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=== Überblick zur Tier-Mensch-Beziehung ===
 
=== Überblick zur Tier-Mensch-Beziehung ===
  
Bei der Darstellung des Eisbären vereinen sich komplexe Widersprüchlichkeiten, die vom Kuschelbären Knuth bis hin zum Eisbären als das „größte Landraubtier der Welt“ reichen. Sie sind Symptom einer intrikaten Beziehung zwischen der Natur, Kultur, Tier und Mensch selbst. Die ›Natur‹ als grundlegender Mengenbegriff für Lebewesen aller Art wird „[…] im Alltag häufig sowohl als das Ursprüngliche oder Gute, aber auch als das Wilde und Bedrohliche beschrieben“ und legt damit gleichfalls die Divergenz menschlicher Wahrnehmung bloß. Aus der Sphäre kultureller, religiöser oder sozialer Entwicklungen des Menschen traten unterschiedlichste Rollenzuweisungen des Tiers hervor wie etwa die des sorgebedürftigen Haustiers, die des Schauobjekts im Zoo sowie im Zirkus, oder die des möglichst effizienten Fleischlieferanten . Der Standpunkt geht vom Mensch aus und manifestiert sich in Rollenzuweisungen des Tiers, die auf die Bedürfnisse des Menschen ausgerichtet sind, was „[] aus der höhergestellten Machtposition, die Menschen genießen, [resultiert], indem sie entscheiden, wann und wie sie ein Tier behandeln.“  Die Tier-Mensch-Beziehung ist demnach ein Abbild gesellschaftlicher Veränderungen und scherte schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend aus: auf der einen Seite werden die emotionale Verbindung zum Tier sowie Tierschutzbestrebungen intensiver, auf der anderen die Ausbeutung von Tieren sowie ihrer Habitate extensiver.  Mit der wachsenden Sichtbarkeit menschlichen Handelns, vollzieht sich eine vermehrt kritische Auseinandersetzung mit dem Mensch-Tier-Verhältnis, was nicht nur realweltlich verhandelt wird, sondern auch in der Kunst, Literatur und im Film.   
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Bei der Darstellung des Eisbären vereinen sich komplexe Widersprüchlichkeiten, die vom Kuschelbären Knuth bis hin zum Eisbären als das „größte Landraubtier der Welt“ <ref>{{Quellen-Film|Produzent*in=Dammertz, T., Gerisch, C., Kindler, A. |Titel=Der Eisbär in Not? |Jahr=2014 |Produktionsland=Manitoba |Produktionsfirma=Spiegel TV }}</ref reichen. Sie sind Symptom einer intrikaten Beziehung zwischen der Natur, Kultur, Tier und Mensch selbst.  
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Die ›Natur‹ als grundlegender Mengenbegriff für Lebewesen aller Art wird „[…] im Alltag häufig sowohl als das Ursprüngliche oder Gute, aber auch als das Wilde und Bedrohliche beschrieben“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in= Ameli, K.|Titel= Multispezies-Ethnographie: Zur Methodik einer ganzheitlichen Erforschung von Mensch, Tier, Natur und Kultur|Ort= Bielefeld |Verlag=transcript-Verlag |Jahr=2021}}</ref> und legt damit gleichfalls die Divergenz menschlicher Wahrnehmung bloß. Aus der Sphäre kultureller, religiöser oder sozialer Entwicklungen des Menschen traten unterschiedlichste Rollenzuweisungen des Tiers hervor wie etwa die des sorgebedürftigen Haustiers, die des Schauobjekts im Zoo sowie im Zirkus, oder die des möglichst effizienten Fleischlieferanten . Der Standpunkt geht vom Mensch aus und manifestiert sich in Rollenzuweisungen des Tiers, die auf die Bedürfnisse des Menschen ausgerichtet sind, was „[] aus der höhergestellten Machtposition, die Menschen genießen, [resultiert], indem sie entscheiden, wann und wie sie ein Tier behandeln.“  Die Tier-Mensch-Beziehung ist demnach ein Abbild gesellschaftlicher Veränderungen und scherte schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend aus: auf der einen Seite werden die emotionale Verbindung zum Tier sowie Tierschutzbestrebungen intensiver, auf der anderen die Ausbeutung von Tieren sowie ihrer Habitate extensiver.  Mit der wachsenden Sichtbarkeit menschlichen Handelns, vollzieht sich eine vermehrt kritische Auseinandersetzung mit dem Mensch-Tier-Verhältnis, was nicht nur realweltlich verhandelt wird, sondern auch in der Kunst, Literatur und im Film.   
  
  

Version vom 26. Juli 2021, 10:05 Uhr

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Das Verhältnis von Mensch und Eisbär im Dokumentarfilm

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Darstellung des Mensch-Eisbär-Verhältnisses in Dokumentarfilmen. Dem Eisbären wird in der heutigen Gesellschaft ein besonderer Stellenwert zugesprochen: Als exponiertes Symboltier steht er im Zentrum des Klimawandel-Diskurses. Dort macht er nicht allein eine Aussage über die Eisschmelze, sondern auch über die Mensch-Tier-Beziehung im Allgemeinen. In diesem Diskurs stellt sich die Frage ob der Eisbär tatsächlich vom Aussterben bedroht ist und inwiefern der Mensch dazu seinen Beitrag leistet. Der folgende Artikel soll hierzu einen Überblick über die allgemeine Tier-Mensch-Beziehung geben, um darauf aufbauend das Mensch-Eisbär-Verhältnis und seine mediale Darstellung zu skizzieren.


Überblick zur Tier-Mensch-Beziehung

Bei der Darstellung des Eisbären vereinen sich komplexe Widersprüchlichkeiten, die vom Kuschelbären Knuth bis hin zum Eisbären als das „größte Landraubtier der Welt“ Referenzfehler: Für ein <ref>-Tag fehlt ein schließendes </ref>-Tag. und legt damit gleichfalls die Divergenz menschlicher Wahrnehmung bloß. Aus der Sphäre kultureller, religiöser oder sozialer Entwicklungen des Menschen traten unterschiedlichste Rollenzuweisungen des Tiers hervor wie etwa die des sorgebedürftigen Haustiers, die des Schauobjekts im Zoo sowie im Zirkus, oder die des möglichst effizienten Fleischlieferanten . Der Standpunkt geht vom Mensch aus und manifestiert sich in Rollenzuweisungen des Tiers, die auf die Bedürfnisse des Menschen ausgerichtet sind, was „[] aus der höhergestellten Machtposition, die Menschen genießen, [resultiert], indem sie entscheiden, wann und wie sie ein Tier behandeln.“ Die Tier-Mensch-Beziehung ist demnach ein Abbild gesellschaftlicher Veränderungen und scherte schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend aus: auf der einen Seite werden die emotionale Verbindung zum Tier sowie Tierschutzbestrebungen intensiver, auf der anderen die Ausbeutung von Tieren sowie ihrer Habitate extensiver. Mit der wachsenden Sichtbarkeit menschlichen Handelns, vollzieht sich eine vermehrt kritische Auseinandersetzung mit dem Mensch-Tier-Verhältnis, was nicht nur realweltlich verhandelt wird, sondern auch in der Kunst, Literatur und im Film.


Das Verhältnis von Mensch und Eisbär

Das Verhältnis von Mensch und Eisbär wandelt sich auf Grundlage der Entwicklung des Klimawandels zunehmend. Bereits Kinder werden in Bilderbüchern mit Darstellungen von Mensch-Tier-Verhältnissen konfrontiert. Diese Darstellungen gehen jedoch in der Regel mit einer Vermenschlichung der Eisbären einher. Eine so genannte Anthropomorphisierung findet satt und damit eine Verharmlosung oder eine Verniedlichung der Tiere. Auch im Fernsehen nehmen Kinder bereits den Klimawandel wahr. So sehen sie schmelzende Pole, Eisbären auf Schollen und Visualisierung dieser Umstände im Fernsehen, auf Plakaten oder in Büchern. Ebenso erstellen Kinder ihr eigenes Wissen über Eisbären durch unterschiedliche Zoosendungen, welche durch eine weite Bildkultur die Genregrenzen verschwimmen lässt. Als Beispiel dieser Vermenschlichung durch das Fernsehen ist Knuth, der Eisbär (Brucker, R. Bujik ,M. Mütherich, B. Seeliger, M. & Thieme, F. (2015). Das Mensch-Tier-Verhältnis: Eine sozialwissenschaftliche Einführung . In R. Brucker, M. Bujok, B. Mütherich, M. Seeliger & F. Thieme (ed.)).

In drei spezifizierten Artikeln soll aufgearbeitet werden, wie dieses Verhältnis in unterschiedlichen Dokumentarfilmen dargestellt wird. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf dem Eisbär-Forscher*innen-Verhältnis, dem Eisbär-Inuit-Verhältnis und der gegenseitigen Bedrohung von Eisbär und Mensch. In diesen Artikeln wird die Darstellung des Eisbär-Mensch-Verhältnisses in verschiedenen Dokumentarfilmen mit Hilfe einer multimodalen Filmanalyse beschrieben.


Belege



Im Zentrum dieses Artikels steht die Darstellung der gegenseitigen Bedrohung von Eisbär und Mensch im Dokumentarfilm. Hierzu werden exemplarisch Szenen aus den Dokumentarfilmen „Eisbär in Not?“ (2014)[1] und „Der Eisbär“ (2012)[2] analysiert und daran herausgearbeitet, inwiefern der Eisbär als Bedrohung für den Menschen und der Mensch als Bedrohung für den Eisbären dargestellt wird.

Dieser Artikel ist Teil einer Artikelsammlung.


Methodisches Vorgehen

Zur Vorbereitung der Analysen wurden die Dokumentarfilme „Eisbär in Not?“ und „Der Eisbär“ mehrmals vollständig gesehen und auf mögliche Analyseaspekte hin untersucht. Im Anschluss wurden prägnanten Sequenzen, bezogen auf den ausgewählten Analysegegenstand, identifiziert, sodass eine multimodale Transkription der Sequenzen durchgeführt werden konnte. Diese Transkriptionen berücksichtigen die zeitliche Gliederung der Sequenzen, visuelle Aspekte (Stills, Bildbeschreibung des Gezeigten), sprachliche Aspekte (Text im Bild, Sprechtext), Musik, Geräusche, visuelle Auffälligkeiten sowie Analysekommentare.

Die Analyse erfolgt auf Basis dieser multimodalen Transkription der unterschiedlichen Sequenzen. Sie folgt der Leitfrage, wie die beiden Dokumentarfilme das Verhältnis von Mensch und Eisbär als gegenseitige Bedrohung inszenieren.

Eisbär in Not? (2014) – Die Bedrohung des Menschen durch den Eisbären

Der DokumentarfilmEisbär in Not?“ behandelt in verschiedenen Sequenzen das Verhältnis von Mensch und Eisbär und stellt dabei die Bedrohung des Menschen durch den Eisbären in den Mittelpunkt. Dies soll im Folgenden an fünf Sequenzen verdeutlicht werden. Die Szene 1 (07:55–08:05) zeigt die Methode, welche die Einwohner*innen nutzen, um sich und die Hunde vor den Bären zu schützen. Darauf aufbauend wird die Erfahrung eines Inuit mit einbezogen, welcher in der Szene 2 (08:06–08:52) seine Erlebnisse ausführlich schildert. Hierbei werden seine Existenzgrundlage und seine Befürchtungen deutlich. Die Sicht der Inuit wird auch in der Sequenz 3 (11:56–12:08) fokussiert. Hier geht der zuvor vorgestellte Inuit auf die Eisbärenjagd. Dass der Eisbär eine Bedrohung des Menschen darstellt, soll auch im Zusammenhang mit der Erforschung des Tieres erläutert werden. Dies veranschaulicht Szene 4 (38:00–38:58). Zuletzt wird die Sequenz 5 (46:37–47:35) im Hinblick auf die Leitthese analysiert. Diese zeigt das Eindringen des Eisbären in die arktischen Dörfer. Die multimodale Transkription, welche die Basis für die die folgende Sequenzanalyse bildet, kann hier heruntergeladen werden.


Analyse der Sequenzen 07:55–08:05 sowie 08:06–08:52

Der Eisbär ist als Symbol der Gefahr nicht in jeder Sequenz zu sehen, obwohl er als Bedrohung im Fokus steht. Dies trifft beispielsweise auf die erste ausgewählte Szene zu. Zu sehen ist stattdessen ein Elektrozaun (07:55–08:05). Durch die Darstellung des weißen Zaunes auf weißem Hintergrund, in welchem die angeketteten Huskies des Inuit schemenhaft zu erkennen sind, wirkt er unscheinbar und wie ein Teil einer friedlichen Szenerie. Die unruhige und treibende Musik erzeugt jedoch den Eindruck einer andauernden Bedrohung. Ergänzt wird dieser Eindruck durch die Stimme aus dem Off, welche den Sinn des Zaunes, den Schutz vor der anhaltenden Bedrohung durch die Eisbären, verdeutlicht. Die Verbindung von Bild und Ton lässt die Rezipierenden somit Eisbären als Bedrohung der Menschen wahrnehmen, was besonders durch die auditiven Modes verursacht wird.

Bereits in der nachfolgenden Sequenz (08:06–08:52) wird die Zweckhaftigkeit des Zaunes erneut aufgegriffen, indem ein Inuit beim Füttern seiner Hunde gezeigt wird. Er hackt rohes gefrorenes Robbenfleisch mit einer Axt. Zur gleichen Zeit erläutert er, dass sich immer mehr Eisbären in den Ort verirren und wiederholt seine Hunde angreifen. Unter ausschließlichem Einbezug der visuellen Aspekte wirken die Handlungen des Inuit kalt, brutal und gewalttätig. Besonders die Verwendung der Axt im Zusammenhang mit der roten Farbe des Fleisches lässt den Inuit als Bedrohung erscheinen. Erst durch die Erklärung des Inuit wird die Aufmerksamkeit von seiner Futterzubereitung auf die Angriffe der Eisbären gelenkt. So verbinden sich die kalten und brutalen Bilder, die den Inuit ins Zentrum stellen, mit den Angriffen der Bären, welche in diesem Fall nicht im Bild sind. Ergänzend kommen die Geräusche der Axt, welche die visuelle Darstellung der Gewalt unterstützen, sowie eine spannungsaufbauende Musik hinzu. Bild und Ton stellen somit erneut die Eisbären als Bedrohung dar. Untermauert wird dieser Eindruck dadurch, dass während der Erklärung des Inuit die Huskies jaulend Alarm schlagen. Dies schafft eine unruhige bedrohliche Atmosphäre, ausgelöst durch akustische Reize. So werden auch hier die Eisbären in ihrer Abwesenheit als ständige Bedrohung des Menschen betrachtet. Dies wird insbesondere in der Kombination verschiedener Modes deutlich.


Analyse der Sequenz 11:56–12:08

In dieser Sequenz steht ein Jäger der Inuit im Fokus. Auf einem Stein sitzend, lädt er eine Schusswaffe, welche auf die Zuschauer bedrohlich wirkt. Sie lässt sich als Symbol der Gewalt und Brutalität deuten und der Off-Sprecher stellt klar, dass der Inuit sich auf Eisbärenjagd begibt. Ergänzend werden kurze Bildsequenzen weglaufender Eisbären eingeblendet (11:56–12:08), was Hektik erzeugt und das Gefühl von Angst vermittelt. Besonders emotionalisierend wirkt diese Sequenz, da es sich um eine Eisbärenmutter und ihr Junges handelt. Durch die ausschließliche Betrachtung der bildlichen Darstellung wirken die Eisbären bedroht und gefährdet, da der Inuit als Jäger der Bären die Bedrohung darstellt. Der Off-Kommentar weist jedoch in eine entgegengesetzte Richtung. Er weist auf das besondere Risiko hin, welches der Inuit mit seiner Handlung eingeht. Der eigentliche Jäger wird durch das Sprichwort „Vom Jäger zum Gejagten werden [...]“ selbst als bedroht dargestellt und die Bedrohung geht laut dem Off-Kommentar von den eigentlich davonlaufenden Eisbären aus. Es ist also eine Bild-Text-Schere deutlich zu erkennen. Unterstützt wird die Deutung des gefährlichen Eisbären oder des gefährlichen Jägers durch eine begleitende Musik, die ein Unbehagen auslöst und bedrohlich wirkt.


Analyse der Sequenz 38:00–38:58

In dieser Sequenz untersucht ein Forscherteam das Eis. Dabei werden in einem Interview mit einem Wissenschaftler die Ziele und Funktionen der Forschungsmission erläutert. Hierbei wird erklärt, warum eine Person des Teams als Wachposten abgestellt werden muss. Diese trägt eine Warnweste und sticht deshalb optisch deutlich aus der weißen Umgebung heraus, obwohl sie weit entfernt mit einem großen Abstand zum Schiff positioniert ist. Die Kamera zoomt an diese Wache heran, sodass auf dem Boden neben der Person eine Waffe erkennbar wird. Zudem besitzt die Person ein Fernglas und eine Schreckschusspistole. Auch hier ist somit die Waffe als Symbol der Bedrohung erkennbar und weckt den Eindruck von Gefahr. Der Forscher auf dem Wachposten wirkt in der weißen Umgebung verloren und ist, ohne den Kontext des Off-Sprechers, scheinbar grundlos bewaffnet. Optisch wirkt diese Szene wie ein Eingriff des Menschen in die Natur. Durch die Warnweste sticht der Forscher hervor und wirkt fehl am Platz.

Erst durch den Einbezug des Forscherinterviews wird klar, dass von den Eisbären eine Bedrohung ausgeht. Die Rezipierenden erfahren, dass der Forscher eine Eisbärenwache darstellt. Sie dient dem Schutz der Menschen und stellt somit laut Forscher keine Bedrohung der Eisbären dar. Dies unterstreicht das Bild des bedrohlichen Eisbären und des gefährdeten Menschen. Die unruhige, fordernde und zugleich spannungsaufbauende Musik erweckt ein Gefühl der ständigen Bedrohung und lässt die Eisbärenwache inszenatorisch in unmittelbarer Gefahr schweben. Dies führt unweigerlich zu einem Unbehagen auf Seiten der Rezipierenden. Werden Bild und Ton aufeinander bezogen, so wird aber erneut deutlich, dass das Bild alleine den Eisbären nicht als bedrohlich darstellt. Stattdessen wird rein visuell der Mensch beim Eindringen in die Natur gezeigt. Erst durch den Einbezug des Tons wird ein Gefühl der Gefährdung des Menschen erzeugt und der Eisbär unter diesem Aspekt als bedrohlich betitelt.


Analyse der Sequenz 46:37–47:35

Erst diese Sequenz, zeigt Eisbären, die in die Dörfer der Menschen eindringen. Sie laufen an den Häusern vorbei, zerstören Autos und begeben sich in die unmittelbare Nähe der Bewohner und Bewohnerinnen. Hierbei wird auf die Aufnahmen von Amateurvideos ebenso zurückgegriffen wie auf die professionellen Aufnahmen des Filmteams. Der Eisbär dringt hier deutlich in die Lebenswelt des Menschen ein. Besonders der Kontrast der farbigen bunten Häuser zu dem weißen Fell des Eisbären, lässt ihn fehl am Platz wirken. Zudem verstärkt der Ton diesen Eindruck des Eindringens. So erklärt der Off-Sprecher, dass der Eisbär eine Gefährdung des Menschen darstelle. Eisbären werden als „geschickte und allesfressende Raubtiere [...]“ bezeichnet, welche auch „einen Menschen töten und fressen [...]“ würden. Belegt werden diese Aussagen mit Hinweisen auf Ereignisse aus drei verschiedenen Jahren, welche in der Region Kanadas gelistet wurden und Angriffe von Eisbären auf Menschen belegen. Auch die dramatische, traurige und tragische Filmmusik lässt den Menschen als umso bedrohter wirken.


Fazit der Analyse von "Eisbär in Not?" (2014)

Der Dokumentarfilm „Eisbär in Not?“ stellt den Eisbären insgesamt als Bedrohung des Menschen dar. Die Bären greifen die Hunde der Inuit an, dringen in die Dörfer ein, plündern Müllhalden und selbst wenn sie gejagt werden, bedrohen sie die Jäger. Die visuelle Darstellung alleine zeigt den Bären allerdings nur in einer Sequenz als bedrohlich. In den anderen Sequenzen wird er vielmehr als vom Menschen bedroht dargestellt. Erst der Einbezug des Tons führt zu einer brutalen und gewalttätigen Darstellung des Eisbären, der dem Menschen und seiner Lebenswelt feindlich gegenübersteht.


Der Eisbär (2012) – Das Eindringen des Menschen in die Lebenswelt der Eisbären

Im Folgenden soll der Eingriff des Menschen in die Lebenswelt des Eisbären anhand des Dokumentarfilmes „Der Eisbär" analysiert werden. Um die gewählte Perspektive zu verdeutlichen, wurde eine prägnante Sequenz (42:35–46:41) ausgesucht und in fünf thematische Abschnitte untergliedert. Besonders deutlich wird in der ausgewählten Sequenz, auf welcher Art und Weise sich der Mensch in die Lebenswelt des Eisbären begibt und den Bären beeinflusst. Die multimodale Transkription, welche die Basis für die die folgende Sequenzanalyse bildet, kann hier heruntergeladen werden.


Analyse der Sequenz 42:35–42:42

Zu Beginn der gewählten Sequenz wird der Eisbär auf seiner Route gezeigt, die er Jahr für Jahr absolviert (42:35–42:42). Es liegt wenig Schnee, sodass der weiße Bär nicht ganz in der Natur verschwindet. Besonders der Sprecher aus dem Off stellt die gezeigten Bilder als dramatisch dar: „Er hat nach Futter gesucht, nach Zuflucht, nach Gesellschaft – vergeblich [...]“. Anhand dieses Textes wird Mitleid für den Bären erregt, was auf eine Emotionalisierung der Situation hindeutet.[3] Im Kontrast zu diesem Kommentar, der auf den menschengemachten Klimawandel hindeutet, steht die Musik. Leise Trommeln begleiten das Gezeigte und Gehörte auf eine neutrale Art, welche nicht negativ wahrgenommen wird. So steht in dieser Szene besonders die Musik im Kontrast zum Gesagten.


Analyse der Sequenz 42:43–43:06

Die Konfrontation von Mensch und Eisbär wird in der sich anschließenden Sequenz (42:43–43:06) eingeleitet. Aus einer Totalen[4] wird der Eisbär in einer Eislandschaft gezeigt, wobei im Hintergrund am Himmel ein Flugzeug auf den Bären zugeflogen kommt. Auffällig ist hierbei das Licht des Flugzeuges, welches unnatürlich in der Umgebung wirkt und aus ihr heraussticht. Im Laufe der Sequenz wird das Flugzeug in einer Halbnahen gezeigt, im Wechsel mit einer Halbnahen des Bären.[5] Das Flugzeug fliegt nah über die Erde und wirkt in Bezug auf den Bären bedrohlich. Dieser flieht vor dem Flugzeug und läuft entlang der Handlungsachse mit dem Rücken zur Kamera davon. Die Stimme aus dem Off kommentiert, dass nun die Jahreszeit die größte Belästigung mit sich bringt. Durch eine Leerstelle wird offengelassen, was die Belästigung ausmacht. Erst in der darauffolgenden Szene wird deutlich, dass die Touristen die Belästigung verkörpern. Die Musik begleitet diese Bilder zurückhaltend. Die Geräuschkulisse wird stattdessen durch die immer lauter werdenden Motoren des Flugzeuges bestimmt, die selbst das Brüllen des Bären übertönen. Hier kann ein gewalttätiges Eingreifen des Menschen in die Lebenswelt des Bären beobachtet werden, welches durch das Flugzeuges, seinen Lärm und die Verfolgung des Eisbären verkörpert wird.


Analyse der Sequenz 43:07–43:35

Besonders prägnant wird das Eindringen des Menschen in der dritten Sequenz (43:07–43:35) deutlich. Der Bär läuft zunächst, begleitet durch die Kamerafahrt[6] parallel zur Handlungsachse. Besonders im Fokus steht hierbei der Hintergrund. Zu Beginn zeigt er reine Natur. Je weiter der Bär aber läuft, desto mehr wird das Eingreifen des Menschen in seine Lebenswelt deutlich. Zunächst sind zwei Männer mit Gewehren im Hintergrund zu sehen, die mit ihren roten Jacken hervorstechen. Läuft der Bär weiter, so steht eine Gruppe Tourist*innen im Hintergrund. Sie fotografieren den Bären aus nächster Nähe. Auch zwischen den Touristen stehen Männer mit Waffen, um den Bären im Notfall abzuwehren. Erst die Stimme aus dem Off lässt diese Begegnung geplant wirken: „Der Weg, dem er folgt, ist seit tausenden von Jahren im Instinkt der Bären verankert. Lange bevor Touristen mit Kameras kamen und der Sommer so verdammt lang wurde [...]“. In dieser Szene sticht besonders die Musik hervor. Laute Glocken, helle fröhliche Töne und eine positiv stimmende Musik lassen die Ernsthaftigkeit der Lage verschwinden. Ein besonderer Kontrast wird zu dem gesprochenen Wort deutlich. Der „verdammt lange Sommer [...]“ welcher für den Bären eine Umstellungen seiner Gewohnheiten mit sich bringt, wirkt durch die Wortwahl wie eine Qual für den Bären. Gegen Ende dieser Sequenz wird die Musik spannungsaufbauend. Der Bär erscheint zunehmend als eine Bedrohung für die Tourist*innen.

In dieser Sequenz wird also ein Widerspruch zwischen der Musik und dem Gesagten deutlich. Die Tourist*innen stehen auf der traditionellen Route des Bären, dennoch würden sie den Bären erschießen, wenn er sie angreift. Ohne Ton vermittelt diese Szene eine zufällige Begegnung von Mensch und Eisbär, wohingegen mit Ton ein Eindringen des Menschen in den Lebensraum des Bären deutlich wird. Relativiert werden diese Eindrücke durch die gleichgültige und erst im Anschluss spannungsaufbauende Musik.


Analyse der Sequenz 43:35–44:10

Das Eindringen des Menschen in die Lebenswelt des Bären wird in der anschließenden Szene noch deutlicher (43:35–44:10). So wurde auf der traditionellen Route des Bären ein Haus errichtet, der Menschenzoo, in welchem Menschen Eisbären beobachten können, ohne in Gefahr zu geraten. Der Bär läuft an diesem Zoo vorbei und begutachtet die Menschen. Währenddessen weist der Off-Sprecher erneut auf die Lukrativität des Eisbärengeschäftes hin. Vor allem, da die Touristensaison länger dauert als in den Jahren zuvor – ein impliziter Hinweis auf den menschengemachten Klimawandel. Die Bären sitzen aufgrund des längeren Sommers einen Monat zusätzlich an diesem Ort fest. Das Wort „feststecken“ weist auf die Unausweichlichkeit der Situation hin, welche von den Tourist*innen ausgenutzt wird. Unterstützt wird die Beschreibung, dass der Bär neugierig ist und den Menschenzoo „besucht“, durch fröhliche Musik. Dass der Bär aufgrund des menschengemachten Klimawandels nicht über das Eis kann und die anwesenden Menschen daraus Kapital schlagen, wird also nicht problematisiert.


Analyse der Sequenz 44:11–44:27

Der Bär setzt seinen Weg fort und läuft durch ein von Menschen besiedeltes Gebiet (44:11–44:27). Wird ausschließlich das Bild betrachtet, so wirkt der Bär friedlich und einsam. Erst durch die Off-Kommentare wird eine Bedrohung des Menschen durch den Bären erzeugt. Der Sprecher aus dem Off kommentiert eine Begegnung des Bären mit dem Menschen als „hässlich“. Was einen Angriff des Bären auf den Menschen andeutet oder einen Kampf zwischen beiden beschreibt. Begleitet wird dies durch deine spannungsaufbauende Musik und das Heulen von Hunden. Diese Szene weist somit erneut Aspekte eines Mensch-Tier-Verhältnisses auf, welches auf einer Überlegenheit des Menschen beruht und sich durch eine Einmischung des Menschen in den Lebensraum des Eisbären bezieht.


Fazit der Analyse "Der Eisbär" (2012)

Diese Dokumentation veranschaulicht das Eindringen des Menschen in den Lebensraum des Eisbären. Die Situation der Eisbären wird vor allem sprachlich charakterisiert und dabei wird dargelegt, dass der Eisbär in seiner Lebenswelt beeinflusst wird, indem seine Routinen gestört werden. Hierbei steht insbesondere die Musik im Kontrast zu dem Gezeigten und Gesagten. Diese wirkt im Gegensatz zu der ernsten Situation des Bären fröhlich und aufmunternd. Auf diese Weise wird das Eindringen des Menschen in die Lebenswelt des Eisbären mit seinen Konsequenzen verharmlost, statt diesen Umstand explizit zu problematisieren. Auch die Folgen des Klimawandels werden lediglich angedeutet, und indem keine konkreten Aussagen getroffen werden, lässt die Dokumentation einen Interpretationsspielraum in Bezug auf dessen einzelne Auswirkungen. Zuletzt wird der Eisbär erneut als Bedrohung des Menschen dargestellt, indem er in besiedelte Regionen eindringt und Mensch und Tier bedroht. Aber selbst wenn sich der Mensch dem Eisbären in den Weg stellt, wird nicht er als die Gefahr inszeniert, sondern das Tier.

Analyseergebnisse

Die untersuchten Dokumentationen stellen das Mensch-Eisbär-Verhältnis auf unterschiedliche Weise dar: Während „Eisbär in Not?“ sich in der Darstellung auf die Bedrohung des Menschen fokussiert, wird in „Der Eisbär“ der Eingriff des Menschen in die Lebenswelt des Eisbären thematisiert. Beide Dokumentationen stellen dabei aber den Menschen als dem Tier überlegen und vom Eisbären bedroht dar. Wird in der ersten Dokumentation eine Differenz zwischen Bild und gesprochenem Off-Kommentar deutlich, so konnte für die zweite Dokumentation ein Kontrast zwischen Musik, Gesagtem und dem visuell Gezeigten herausgearbeitet werden. Auffallend ist, dass beide Filme den Klimawandel in auffallender Weise verschweigen oder allenfalls andeuten, selbst dann, wenn es für ein tiefergehendes Verständnisses der gezeigten Situationen und des situativ inszenierten Tier-Mensch-Verhältnisses relevant wäre. So zeigt der „Der Eisbär“ zwar die Konsequenzen, die der immer längere Sommer auf den Eisbären hat, nennt jedoch nicht explizit den Klimawandel als Ursache.

Belege

  1. Dammertz, T., Gerisch, C., Kindler, A. (2014): Der Eisbär in Not?. Manitoba: Spiegel TV.
  2. O'Brien, T. & Robertson, S. (2012): Der Eisbär. 42:35–46:41.
  3. Gerlach, N. (2009): Der Tierfilm zwischen Repräsentation und Simulation. Marburg: Schüren Verlag.
  4. Faulstich, W. (2013): Grundkurs Filmanalyse. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag.
  5. Faulstich, W. (2013): Grundkurs Filmanalyse. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag.
  6. Kreutzer, O., Lauritz, S., Mehlinger, M., Moormann, P. (2014): Filmanalyse. Wiesbaden: Springer Fachmedien.