herrscht, und den Folgen dieser Regierungsform für die Unterworfenen. Der Fokus wendet sich somit vom Thema Klimawandel und dessen Folgen ab und verfolgt stattdessen über die Trilogie den Kampf der Unterworfenen gegen das Regime, welches sie unterdrückt. Zwar sendet dieser Handlungsverlauf auch eine politische Nachricht, thematisch lässt sich diese aber getrennt zum Thema Klimawandel einordnen. Im Bereich der Klimaliteratur ist Collins Roman demnach als eine Mischform von politisch und ästhetisch einzuordnen. | ||
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+ | [[Datei:SchmelzendesEis.jpg|thumb|Eisschollen, die im Wasser schwimmen.]] | ||
− | + | In „Eistau“ von Ilija Trojanow wird – wie u.a. bei Poschmann – das Eisschmelzen beschrieben, jedoch auf andere Art und Weise. Der Roman handelt von Zeno Hintermeier, einem Glaziologen, der nun auf Kreuzfahrtschiffen in der Antarktis den Passagieren Informationen über das Eissterben in Form von Vorträgen und individuellen Erklärungsgesprächen näherbringt. Im Verlauf des Romans spiegeln sich die sichtbaren anthropogenen Umwelteinflüsse wie z.B. das Schmelzen des Eises immer stärker in Zenos psychischem Zustand. Das Gletschersterben geht ihm so nah, wie das Sterben einer geliebten Person. | |
− | + | „[…] was mich lähmt, scheint sie mit Leben zu erfüllen.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=Frankfurt am Main |Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=10 }}</ref> Zeno beschreibt in diesem Moment den gravierenden Unterschied zwischen ihm selbst und den Passagieren an Bord. Während ihn das Abtauen der Eismassen in verzweifeln lässt, erfreuen sich die Urlauber an Bord an der Natur, die während der Kreuzfahrt zu beobachten ist. Es finden sich viele derartige Formulierungen in Trojanows Roman, die Zenos desaströsen Gemütszustand zum Ausdruck bringen. Für den Wissenschaftler mündet das Wissen über das Tauen der Gletscher in eine Depression. Auch den Passagieren die Bedeutung der Eisschmelze näherzubringen erscheint ihm irgendwann wie eine Farce. Am deutlichsten wird dies in einem Gespräch zwischen Zeno und einem Wirt aus Ushuaia, einem Ort, den das Kreuzfahrtschiff öfters besucht: <blockquote>„Ich habe dich beobachtet. Du bist nur Gerede. Deine Empörung ist ein Furz. Du läßt Luft ab, du stänkerst herum, ansonsten bist du wie alle anderen, nein, schlimmer noch, du weißt Bescheid, und du läßt dir dein Wissen versilbern.“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=Frankfurt am Main|Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=17 }}</ref></blockquote> Die Worte sind an Zeno selbst gerichtet, der dafür bekannt ist, sich selbst in Rage zu reden, wenn er über das Schmelzen der Eismassen redet. Zeno verteidigt sich nicht gegen den Vorwurf. Aus den Worten des Wirtes ist eine klare Anklage Zenos zu entnehmen, der in den Augen des Wirts noch schlimmer als die Passagiere des Kreuzfahrtschiffes ist, da er über das Ausmaß an Naturverwüstung Bescheid weiß und doch nichts Konkretes dagegen unternimmt. Der Vorwurf an Zeno kann auch als ein Vorwurf an die Menschheit im Allgemeinen verstanden werden. Die Konsequenzen des Klimawandels sind bereits bekannt, jedoch ist die vorherrschende Meinung, dass viel zu wenig unternommen wird, um das Klima zu schützen. Der Vorwurf enthält also eine politische Nachricht, die auch kurz darauf noch einmal ganz klar formuliert wird: „Etwas muß geschehen. Es ist höchste Zeit.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=Frankfurt am Main|Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=18 }}</ref> | |
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− | + | Während in “Eistau” klar formulierte Handlungsaufforderungen anzutreffen sind, welche auf eine politische Einordnung des Romans verweisen, erinnern Zenos Landschaftsbeschreibungen in gewisser Weise an die lyrischen Eisbeschreibungen Poschmanns. Es sind demnach durchaus nicht nur politische Elemente in Trojanows Roman anzutreffen, sie vermischen sich auch mit ästhetischen Elementen und bieten eine Einordnung zwischen ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ an, wie auch in “Die Tribute von Panem”. Es zeigt sich, dass sich die Bereiche ‘politisch’ und ‘ästhetisch’, trotz ihrer gegensätzlichen Natur, gegenseitig beeinflussen: “Durch die mögliche Imagination in der Literatur kann ein Mehrwert geschaffen werden, der durch ästhetische Sensibilisierung ein tiefergehendes ökologisches Verständnis hervorrufen kann und somit gegebenenfalls ein aktives Handeln bewirkt.” <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Mayer, Sylvia |Titel=Klimawandelroman |Herausgeber*in=Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte |Sammelband=Ecocriticism - eine Einführung |Ort=Köln |Verlag=Böhlau Verlag |Jahr=2015 |Seite=259 }}</ref> Ästhetische Elemente können somit als Verstärker für Handlungsaufforderungen fungieren. | |
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==Fazit== | ==Fazit== | ||
− | + | Zusammengefasst muss für eine Einordnung als ‘politisch’ aus dem Text eine klare Stellungnahme hervorgehen, häufig gekoppelt an eine klar formulierte Handlungsaufforderung. Jedoch schließt dies eine Zuordnung zu ‘ästhetisch’ nicht aus, wobei die ästhetische Gestaltung des Romans die politische Positionierung, sowie die formulierte Handlungsaufforderung, unterstützen und verstärken kann. Die verschiedenen Beispiele zeigen, dass ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ als sich gegenüberstehende Endpunkte auf einer Skala zu verstehen sind, auf der es literarische Werke einzuordnen gilt. | |
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Version vom 23. Februar 2022, 23:15 Uhr
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Definition der Begriffe
Politisch
Das Wort ‘politisch’ leitet sich vom Substantiv ‘Politik’ ab und ist als Adjektiv zu verstehen, welches etwas beschreibt, dass die Politik betrifft [1].
Ästhetisch
Das Wort ‘ästhetisch’ bildet das Adjektiv zum Substantiv ‘Ästhetik’. Die Ästhetik leitet sich aus dem griechischen “aisthētikḗ”, der “Wissenschaft vom sinnlich Wahrnehmbaren”[2] ab und kann als “[...] philosophische Disziplin, die nach Eigenart und Bedeutung einer [...] ästhetische Erfahrung bezeichneten Form wahrnehmenden Erlebens und/oder nach Eigenart, Zweck und Wert der Gegenstände dieser Erfahrung, bes. der Kunst, fragt[...] [3] ausgelegt werden.
Ausführliche Informationen zu den Begriffen
Auf den ersten Blick ist die Auslegung von ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ sowohl im Allgemeinen, als auch im Bezug auf die Literatur als Gegensatzpaar nicht direkt nachvollziehbar. Setzt man ‘politisch’ jedoch mit der ‘litérature engagée’ und ‘ästhetisch’ mit dem Prinzip von ‘l’art pour l’art’ gleich, so werden die Wörter als Gegensatzpaar erkenntlicher. Der Begriff ‚litérature engagée‘ stammt aus dem Französischen und beschreibt die engagierte Literatur. Der Franzose Jean-Paul Sartre hat den Ausdruck mit seiner Definition als “[...] Forderung nach einer gesellschaftlichen Positionierung der Lit[eratur]” [4] geprägt. Nach Sartre sei jedem/jeder Verfasser*in selbst überlassen, ob diese Positionierung von religiöser, sozialer oder politischer Natur sein sollte [5]. Als engagierte Literatur lassen sich also literarische Werke bezeichnen, welche den Anspruch haben, dem Leser ein spezifisches Interesse nahe zu legen[6]. In der engagierten Literatur sind häufig Handlungsaufforderungen zu finden, welche der Positionierung des Textes entsprechen. Auch in der Klimaliteratur sind solche Handlungsaufforderungen anzutreffen und sind in der Regel politischer Natur.
Der Begriff ‚l’art pour l’art‘ stammt ebenfalls aus dem Französischen und bedeutet wortwörtlich übersetzt „die Kunst für die Kunst“. Sinngemäß ist dies als „die Kunst um der Kunst willen“ zu verstehen: „L’art pour l’art, [ist eine] Formel, die […] die Autonomie der Kunst gegen jegliche außerästhetischen (z. B. moralischen, religiösen oder politischen) Zwecke propagiert und das Schöne zum alleinigen Gestaltungsprinzip erklärt.“ [7]. Der Begriff ‘ästhetisch’ kann neben der zuvor genannten Definition weiterhin als „stilvoll, schön, geschmackvoll, ansprechend“ [8] ausgelegt werden. Betrachtet man diese Definition, so wird erkennbar, inwiefern ‘ästhetisch’ im Kontext der Literatur mit dem Prinzip der ‘l’art pour l’art’ gleichgesetzt werden kann. Zählt man also die Literatur zur Kunst dazu, ergibt sich durch die ästhetische Literatur ein Gegensatz zur engagierten Literatur. Betrachtet man die Klimaliteratur mit Blick auf das Gegensatzpaar ‚ästhetisch‘ und ‚politisch‘ gilt es zu überlegen, ob die literarischen Werke der Klimaliteratur der engagierten oder der ästhetischen Literatur zuzuordnen sind.
Detailierte Analyse des Gegensatzpaares anhand ausgewählter Beispiele aus der Klimaliteratur
Ein Beispiel für ästhetische Klimaliteratur lässt sich in der Lyrik von Marion Poschmann finden. In ihrem Werk „Nimbus“ (2020) behandelt die Autorin den Klimawandel in Form von Gedichten. Die Dichtungen Poschmanns verweisen unter anderem auf das Eisschmelzen:
„Noch gestern hielt ich mich in tiefverschneiten/ Bergen auf. Jetzt sind sie eingeebnet,/ aufgelöst, ganz schlicht, so wie man einen/ Kühlschrank abtaut. Ich sah Wasser rinnen,/ sah das Eis in Brocken von den Wänden/ brechen, alles fiel zu Tal und wurde/ flüssig, wurde Tal und wurde nichts.“[9]
Poschmann bietet den Rezipient*innen mit “Nimbus” die Möglichkeit, durch das lyrische Ich Erfahrungen mit den Folgen des Klimawandels nachzuempfinden und zu beobachten. “Poschmanns Sprache hat etwas Leichtes. Wie Schneekristalle schweben die Worte in die Zeilen, aus denen ihre Gedichte bestehen. Weiß und unberührt aber sind die sprachlichen Gebilde dennoch nicht, können es nicht sein, weil in den Gedichten naturzerstörende Katastrophen zur Sprache kommen.” (QUELLE) Explizite Handlungsaufforderungen bleiben jedoch aus: “Allerdings resultieren daraus keine den Gedichten eingeschriebenen Dringlichkeitsappelle. Nie wird es in Poschmanns Versen fordernd laut – im Gegenteil. Es wird sehr viel geflüstert, manchmal auch nur gehaucht.” [10]
Dystopische Szenarien sind fester Bestandteil der Klimaliteratur. Ein bekanntes Beispiel dafür ist „Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele“ von Suzanne Collins. In ihrem Roman beschreibt Collins eine düstere Zukunft, in der sich Nordamerika aufgrund von unzähligen Klimakatastrophen und Kriegen zu einem Land der Diktatur gewandelt hat. Zu Beginn der Geschichte wird klar betont, dass Naturkatastrophen und deren Auswirkungen zum Untergang Nordamerikas geführt haben, wie es heutzutage bekannt ist, der Schwerpunkt des Romans hingegen liegt bei der Diktatur, welche dort nun herrscht, und den Folgen dieser Regierungsform für die Unterworfenen. Der Fokus wendet sich somit vom Thema Klimawandel und dessen Folgen ab und verfolgt stattdessen über die Trilogie den Kampf der Unterworfenen gegen das Regime, welches sie unterdrückt. Zwar sendet dieser Handlungsverlauf auch eine politische Nachricht, thematisch lässt sich diese aber getrennt zum Thema Klimawandel einordnen. Im Bereich der Klimaliteratur ist Collins Roman demnach als eine Mischform von politisch und ästhetisch einzuordnen.
In „Eistau“ von Ilija Trojanow wird – wie u.a. bei Poschmann – das Eisschmelzen beschrieben, jedoch auf andere Art und Weise. Der Roman handelt von Zeno Hintermeier, einem Glaziologen, der nun auf Kreuzfahrtschiffen in der Antarktis den Passagieren Informationen über das Eissterben in Form von Vorträgen und individuellen Erklärungsgesprächen näherbringt. Im Verlauf des Romans spiegeln sich die sichtbaren anthropogenen Umwelteinflüsse wie z.B. das Schmelzen des Eises immer stärker in Zenos psychischem Zustand. Das Gletschersterben geht ihm so nah, wie das Sterben einer geliebten Person.
„[…] was mich lähmt, scheint sie mit Leben zu erfüllen.“[11] Zeno beschreibt in diesem Moment den gravierenden Unterschied zwischen ihm selbst und den Passagieren an Bord. Während ihn das Abtauen der Eismassen in verzweifeln lässt, erfreuen sich die Urlauber an Bord an der Natur, die während der Kreuzfahrt zu beobachten ist. Es finden sich viele derartige Formulierungen in Trojanows Roman, die Zenos desaströsen Gemütszustand zum Ausdruck bringen. Für den Wissenschaftler mündet das Wissen über das Tauen der Gletscher in eine Depression. Auch den Passagieren die Bedeutung der Eisschmelze näherzubringen erscheint ihm irgendwann wie eine Farce. Am deutlichsten wird dies in einem Gespräch zwischen Zeno und einem Wirt aus Ushuaia, einem Ort, den das Kreuzfahrtschiff öfters besucht:
„Ich habe dich beobachtet. Du bist nur Gerede. Deine Empörung ist ein Furz. Du läßt Luft ab, du stänkerst herum, ansonsten bist du wie alle anderen, nein, schlimmer noch, du weißt Bescheid, und du läßt dir dein Wissen versilbern.“ [12]
Die Worte sind an Zeno selbst gerichtet, der dafür bekannt ist, sich selbst in Rage zu reden, wenn er über das Schmelzen der Eismassen redet. Zeno verteidigt sich nicht gegen den Vorwurf. Aus den Worten des Wirtes ist eine klare Anklage Zenos zu entnehmen, der in den Augen des Wirts noch schlimmer als die Passagiere des Kreuzfahrtschiffes ist, da er über das Ausmaß an Naturverwüstung Bescheid weiß und doch nichts Konkretes dagegen unternimmt. Der Vorwurf an Zeno kann auch als ein Vorwurf an die Menschheit im Allgemeinen verstanden werden. Die Konsequenzen des Klimawandels sind bereits bekannt, jedoch ist die vorherrschende Meinung, dass viel zu wenig unternommen wird, um das Klima zu schützen. Der Vorwurf enthält also eine politische Nachricht, die auch kurz darauf noch einmal ganz klar formuliert wird: „Etwas muß geschehen. Es ist höchste Zeit.“[13]
Während in “Eistau” klar formulierte Handlungsaufforderungen anzutreffen sind, welche auf eine politische Einordnung des Romans verweisen, erinnern Zenos Landschaftsbeschreibungen in gewisser Weise an die lyrischen Eisbeschreibungen Poschmanns. Es sind demnach durchaus nicht nur politische Elemente in Trojanows Roman anzutreffen, sie vermischen sich auch mit ästhetischen Elementen und bieten eine Einordnung zwischen ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ an, wie auch in “Die Tribute von Panem”. Es zeigt sich, dass sich die Bereiche ‘politisch’ und ‘ästhetisch’, trotz ihrer gegensätzlichen Natur, gegenseitig beeinflussen: “Durch die mögliche Imagination in der Literatur kann ein Mehrwert geschaffen werden, der durch ästhetische Sensibilisierung ein tiefergehendes ökologisches Verständnis hervorrufen kann und somit gegebenenfalls ein aktives Handeln bewirkt.” [14] Ästhetische Elemente können somit als Verstärker für Handlungsaufforderungen fungieren.
Fazit
Zusammengefasst muss für eine Einordnung als ‘politisch’ aus dem Text eine klare Stellungnahme hervorgehen, häufig gekoppelt an eine klar formulierte Handlungsaufforderung. Jedoch schließt dies eine Zuordnung zu ‘ästhetisch’ nicht aus, wobei die ästhetische Gestaltung des Romans die politische Positionierung, sowie die formulierte Handlungsaufforderung, unterstützen und verstärken kann. Die verschiedenen Beispiele zeigen, dass ‘politisch’ und ‘ästhetisch’ als sich gegenüberstehende Endpunkte auf einer Skala zu verstehen sind, auf der es literarische Werke einzuordnen gilt.
- ↑ Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): politisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
- ↑ Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): ästhetisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
- ↑ In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 49.
- ↑ In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 190.
- ↑ In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 190.
- ↑ In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 190.
- ↑ In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 420.
- ↑ Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): ästhetisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
- ↑ Poschmann, Marion (2020): Nimbus. Berlin: Suhrkamp Verlag, S. 9.
- ↑ Opitz, Michael (2020): Marion Poschmann: “Nimbus” / Gedichte als Schutzraum gegen den Klimawandel. In: Deutschlandfunk. Online, zuletzt abgerufen am 18.02.2022.
- ↑ Trojanow, Ilja (2019): Eistau. Frankfurt am Main: FISCHER Taschenbuch, S. 10.
- ↑ Trojanow, Ilja (2019): Eistau. Frankfurt am Main: FISCHER Taschenbuch, S. 17.
- ↑ Trojanow, Ilja (2019): Eistau. Frankfurt am Main: FISCHER Taschenbuch, S. 18.
- ↑ Mayer, Sylvia (2015): Klimawandelroman. In: Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte (Hrsg.): Ecocriticism - eine Einführung, Köln: Böhlau Verlag, S. 259.