Benutzer: Laura Löslein/Werksatt: Unterschied zwischen den Versionen

Aus wiki.climate-thinking.de
Wechseln zu: Navigation, Suche
 
(6 dazwischenliegende Versionen von einem anderen Benutzer werden nicht angezeigt)
Zeile 2: Zeile 2:
 
== Die Inszenierung von Wissenschaft im Dokumentarfilm vor dem Hintergrund des Eisbär-Mensch-Verhältnisses ==
 
== Die Inszenierung von Wissenschaft im Dokumentarfilm vor dem Hintergrund des Eisbär-Mensch-Verhältnisses ==
  
Das wachsende Bewusstsein für den Klimawandel bietet besonders der szientistischen Wissenschaft einen weitstreuenden Nährboden für neue Forschungsbeiträge. Auch Dokumentarfilme über den Klimawandel befassen sich steigend mit ökologischen Fragestellungen, die auch die Rolle der Wissenschaft darin einbeziehen. Anhand des Films [https://www.youtube.com/watch?v=YZjYI6h_B1s Der Eisbär: Kampf ums Überleben (2014)] beleuchtet der folgende Beitrag daher die Inszenierung der Wissenschaft im Dokumentarfilm vor dem Hintergrund des Eisbär-Mensch-Verhältnisses mittels eines multimodalen Analysezugangs.
+
Das wachsende Bewusstsein für den Klimawandel bietet der szientistischen Wissenschaft einen weitstreuenden Nährboden für neue Forschungsbeiträge. Auch [[Dokumentarfilme über den Klimawandel]] befassen sich steigend mit ökologischen Fragestellungen und der Rolle der Wissenschaft darin. Anhand des Films [[Eisbär in Not?|Eisbär in Not?]] (2014)<ref>Dammertz, T., Gerisch, C., Kindler, A. (2014): Der Eisbär in Not? Manitoba: Spiegel TV. Die im Folgenden angeführten Minuten- und Sekundenangaben beziehen sich auf Inhalte dieses Films.</ref> beleuchtet der folgende Beitrag die Inszenierung der Wissenschaft im Dokumentarfilm vor dem Hintergrund des Eisbär-Mensch-Verhältnisses mittels eines multimodalen Analysezugangs.
  
=== Wissenschaftliche Methode(n) ===
+
=== Wissenschaft und ihre Methoden im Dokumentarfilm ===
Üblicherweise wird die Wissenschaft im Dokumentarfilm so inszeniert, dass ihre Akteure als Experten*innen und ihre Methoden als notwendig und damit positiv konnotiert dargestellt werden.  Der Dokumentarfilm Der [https://www.youtube.com/watch?v=YZjYI6h_B1s Eisbär: Kampf ums Überleben] weist verschiedene Intensitäten dessen auf, wie sehr Wissenschaftler*innen in die Lebenswelt der Eisbären eingreifen, um an Daten über diese zu gelangen. Die im Dokumentarfilm eingebetteten Methoden reichen von der Beobachtung aus der Distanz, über Fellrückstande an einem Maschendrahtzaun bis hin zum Abschuss eines Gewebeproben- sowie eines Betäubungspfeils.
 
Die zum Teil sogar gewaltvolle Darstellung wird nicht allein durch das gezeigte Bild illustriert, sondern erfolgt [[Multimodalität|multimodal]], d.h. mithilfe von audiovisuellen Informationsträgern. Neben der Bildsequenz als visuelles Mode, modellieren auch auditive Modes wie etwa Musik, Sprechertext oder (un-) natürliche Geräusche die Wahrnehmung des Rezipierenden.
 
  
Die durchgeführte sprachwissenschaftliche Untersuchung spannt ihren inhaltlichen Rahmen daher von der Inszenierung der Wissenschaft und ihren (Legitimations-) Methoden sowie der Darstellung des Forscher*in-Eisbär-Verhältnisses im Dokumentarfilm.  Die Erarbeitung der im Anschluss vorgelegten Ergebnisse erfolgte anhand einer multimodalen Transkriptionsanalyse (PDF) markanter Sequenzen.
+
Per Definition erheben Dokumentationen keinen Anspruch auf einen unmittelbaren Aktualitätsbezug, weshalb sie zur Präsentation neuster Forschungserkenntnisse ein nur bedingt geeignetes Medium sind.<ref>Vgl. Stuber, Andre (2005): Wissenschaft in den Massenmedien. Die Darstellung wissenschaftlicher Themen im Fernsehen, in Zeitungen und in Publikumszeitschriften, S. 107.</ref>  Wissenschaftliche Themen mit einem längeren Aktualitätsbezug – wie der Klimawandel – können dagegen durchaus dokumentarisch aufgearbeitet und vermittelt werden.<ref>Vgl. Ebd.</ref> Der Dokumentarfilm ''Eisbär in Not?'' zeigt verschiedene Verfahrensweisen auf, mit denen Wissenschaftler*innen Forschungsergebnisse erschließen und somit in die Lebenswelt der Eisbären eingreifen. Die Methoden reichen vom Abschuss eines Gewebeproben- sowie eines Betäubungspfeils über die Beobachtung aus der Ferne sowie über Fellrückstände am Zaun des Bonepile von Kactovik, einem Wal-Friedhof in Alaska.  
  
==== Sequenz 1: Der Gewebeprobenpfeil (12:11-12:45) ====
+
=== Sequenzanalyse als sprachwissenschaftliche Methode ===
Die erste visuelle Information, die der Rezipierende aus der vorliegenden Sequenz erhält, ist diese, wie ein Pfeil mit einem roten Klebestreifen präpariert wird. Dahinter befindet sich kontrastiv zum Rot ein schwarz-silbernes Gewehr.  Der Off-Kommentar kontextualisiert die Vorbereitung der Waffe, indem er den Zweck des Vorhabens sprachlich bestimmt: Es gehe darum, Informationen über die Population der Eisbären zu sammeln, woraus die Wissenschaftler*innen ableiten könnten, wie viele Eisbären von den Inuit erlegt werden dürfen. Das [[Die Verschleierung der Gewaltbeziehung zwischen Eisbär und Inuit im Dokumentarfilm|spezifische Inuit-Eisbären-Verhältnis]] wird zuvor im Dokumentarfilm dargelegt. Dass es sich bei dem präparierten Pfeil lediglich um einen Biopsie-Pfeil handelt, also um einen Gewebeprobenpfeil, wird erst elf Sekunden später über die Off-Stimme vermittelt - nachdem zwei vom Hubschrauber weglaufende Eisbären gezeigt wurden. Die Erläuterung der wissenschaftlichen Methoden und die gezeigten Bildabfolge zur praktischen Umsetzung dessen decken sich erst in dem Moment, in dem zwar der Schuss des Pfeils hörbar wird, gleichzeitig aber deutlich markiert wird, dass „das Bleistift große Geschoss […] ein winziges Stück aus der Haut des Bären [stanzt]“ und die Bären weitestgehend unbeeinträchtigt bleiben. Auffällig ist zudem, dass die Sequenz durchgängig von den Rotationsgeräuschen des Hubschraubers begleitet wird, während jegliche zuvor noch eingeblendete Musik nun ausbleibt.
 
  
Die Präparation sowie der Abschuss des Pfeiles werden hier demnach so inszeniert, dass zunächst das Gewehr visuell und auditiv als Gegenstand der Bedrohung geltend gemacht wird. Erst der wissenschaftliche Hintergrund nimmt die Spannung des Gefährlichen heraus. Gleichzeitig zehrt die Inszenierung der Wissenschaft von dem Moment der Bedrohlichkeit, indem Forschung und Erkenntnisgewinn so als spektakulär und damit als besonders interessant dargestellt werden.
+
Die durchgeführte sprachwissenschaftliche Untersuchung nimmt ihren Ausgangspunkt bei der Inszenierung der oben genannten wissenschaftlichen Methoden, um übergeordnet das Verhältnis zwischen Forscher*in und Eisbär im Dokumentarfilm darzulegen. Die erarbeiteten Ergebnisse folgen einer [[Multimodalität|multimodalen]] Analyse repräsentativer Sequenzen auf Basis einer Transkription, die hier einsehbar ist.  
  
==== Sequenz 2: Der Betäubungspfeil (23:04-25:00) ====
+
== Wissenschaftliche Methoden im Dokumentarfilm ''Eisbär in Not?'' ==
Eingeführt wird die Szene aus der noch anonymen Sicht eines schwarzen Hubschrauberfensters hinaus auf eine farblose, weitläufige Eislandschaft. Auditiv rückt die Hintergrundmusik nun in den Vordergrund und besetzt die dargestellten Bilder mit einer emotional positiven Aufbruchsstimmung. Gleichrangig zur Musik kommen die Motorengeräusche des Hubschraubers hinzu und erzeugen einen akustischen Bruch zwischen einem ästhetischen und technischen Klangteppich. Überlagert wird dieser von der Off-Stimme, die den Anlass der Unternehmung kontextualisiert, nämlich den Mangel an wissenschaftlichen Daten sowie die Schwierigkeiten ihrer Erhebung.  Bildlich wird dieser Umstand durch die karge, unbewohnbare Eiswüste gestützt. Währenddessen treten nun die eigentlichen Akteure ins Bild: gezeigt wird das Besatzungsteam, das sich aus vier Wissenschaftlern orchestriert, und das eine Eisbärenmutter und ihre zwei Jungen verfolgt. Simultan zum Sprechertext, der über den Informationsmangel zum Gefährdungsgrad der Eisbären informiert, erscheint das Bild einer Waffe. Um gefahrlos Daten über diese erheben zu können, indem „[…] ausgewählten Tieren Satellitenpeilsender an[ge]leg[t] [werden], betäuben sie die Bären zunächst aus der Luft“ . Dass es sich bei der Munition der Waffe um einen Betäubungspfeil handelt, erfährt der Rezipierende erneut erst nach den Bildern der vorbereiteten Waffe. Der Anlass der Waffengewalt wird erst über den Sprechertext vermittelt, der so die Verzögerung zwischen Bild und Wort rekontextualisiert. Auch die Jungtiere der Bärin werden zur Verharmlosung der gezeigten Gewalt (s.Tabelle) funktionalisiert. Indem sie ungelenk auf den bewegungslosen Körper ihrer Mutter klettern und so ihre unmittelbare Nähe suchen, [[Emotionalisierung in aktuellen Dokumentarfilmen über den Klimawandel|emotionalisieren]] sie die gezeigte Situation. Indem einer der Forscher eines der Eisbärjungen streichelt, inszeniert er sich so als Beschützer der Eisbären und verwischt so die Härte des Eingriffs vom Menschen in die Lebenswelt der Eisbärenfamilie.  Legitimiert wird das Vorhaben durch die Wissenschaft: So werden Bilder vorgeführt, wie die Bärenmutter von den vier Männern unter hörbaren Ächzen gewogen wird, grüne Farbe in ihre Maulpartie gestanzt wird und ihr zuletzt unter Anstrengung das Sendehalsband umgelegt wird. Unter der Prämisse einer Tierwohl orientierten Schirmherrschaft wird hier eine klare Machtausübung durch den Menschen illustriert, die positiven Absichten folgt und doch durch gewaltvolle Eingriffe praktiziert wird.
 
  
===== Die Methode des Betäubungspfeils im dokumentarfilmischen Diskurs =====  
+
==== Der Biopsie-Pfeil ====
Eine nahezu deckungsgleiche Verharmlosungsstrategie zeigt auch der Dokumentarfilm [https://www.youtube.com/watch?v=E2bMlFU75Ts Der Eisbär (2015)]: Der Ablauf des Betäubungsvorgangs wird nach dem Schuss, der hier jedoch deutlich zu hören ist, gleichartig gezeigt und vom Off-Sprecher gleichermaßen begründet. Damit wird zwar der Anlass der Waffennutzung mithilfe eines wissenschaftlich motivierten Ziels legitimiert, die Risiken der Betäubung in dieser Sequenz jedoch nicht problematisiert. Gegensätzlich dazu befasst sich der Tierfilm [https://www.ardmediathek.de/video/expeditionen-ins-tierreich/auf-wiedersehen-eisbaer-leben-auf-spitzbergen/ndr-fernsehen/Y3JpZDovL25kci5kZS84MGY0ODg2NS02YzVlLTRjYWMtOTkxOS1kMjY1ODNjNTE2ZTI/ Auf Wiedersehen Eisbär – Leben auf Spitzbergen (2019)] auch mit den Schattenseiten des Betäubungsvorgangs und verweist auf den Tod einer jungen Bärin, die wahrscheinlich aufgrund einer Unverträglichkeit des Betäubungsmittels starb.  Auch hier ist es die Schirmherrschaft der Wissenschaft, die als auslösende Instanz dafür angegeben wird: „Um die Auswirkungen des Klimawandels zu erforschen, werden jedes Jahr 50 bis 100 Eisbären betäubt, untersucht und vermessen. Anschließend werden sie markiert, damit die Biologen ihre Wanderwege verfolgen können“. Interessanterweise werden in beiden Filmen, [https://www.youtube.com/watch?v=YZjYI6h_B1s Der Eisbär (2014)] und Auf Wiedersehen Eisbär, dieselbe Sequenz zum weiteren Vorgehen der Wissenschaftler gezeigt: die bewusstlose Bärin wird auf einer Tragewiege emporgehoben, während ihre Jungen im Hintergrund auf dem Boden liegen. Nur durch die jeweilige Kontextualisierung durch die Off-Stimmen werden unterschiedliche Schattierungen zur Bewertung dieser wissenschaftlichen Methode gesetzt.  
+
Der Biopsie-Pfeil entnimmt Gewebeproben, indem „das Bleistift große Geschoss […] ein winziges Stück aus der Haut des Bären [stanzt] und […] wieder ab[prallt]“ (12:27–12:31). Die Eisbären bleiben also körperlich nahezu unbeschadet und die Wissenschaftler*innen können dennoch gefahrlos Daten über die Tiere sammeln. So harmlos das methodische Vorgehen theoretisch erläutert wird, desto spektakulärer wird seine praktische Ausführung in ''Eisbär in Not?'' mulitmodal inszeniert: Die vorliegende Sequenz (12:11–12:45) zeigt zunächst, wie ein Pfeil mit einem roten Klebestreifen präpariert wird. Dahinter befindet sich kontrastiv zum Rot ein schwarz-silbernes Gewehr. Der Off-Kommentar spricht davon, wie viele Eisbären „erlegt werden können, ohne die Population zu gefährden“ (12:12–12:17). Visuell getragen wird die Aussage, indem einerseits ein Mann mit dem Gewehr und andererseits zwei vom Hubschrauber weglaufende Eisbären eingeblendet werden. Erst nach den gezeigten Bildern wird die Vorbereitung der Waffe vom Off-Kommentar sprachlich rekontextualisiert: Mithilfe der durch den Biopsie-Pfeil gewonnenen Informationen versuchen die Wissenschaftler*innen die Anzahl davon abzuleiten, wie viele Eisbären von den Inuit erlegt werden dürfen. Es geht hier im Kern also um ein spezifisches [[Die Verschleierung der Gewaltbeziehung zwischen Eisbär und Inuit im Dokumentarfilm|Inuit-Eisbären-Verhältnis]], auf das die Wissenschaft Einfluss nimmt.  
  
==== Sequenz 3: Eisbärenfell am Zaun (35:31-37:53) ====
+
Auffällig charakteristisch an der Inszenierung des Biopsie-Pfeils ist zudem die akustische Unterfütterung der gezeigten Bilder: Der Schuss ist in aller Klarheit hören, während gleichzeitig der Mechanismus des Biopsie-Pfeils von der Off-Stimme erläutert wird. Außerdem wird die Sequenz durchgängig von den Rotationsgeräuschen des Hubschraubers begleitet. Sowohl der Hubschrauber als auch der Pfeil erweisen sich als Mittel, um die Eisbären auf Distanz zu halten. Gleichzeitig werden die Bären in ihrer Fluchtbewegung vor dem Hubschrauber gezeigt. Damit wird hier eine Beziehung zwischen Forscher*in und Eisbär angedeutet, die auf einer [[Die gegenseitige Bedrohung von Eisbär und Mensch im Dokumentarfilm|gegenseitigen Bedrohung von Eisbär und Mensch]] beruht. Die Präparation sowie der Abschuss des Pfeiles tragen dazu bei, dass das Gewehr durch visuelle und auditive [[Multimodalität|Modes]] zunächst als Gegenstand der Bedrohung geltend gemacht wird. Erst die wissenschaftlichen Hintergrundinformationen aus dem Off reduzieren das Spannungsmoment des Gefährlichen. Durch den Moment der Bedrohlichkeit wird Forschung und Erkenntnisgewinn als spektakulär und damit als besonders interessant inszeniert.<ref>Vgl. Ebd., S. 43.</ref> 
Während zuvor Gewebeproben durch Pfeile aus der Luft gesammelt und so Daten über die Eisbärenpopulation erhoben wurden, zeigt diese Sequenz (35:31-37:53) eine räumlich sowie methodisch gegenläufige Forschungspraxis auf: Der Bonepile in Kaktovic wird von verschiedenen Tieren wie Möwen oder Eisbären als Nahrungsquelle genutzt. Wissenschaftler*innen nutzen ihn gleichermaßen - als Quelle für Gewebeproben. Um an Forschungsdaten zu gelangen, wird der Bonepile von einem Maschendrahtzaun umschlossen, an dem die Haare der Eisbären hängen bleiben, ohne einem zusätzlichen Eingriff des Menschen. Diesem so genannten ‚weltweit einmalige[n] Forschungslabor‘ nähern sich Sybille Klenzendorf und die amerikanische Forscherin Karyn Rode zu Fuß. Zur Beschreibung dessen bedient sich die Off-Stimme eines selten eingestreuten metaphorischen Wortlauts: Die Forscherinnen „gehen gemeinsam auf Spurensuche“ (35:45). In dieser Aussage vereinen sich mehrere grundlegende Charakterzüge der Wissenschaft: In der Natur des Wissenschaftlers, der des Wissen-Schaffenden, liegt das grundsätzliche Bestreben danach verankert, neue Erkenntnisse über die (Um-) Welt zu generieren. Die semantische Entscheidung für ‚Spurensuche‘ zentriert so die Rätselhaftigkeit, die der Wissenschaft im Kern zugrunde liegt. Gleichzeitig schaltet der Dokumentarfilm währenddessen bildlich die Schritte, genauer die eigenen Spuren der Forscherinnen, im Schnee zum Off-Kommentar hinzu und garantiert so eine Rückkopplung faktischer Sachlichkeit, die ebenso sehr Teil des modernen Wissenschaftsverständnisses ist. Darüber hinaus verweist die Aussage auch auf das kollektive Bestreben nach Erkenntnisgewinn. Der Wissenschaftsbetrieb formiert sich als Komplex einzelner Akteure, die in einer inhaltlichen, historischen, wissenstraditionellen, etc. Relation zueinander stehen. Es ist die [[Multimodalität]], die das Aufeinanderbezogsein im Dokumentarfilm bloßlegt und gleichzeitig hier exemplarisch die Forschung zum Klimawandel und seiner Beziehung zum Eisbär zusammenführt; und zwar sequenzübergreifend: Dass der Bonepile für die Wissenschaft ein Alleinstellungsmerkmal besitzt, pointiert die Forscherin Sybille Klenzendorf: „Meistens müssen wir mit Hubschraubern aufs Eis rausfliegen und wo Bären total verteilt sind. Hier sind sie alle auf einem Ort und man hat natürlich das als Wissenschaftler einfacher als woanders.“ Die zuvor subtile Hintergrundmusik verstummt an dieser Stelle und Sybille Klenzendorf wird durch eine porträtierende Ansicht als Expertin markiert. Anhand ihrer Äußerung wird so die Schwierigkeit der Eisbär-Klima-Forschung und die Notwendigkeit zu bestimmten Methoden erneut aufgegriffen und als relevant-problematisch ausgewiesen.
 
  
Zudem zeigt dieser Teil der Sequenz die intrikate Beziehung zwischen Forscher*in und Eisbär auf: Auf die Szene der ‚Spurensuche‘ (35:45) folgt durch die Off-Stimme die versprachlichte Wahrnehmung des Eisbären als Bedrohung für die Wissenschaftlerinnen. Der Bonepile ist für die Forscherinnen erst dann zugänglich, wenn sich die „[…] Raubtiere verzogen [haben]“ (35:50). War der Hubschrauber in den Sequenzen zuvor eine für den Eisbären wahrgenommene Bedrohung, ist der Mensch zu Fuß von der Abwesenheit des Eisbären abhängig. Damit wird hier einerseits eine Beziehung zwischen Forscher*in und Eisbär angedeutet, die die gegenseitige Bedrohung von Eisbär und Mensch im Allgemeinen skizziert, andererseits werden mit diesem Hinweis wesentlich die methodischen Rahmenbedingungen für die Wissenschaft und ihre Praxis gesteckt. Während sich die Wissenschaftlerinnen der Eisbärforschung nur über eine Form der Distanz widmen können, stellt der Dokumentarfilm für den Rezipierenden einen hohen Grad der Unmittelbarkeit zur wissenschaftlichen Praxis her: In der Szene 36:47-36:59 wird die Forscherin Karyn Rode gezeigt, wie sie einen kleinen schwarzen Koffer öffnet und diesem feine Werkzeuge entnimmt. Es ist nur Hintergrundmusik gehört, wodurch der Fokus auf das visuell Wahrnehmbare gelegt wird. Sowohl Karyn Rode als auch der Off-Kommentar kontextualisieren daraufhin diesen konkreten Ansatz fachsprachlich, ehe Karyn Rode ein Haarbüschel vom Zaun pflückt und eintütet. Es wird folglich sehr konkret gezeigt und erklärt, wie Wissenschaft in ihrer Praxis funktioniert, wodurch sie und ihre Methoden authentisiert sowie ästhetisiert werden. Die Wissenschaftlerin*innen und die Eisbären tragen so als „wissenschaftlichen Akteure – Menschen wie Tiere – [] zu einer Ästhetik der visuellen Beweisführung bei.“
 
  
==== Sequenz 4: Beobachten aus der Distanz durch Fernrohr (21:00-21:18) und Tundra-Buggys (43:48-45:01) ====
+
==== Der Betäubungspfeil ====
In der Sequenz von 21:00 bis 21:18 treffen Multimodalität und Multiperspektivität aufeinander: Zunächst wird ein Fernrohr aus unmittelbarer Nähe gezeigt, das direkt auf die Kamera gerichtet ist. Hindurch blickt eine Frau, die vom Off-Kommentar als die Forscherin Susan Miller vorgestellt wird. Während sie durch das Fernrohr blickt, berichtet die Off-Stimme, dass sie seit 20 Jahren Eisbären beobachtet. Der Akt des Beobachtens wird somit visuell gezeigt und sprachlich mit dem beruflichen Hintergrund von Susan Miller verknüpft. Die wissenschaftlichen Protagonistinnen werden nun ebenfalls in einen gemeinsamen Sinnzusammenhang gebracht, indem -- nun aus einer weitläufigen Perspektive -- Sybille Klenzendorf an die Seite ihrer Kollegin tritt. Danach wird der Rezipierende über ihr gemeinsames Forschungsvorhaben, den körperlichen Zustand der Eisbären herauszufinden, informiert. Deckungsgleich zum Gesprochenen folgt die Kameraansicht nun dem Lauf des Fernrohrs und ein im Schnee liegender Eisbär tritt in Erscheinung. Indem der Rezipierende nun durch die Augen der Forscherin Susan Miller blickt, entsteht erneut eine direkte Unmittelbarkeit zwischen einer Akteurin der Wissenschaft und dem Rezipierenden. Diese Ansicht erlaubt es, dass der Rezipierende sich nun selbst die Fragen stellt, die auch die Wissenschaftlerinnen interessieren: Was sagt die liegende Position des Eisbären oder sein von grauen Schattierungen geprägtes Fell über seinen körperlichen Zustand aus?
+
Eine häufig inszenierte Methode in Dokumentarfilmen über den Eisbären ist der Abschuss eines Betäubungspfeils. Der Film ''Eisbär in Not?'' leitet die Sequenz (23:04–25:00) ein, indem die Hintergrundmusik nun in den Vordergrund gerückt wird. Die Musik besetzt die dargestellten Bilder mit einer emotional positiven Aufbruchsstimmung. Gleichrangig zur Musik kommen die Motorengeräusche des Hubschraubers hinzu. Die unterschiedlichen auditiven Modes erzeugen zusammen einen akustischen Bruch zwischen einem ästhetischen und technischen Klangteppich. Dadurch wird ein Gefühl der Unruhe modelliert, das nun von der Off-Stimme kontextualisiert wird: Anlass des Unternehmens ist der Mangel an wissenschaftlichen Daten. Das Problem für die Wissenschaft liegt in der schwierigen Datenerhebung, was bildlich durch die karge und unbewohnbare Eiswüste gestützt wird. Umso betonter treten nun die eigentlichen Akteure ins Bild: Ein soldatenähnlich gekleidetes Besatzungsteam verfolgt eine Eisbärenmutter und ihre zwei Jungen. Zeitgleich zum Gesprochenen erscheint nun das Bild eines vorbereiteten Gewehrs. Dass es sich bei der Ladung der Waffe um einen Betäubungspfeil handelt, erfahren Rezipierende erst nachträglich über den Sprechtext. Es besteht also eine Verzögerung zwischen Bild und Wort. Die Wissenschaft und ihre Praxis werden mit Spannung aufgeladen, wodurch der Unterhaltungswert gesteigert wird. Die gezeigte Waffengewalt und der Eingriff in die Bewegungsfreiheit der Eisbärin werden rückwirkend durch die Off-Stimme im Sinne der Wissenschaft legimitiert. Auch die daraufhin eingeblendeten Jungtiere der Bärin werden zur Verharmlosung der gezeigten Gewalt funktionalisiert, indem sie die Situation [[Emotionalisierung in aktuellen Dokumentarfilmen über den Klimawandel|emotionalisieren]]. Als eine von mehreren Verharmlosungsstrategien wird beispielsweise gezeigt, wie ein Forscher eines der Eisbärjungen streichelt. Die Härte des Eingriffs wird somit verwischt. Der Wissenschaftler inszeniert sich – stellvertretend für die gesamte Wissenschaft und ihren Akteur*innen – somit als Beschützer seines Forschungsobjekts.<ref>Vgl. Gerlach, N. (2009): ''Der Tierfilm zwischen Repräsentation und Simulation''. Marburg: Schüren Verlag, S. 103f</ref> 
  
Das Beobachten aus der Distanz wird darüber hinaus durch so genannte Tundra-Buggys praktiziert. Auch diese Sequenz (43:48-45:01) erhebt Sybille Klenzendorf zum Knotenpunkt wissenschaftlicher Praxis, indem sie es ist, die sich mit ihrem Kollegen Steve Amstrup in einem der Tundra-Buggys trifft. Das spannende Moment ist hier die Vorwärtsbewegung des Fahrzeugs, während die Off-Stimme gleichzeitig die historische Entwicklung der Riesendfahrzeuge erzählt: Zunächst als Instrument des Tourismus, verlieren die so bezeichneten ‚Riesenfahrzeuge‘ ihren „nicht unumstrittenen Charakter, indem sie „jetzt [] auch von den Wissenschaftlern sinnvoll genutzt [werden].(44:23) So wird im nächsten Still der Forscher Steve Amstrup mit einem handlichen Fernglas gezeigt. Auch hier folgt er Rezipierende der Sicht des Fernglas und wird zum Teilnehmenden an der Betrachtung der Eisbären aus der, für ihn zweifachen, Distanz.
+
Erst an späterer Stelle des Dokumentarfilms ''Eisbär in Not?'' problematisiert die Off-Stimme den umstrittenen Charakter dieses Eingriffs (37:19). Wie kontrovers die Methode des Betäubungspfeils dargestellt wird, verdeutlicht dessen hoch frequentierte Einblendung in zahlreichen Dokumentarfilmen: [[Der Eisbär|Der Eisbär]] (2012) illustriert den Ablauf des Betäubungsvorgangs gleichartig zu ''Eisbär in Not?'', lediglich der Schuss wird auditiv markiert.<ref>O`Brien, T., Robertson, S. (2012). Der Eisbär. Longest summer Produvtions Inc. 37:48–39:15.</ref> Gegensätzlich dazu befasst sich der Tierfilm [https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/expeditionen_ins_tierreich/Auf-Wiedersehen-Eisbaer-Leben-auf-Spitzbergen,doku1536.html Auf Wiedersehen Eisbär – Leben auf Spitzbergen] (2020) auch mit den Schattenseiten des Betäubungsvorgangs und verweist auf den Tod einer jungen Bärin durch das Betäubungsmittel.<ref>Helgestad, Asgeir (2020): Auf Wiedersehen Eisbär – Leben auf. NDR. 20:08–20:15.</ref> Zusammenfassend lässt sich zur Methode des Betäubungspfeils sagen, dass unter der Prämisse einer Tierwohl orientierten Schirmherrschaft eine klare Machtausübung durch den Menschen als Wissenschaftler repräsentiert wird. Zwar folgt sie positiven, wissenschaftlichen Absichten, doch wird die Datenerhebung erst durch den gewaltvollen Eingriff in die Lebenswelt der Eisbären möglich.
  
Was aus dem Standpunkt der dargestellten Wissenschaftspraxis als nur geringfügig intensiver Eingriff des Menschen in die Lebenswelt des Eisbären anmutet, so kann sich der Eisbär der menschlichen Sphäre und der Beobachtung dennoch kaum mehr entziehen. Hierbei handelt es sich um einen Kritikpunkt, dem sich der Tierfilm immer wieder ausgesetzt sieht.  Der Eisbär ist auch ohne neurologische Bewegungsunfähigkeit durch einen Betäubungspfeil oder einem Zoogehege seiner Bewegungsfreiheit und „Privatsphäre“ beraubt. Gerade durch die moderne Technik, die der Wissenschaft zur Verfügung stehen, Hubschrauber oder Tundra-Buggys, bleiben nur noch wenige Lebensbereiche des Eisbären unerschlossen und so unangetastet vom Menschen.
 
  
== Analyseergebnisse ==
+
==== Eisbärenfell am Zaun: Der Bonepile in Kactovik ====
 +
Während das Forschungsmaterial zuvor durch Pfeile aus der Luft gesammelt wurden, zeigt diese Sequenz (35:31–37:53) eine räumlich sowie methodisch gegenläufige Forschungspraxis auf: Der Bonepile in Kaktovic, ein Wal-Friedhof in Alaska, wird von verschiedenen Tieren wie Möwen oder Eisbären als Nahrungsquelle genutzt. Wissenschaftler*innen nutzen ihn gleichermaßen, als Quelle für Gewebeproben. Der Film zeigt, wie sich die Wissenschaftlerin Sybille Klenzendorf und die amerikanische Forscherin Karyn Rode diesem so genannten „weltweit einmalige[n] Forschungslabor“ (36:36) zu Fuß nähern. Zur Beschreibung dessen bedient sich die Off-Stimme einer bildhaften Darstellung: Die Forscherinnen „gehen gemeinsam auf Spurensuche“ (35:45). In der hier angeführten Metapher vereinen sich mehrere grundlegende Charakterzüge der Wissenschaft: In der Natur des Wissen-Schaffenden liegt das (kollektive) Streben nach neuen Erkenntnissen verankert. Der Ausdruck ‚Spurensuche‘ zentriert so die Rätselhaftigkeit, die der Wissenschaft im Kern zugrunde liegt. Währenddessen schaltet der Dokumentarfilm bildlich die Schritte, genauer die eigenen Spuren der Forscherinnen, im Schnee zum Off-Kommentar hinzu. Damit wird eine Rückkopplung faktischer Sachlichkeit garantiert, die ebenso sehr Teil des modernen Wissenschaftsverständnisses ist. Die Metapher fungiert folglich nicht als einfacher Sprachschmuck.<ref>Vgl. Stuber, Andre (2005): Wissenschaft in den Massenmedien. Die Darstellung wissenschaftlicher Themen im Fernsehen, in Zeitungen und in Publikumszeitschriften, S. 161ff.</ref> Vielmehr spiegelt sie sowohl ein spezifisches Vorgehen bei der Erschließung des Bonepiles in Kaktovic als auch bestimmte Wesenszüge der Wissenschaft im Allgemeinen wider.
 +
 
 +
Um zu verdeutlichen, weshalb der Bonepile in Kaktovic ein Alleinstellungsmerkmal für die Wissenschaft besitzt, wird Sybille Klenzendorf nun in eine porträtierende Ansicht gerückt. Während sie spricht, verstummt die Hintergrundmusik gänzlich. Dadurch wird sie als Expertin ausgewiesen, die nun die wissenschaftliche Methode erklärt: Zur Datenerschließung nutzen sie keine Hubschrauber, sondern die Haarproben, die vorbeilaufende Bären an einem Zaun entlang des Bonepiles hinterlassen. Karyn Rode veranschaulicht das konkrete Vorgehen weitergehend: Zunächst wird sie dabei gezeigt, wie sie einen kleinen, schwarzen Koffer öffnet und feine Utensilien herausnimmt. Daraufhin wird nun sie in die Expertenansicht gerückt, mithilfe derer sie nun den Zweck und die Datenauswertung fachsprachlich erläutert. Die Darstellung Karyn Rodes als Akteurin der Wissenschaft wird daraufhin durch die Verknüpfung von Theorie und Praxis zusammengeführt: Während der Off-kommentar das weitere Vorgehen im Detail beschreibt, wird Karyn Rode beim Sammeln und Eintüten einer Haarprobe gezeigt. Dadurch werden die Wissenschaft und ihre Methoden authentisiert und über die dokumentarfilmische Inszenierung gleichzeitig ästhetisiert.<ref>Vgl. Munz, Tanja (2005): Die Ethologie des wissenschaftlichen Cineasten. Karl von Frisch, Konrad Lorenz und das Verhalten der Tiere im Film. In: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, Jg. 14, Nr. 2, S. 52–68, hier S. 66.</ref>
 +
 
 +
 
 +
==== Beobachten aus der Ferne ====
 +
Im Gegensatz zu Pfeilen oder Knochenbergen wirkt das Beobachten von Tieren aus der Ferne wenig spektakulär. Die Inszenierung dessen in der Sequenz zwischen 21:00 bis 21:18 dagegen ist spannend. Nämlich in der Art wie Multimodalität sowie Multiperspektivität in einen direkten Bezug zueinander gestellt werden: Zunächst wird ein Fernrohr aus unmittelbarer Nähe gezeigt, das direkt auf die Kamera gerichtet ist. Hindurch blickt eine Frau, die vom Off-Kommentar als die Forscherin Susan Miller vorgestellt wird. Während sie durch das Fernrohr blickt, erläutert der Off-Kommentar weiter, dass sie seit 20 Jahren Eisbären beobachtet. Der Akt des Beobachtens wird somit visuell gezeigt und sprachlich mit dem beruflichen Hintergrund Susan Millers verknüpft. Aus einer weitläufigen Perspektive tritt nun Sybille Klenzendorf an die Seite ihrer Kollegin. Die zwei Forscherinnen werden als wissenschaftliche Protagonistinnen in einen gemeinsamen Sinnzusammenhang gebracht. Danach informiert die Off-Stimme über ihr gemeinsames Forschungsvorhaben: Sie wollen den körperlichen Zustand der Eisbären herauszufinden. Deckungsgleich zum Gesprochenen folgt die Kameraansicht nun dem Lauf des Fernrohrs und ein im Schnee liegender Eisbär tritt in Erscheinung. Indem die Rezipierenden nun gewissermaßen durch die Augen der Forscherin Susan Miller blicken, entsteht eine direkte Unmittelbarkeit zwischen einer Akteurin der Wissenschaft und den Rezipierenden des Dokumentarfilms. Diese Ansicht erlaubt den Rezipierenden, sich nun selbst die Fragen zu stellen, die auch die Wissenschaftlerinnen interessieren: Was sagt die liegende Position des Eisbären oder sein von grauen Schattierungen geprägtes Fell über seinen körperlichen Zustand aus?
 +
 
 +
Darüber hinaus wird das Beobachten aus der Ferne mittels so genannter Tundra-Buggys praktiziert. Auch diese Sequenz (43:48–45:01) erhebt Sybille Klenzendorf zum Knotenpunkt eines wissenschaftlichen Netzwerks, indem sie es ist, die sich mit ihrem Kollegen Steve Amstrup in einem der Tundra-Buggys trifft. Das spannende Moment ist hier die Vorwärtsbewegung des Fahrzeugs, während die Off-Stimme gleichzeitig die historische Entwicklung der Fahrzeuge erzählt: Zunächst als Instrument des Tourismus, verlieren die so bezeichneten ‚Riesenfahrzeuge‘ ihren „nicht unumstritten[en]“ Charakter, indem sie „jetzt […] auch von den Wissenschaftlern sinnvoll genutzt [werden].“ (44:24–44:29) Die Leistung der Wissenschaft besteht demnach in der Aufwertung zuvor anders genutzter Technik. Zur Bestätigung des Sprechtexts wird daraufhin der Forscher Steve Amstrup mit einem handlichen Fernglas gezeigt. Auch hier folgen die Rezipierenden der Sicht des Fernglases und werden zu Teilhabenden an der Eisbärenbetrachtung. Die Beobachtung aus der Ferne scheint zunächst ein gänzlich harmloser Eingriff des Menschen in die Lebenswelt der Eisbären zu sein. Dem dahinter steht jedoch, dass sich der Eisbär der menschlichen Sphäre und seiner Beobachtung kaum mehr entziehen kann.
 +
 +
== Das Verhältnis zwischen Forscher*in und Eisbär ==
 +
Wie die Analyse hervorbrachte, wird das Verhältnis zwischen Wissenschaftler*innen und den Eisbären durch einen unterschiedlichen Grad an Nähe und Distanz zur Datenerhebung bestimmt. Sowohl der Biopsie- als auch der Betäubungspfeil inszenieren die Wissenschaft und ihre Methoden als spektakulär und spannungsreich: Sie nähern sich aus der Luft und schießen dann auf den Leib des Bären. Es besteht also ein physischer Kontakt zwischen der Sphäre des Tieres und der des Menschen. Das Sammeln der Fellrückstände und die Beobachtung aus der Ferne setzen ihren Fokus mehr auf eine bodenständigere Forschungspraxis, die immer eine körperliche Distanz zu den Eisbären bewahrt. Den Methoden gemeinsam ist, dass der Eisbär auf unterschiedliche Weise seiner Bewegungsfreiheit beraubt wird: Durch die moderne Technik bleiben nur noch sehr wenige Lebensbereiche des Eisbären unerschlossen und somit unangetastet vom Menschen. Gerade die filmische Darstellung addiert zu der Beobachtungsebene der gezeigten Akteure*innen die zusätzliche Schau der Rezipierenden, derer sich der Eisbär nicht entziehen kann. Geprägt ist die Eisbär-Forscher*innen Beziehung zusammengefasst davon, dass der Eisbär zu seinem Schutz dem Handeln und der Beobachtung des Menschen, schutzlos ausgeliefert ist.
 +
 
 +
== Belege ==

Aktuelle Version vom 11. Februar 2022, 14:43 Uhr

Icon-Zahnrad.png
Dieser Beitrag ist kein inhaltlicher Bestandteil des Living Handbooks, sondern die persönliche Werkstatt-Seite von Nutzer*in Laura Löslein. Bitte nehmen Sie keine Änderungen an dieser Seite vor, ohne dies zuvor mit Laura Löslein abgesprochen zu haben.

Die Inszenierung von Wissenschaft im Dokumentarfilm vor dem Hintergrund des Eisbär-Mensch-Verhältnisses

Das wachsende Bewusstsein für den Klimawandel bietet der szientistischen Wissenschaft einen weitstreuenden Nährboden für neue Forschungsbeiträge. Auch Dokumentarfilme über den Klimawandel befassen sich steigend mit ökologischen Fragestellungen und der Rolle der Wissenschaft darin. Anhand des Films Eisbär in Not? (2014)[1] beleuchtet der folgende Beitrag die Inszenierung der Wissenschaft im Dokumentarfilm vor dem Hintergrund des Eisbär-Mensch-Verhältnisses mittels eines multimodalen Analysezugangs.

Wissenschaft und ihre Methoden im Dokumentarfilm

Per Definition erheben Dokumentationen keinen Anspruch auf einen unmittelbaren Aktualitätsbezug, weshalb sie zur Präsentation neuster Forschungserkenntnisse ein nur bedingt geeignetes Medium sind.[2] Wissenschaftliche Themen mit einem längeren Aktualitätsbezug – wie der Klimawandel – können dagegen durchaus dokumentarisch aufgearbeitet und vermittelt werden.[3] Der Dokumentarfilm Eisbär in Not? zeigt verschiedene Verfahrensweisen auf, mit denen Wissenschaftler*innen Forschungsergebnisse erschließen und somit in die Lebenswelt der Eisbären eingreifen. Die Methoden reichen vom Abschuss eines Gewebeproben- sowie eines Betäubungspfeils über die Beobachtung aus der Ferne sowie über Fellrückstände am Zaun des Bonepile von Kactovik, einem Wal-Friedhof in Alaska.

Sequenzanalyse als sprachwissenschaftliche Methode

Die durchgeführte sprachwissenschaftliche Untersuchung nimmt ihren Ausgangspunkt bei der Inszenierung der oben genannten wissenschaftlichen Methoden, um übergeordnet das Verhältnis zwischen Forscher*in und Eisbär im Dokumentarfilm darzulegen. Die erarbeiteten Ergebnisse folgen einer multimodalen Analyse repräsentativer Sequenzen auf Basis einer Transkription, die hier einsehbar ist.

Wissenschaftliche Methoden im Dokumentarfilm Eisbär in Not?

Der Biopsie-Pfeil

Der Biopsie-Pfeil entnimmt Gewebeproben, indem „das Bleistift große Geschoss […] ein winziges Stück aus der Haut des Bären [stanzt] und […] wieder ab[prallt]“ (12:27–12:31). Die Eisbären bleiben also körperlich nahezu unbeschadet und die Wissenschaftler*innen können dennoch gefahrlos Daten über die Tiere sammeln. So harmlos das methodische Vorgehen theoretisch erläutert wird, desto spektakulärer wird seine praktische Ausführung in Eisbär in Not? mulitmodal inszeniert: Die vorliegende Sequenz (12:11–12:45) zeigt zunächst, wie ein Pfeil mit einem roten Klebestreifen präpariert wird. Dahinter befindet sich kontrastiv zum Rot ein schwarz-silbernes Gewehr. Der Off-Kommentar spricht davon, wie viele Eisbären „erlegt werden können, ohne die Population zu gefährden“ (12:12–12:17). Visuell getragen wird die Aussage, indem einerseits ein Mann mit dem Gewehr und andererseits zwei vom Hubschrauber weglaufende Eisbären eingeblendet werden. Erst nach den gezeigten Bildern wird die Vorbereitung der Waffe vom Off-Kommentar sprachlich rekontextualisiert: Mithilfe der durch den Biopsie-Pfeil gewonnenen Informationen versuchen die Wissenschaftler*innen die Anzahl davon abzuleiten, wie viele Eisbären von den Inuit erlegt werden dürfen. Es geht hier im Kern also um ein spezifisches Inuit-Eisbären-Verhältnis, auf das die Wissenschaft Einfluss nimmt.

Auffällig charakteristisch an der Inszenierung des Biopsie-Pfeils ist zudem die akustische Unterfütterung der gezeigten Bilder: Der Schuss ist in aller Klarheit hören, während gleichzeitig der Mechanismus des Biopsie-Pfeils von der Off-Stimme erläutert wird. Außerdem wird die Sequenz durchgängig von den Rotationsgeräuschen des Hubschraubers begleitet. Sowohl der Hubschrauber als auch der Pfeil erweisen sich als Mittel, um die Eisbären auf Distanz zu halten. Gleichzeitig werden die Bären in ihrer Fluchtbewegung vor dem Hubschrauber gezeigt. Damit wird hier eine Beziehung zwischen Forscher*in und Eisbär angedeutet, die auf einer gegenseitigen Bedrohung von Eisbär und Mensch beruht. Die Präparation sowie der Abschuss des Pfeiles tragen dazu bei, dass das Gewehr durch visuelle und auditive Modes zunächst als Gegenstand der Bedrohung geltend gemacht wird. Erst die wissenschaftlichen Hintergrundinformationen aus dem Off reduzieren das Spannungsmoment des Gefährlichen. Durch den Moment der Bedrohlichkeit wird Forschung und Erkenntnisgewinn als spektakulär und damit als besonders interessant inszeniert.[4]


Der Betäubungspfeil

Eine häufig inszenierte Methode in Dokumentarfilmen über den Eisbären ist der Abschuss eines Betäubungspfeils. Der Film Eisbär in Not? leitet die Sequenz (23:04–25:00) ein, indem die Hintergrundmusik nun in den Vordergrund gerückt wird. Die Musik besetzt die dargestellten Bilder mit einer emotional positiven Aufbruchsstimmung. Gleichrangig zur Musik kommen die Motorengeräusche des Hubschraubers hinzu. Die unterschiedlichen auditiven Modes erzeugen zusammen einen akustischen Bruch zwischen einem ästhetischen und technischen Klangteppich. Dadurch wird ein Gefühl der Unruhe modelliert, das nun von der Off-Stimme kontextualisiert wird: Anlass des Unternehmens ist der Mangel an wissenschaftlichen Daten. Das Problem für die Wissenschaft liegt in der schwierigen Datenerhebung, was bildlich durch die karge und unbewohnbare Eiswüste gestützt wird. Umso betonter treten nun die eigentlichen Akteure ins Bild: Ein soldatenähnlich gekleidetes Besatzungsteam verfolgt eine Eisbärenmutter und ihre zwei Jungen. Zeitgleich zum Gesprochenen erscheint nun das Bild eines vorbereiteten Gewehrs. Dass es sich bei der Ladung der Waffe um einen Betäubungspfeil handelt, erfahren Rezipierende erst nachträglich über den Sprechtext. Es besteht also eine Verzögerung zwischen Bild und Wort. Die Wissenschaft und ihre Praxis werden mit Spannung aufgeladen, wodurch der Unterhaltungswert gesteigert wird. Die gezeigte Waffengewalt und der Eingriff in die Bewegungsfreiheit der Eisbärin werden rückwirkend durch die Off-Stimme im Sinne der Wissenschaft legimitiert. Auch die daraufhin eingeblendeten Jungtiere der Bärin werden zur Verharmlosung der gezeigten Gewalt funktionalisiert, indem sie die Situation emotionalisieren. Als eine von mehreren Verharmlosungsstrategien wird beispielsweise gezeigt, wie ein Forscher eines der Eisbärjungen streichelt. Die Härte des Eingriffs wird somit verwischt. Der Wissenschaftler inszeniert sich – stellvertretend für die gesamte Wissenschaft und ihren Akteur*innen – somit als Beschützer seines Forschungsobjekts.[5]

Erst an späterer Stelle des Dokumentarfilms Eisbär in Not? problematisiert die Off-Stimme den umstrittenen Charakter dieses Eingriffs (37:19). Wie kontrovers die Methode des Betäubungspfeils dargestellt wird, verdeutlicht dessen hoch frequentierte Einblendung in zahlreichen Dokumentarfilmen: Der Eisbär (2012) illustriert den Ablauf des Betäubungsvorgangs gleichartig zu Eisbär in Not?, lediglich der Schuss wird auditiv markiert.[6] Gegensätzlich dazu befasst sich der Tierfilm Auf Wiedersehen Eisbär – Leben auf Spitzbergen (2020) auch mit den Schattenseiten des Betäubungsvorgangs und verweist auf den Tod einer jungen Bärin durch das Betäubungsmittel.[7] Zusammenfassend lässt sich zur Methode des Betäubungspfeils sagen, dass unter der Prämisse einer Tierwohl orientierten Schirmherrschaft eine klare Machtausübung durch den Menschen als Wissenschaftler repräsentiert wird. Zwar folgt sie positiven, wissenschaftlichen Absichten, doch wird die Datenerhebung erst durch den gewaltvollen Eingriff in die Lebenswelt der Eisbären möglich.


Eisbärenfell am Zaun: Der Bonepile in Kactovik

Während das Forschungsmaterial zuvor durch Pfeile aus der Luft gesammelt wurden, zeigt diese Sequenz (35:31–37:53) eine räumlich sowie methodisch gegenläufige Forschungspraxis auf: Der Bonepile in Kaktovic, ein Wal-Friedhof in Alaska, wird von verschiedenen Tieren wie Möwen oder Eisbären als Nahrungsquelle genutzt. Wissenschaftler*innen nutzen ihn gleichermaßen, als Quelle für Gewebeproben. Der Film zeigt, wie sich die Wissenschaftlerin Sybille Klenzendorf und die amerikanische Forscherin Karyn Rode diesem so genannten „weltweit einmalige[n] Forschungslabor“ (36:36) zu Fuß nähern. Zur Beschreibung dessen bedient sich die Off-Stimme einer bildhaften Darstellung: Die Forscherinnen „gehen gemeinsam auf Spurensuche“ (35:45). In der hier angeführten Metapher vereinen sich mehrere grundlegende Charakterzüge der Wissenschaft: In der Natur des Wissen-Schaffenden liegt das (kollektive) Streben nach neuen Erkenntnissen verankert. Der Ausdruck ‚Spurensuche‘ zentriert so die Rätselhaftigkeit, die der Wissenschaft im Kern zugrunde liegt. Währenddessen schaltet der Dokumentarfilm bildlich die Schritte, genauer die eigenen Spuren der Forscherinnen, im Schnee zum Off-Kommentar hinzu. Damit wird eine Rückkopplung faktischer Sachlichkeit garantiert, die ebenso sehr Teil des modernen Wissenschaftsverständnisses ist. Die Metapher fungiert folglich nicht als einfacher Sprachschmuck.[8] Vielmehr spiegelt sie sowohl ein spezifisches Vorgehen bei der Erschließung des Bonepiles in Kaktovic als auch bestimmte Wesenszüge der Wissenschaft im Allgemeinen wider.

Um zu verdeutlichen, weshalb der Bonepile in Kaktovic ein Alleinstellungsmerkmal für die Wissenschaft besitzt, wird Sybille Klenzendorf nun in eine porträtierende Ansicht gerückt. Während sie spricht, verstummt die Hintergrundmusik gänzlich. Dadurch wird sie als Expertin ausgewiesen, die nun die wissenschaftliche Methode erklärt: Zur Datenerschließung nutzen sie keine Hubschrauber, sondern die Haarproben, die vorbeilaufende Bären an einem Zaun entlang des Bonepiles hinterlassen. Karyn Rode veranschaulicht das konkrete Vorgehen weitergehend: Zunächst wird sie dabei gezeigt, wie sie einen kleinen, schwarzen Koffer öffnet und feine Utensilien herausnimmt. Daraufhin wird nun sie in die Expertenansicht gerückt, mithilfe derer sie nun den Zweck und die Datenauswertung fachsprachlich erläutert. Die Darstellung Karyn Rodes als Akteurin der Wissenschaft wird daraufhin durch die Verknüpfung von Theorie und Praxis zusammengeführt: Während der Off-kommentar das weitere Vorgehen im Detail beschreibt, wird Karyn Rode beim Sammeln und Eintüten einer Haarprobe gezeigt. Dadurch werden die Wissenschaft und ihre Methoden authentisiert und über die dokumentarfilmische Inszenierung gleichzeitig ästhetisiert.[9]


Beobachten aus der Ferne

Im Gegensatz zu Pfeilen oder Knochenbergen wirkt das Beobachten von Tieren aus der Ferne wenig spektakulär. Die Inszenierung dessen in der Sequenz zwischen 21:00 bis 21:18 dagegen ist spannend. Nämlich in der Art wie Multimodalität sowie Multiperspektivität in einen direkten Bezug zueinander gestellt werden: Zunächst wird ein Fernrohr aus unmittelbarer Nähe gezeigt, das direkt auf die Kamera gerichtet ist. Hindurch blickt eine Frau, die vom Off-Kommentar als die Forscherin Susan Miller vorgestellt wird. Während sie durch das Fernrohr blickt, erläutert der Off-Kommentar weiter, dass sie seit 20 Jahren Eisbären beobachtet. Der Akt des Beobachtens wird somit visuell gezeigt und sprachlich mit dem beruflichen Hintergrund Susan Millers verknüpft. Aus einer weitläufigen Perspektive tritt nun Sybille Klenzendorf an die Seite ihrer Kollegin. Die zwei Forscherinnen werden als wissenschaftliche Protagonistinnen in einen gemeinsamen Sinnzusammenhang gebracht. Danach informiert die Off-Stimme über ihr gemeinsames Forschungsvorhaben: Sie wollen den körperlichen Zustand der Eisbären herauszufinden. Deckungsgleich zum Gesprochenen folgt die Kameraansicht nun dem Lauf des Fernrohrs und ein im Schnee liegender Eisbär tritt in Erscheinung. Indem die Rezipierenden nun gewissermaßen durch die Augen der Forscherin Susan Miller blicken, entsteht eine direkte Unmittelbarkeit zwischen einer Akteurin der Wissenschaft und den Rezipierenden des Dokumentarfilms. Diese Ansicht erlaubt den Rezipierenden, sich nun selbst die Fragen zu stellen, die auch die Wissenschaftlerinnen interessieren: Was sagt die liegende Position des Eisbären oder sein von grauen Schattierungen geprägtes Fell über seinen körperlichen Zustand aus?

Darüber hinaus wird das Beobachten aus der Ferne mittels so genannter Tundra-Buggys praktiziert. Auch diese Sequenz (43:48–45:01) erhebt Sybille Klenzendorf zum Knotenpunkt eines wissenschaftlichen Netzwerks, indem sie es ist, die sich mit ihrem Kollegen Steve Amstrup in einem der Tundra-Buggys trifft. Das spannende Moment ist hier die Vorwärtsbewegung des Fahrzeugs, während die Off-Stimme gleichzeitig die historische Entwicklung der Fahrzeuge erzählt: Zunächst als Instrument des Tourismus, verlieren die so bezeichneten ‚Riesenfahrzeuge‘ ihren „nicht unumstritten[en]“ Charakter, indem sie „jetzt […] auch von den Wissenschaftlern sinnvoll genutzt [werden].“ (44:24–44:29) Die Leistung der Wissenschaft besteht demnach in der Aufwertung zuvor anders genutzter Technik. Zur Bestätigung des Sprechtexts wird daraufhin der Forscher Steve Amstrup mit einem handlichen Fernglas gezeigt. Auch hier folgen die Rezipierenden der Sicht des Fernglases und werden zu Teilhabenden an der Eisbärenbetrachtung. Die Beobachtung aus der Ferne scheint zunächst ein gänzlich harmloser Eingriff des Menschen in die Lebenswelt der Eisbären zu sein. Dem dahinter steht jedoch, dass sich der Eisbär der menschlichen Sphäre und seiner Beobachtung kaum mehr entziehen kann.

Das Verhältnis zwischen Forscher*in und Eisbär

Wie die Analyse hervorbrachte, wird das Verhältnis zwischen Wissenschaftler*innen und den Eisbären durch einen unterschiedlichen Grad an Nähe und Distanz zur Datenerhebung bestimmt. Sowohl der Biopsie- als auch der Betäubungspfeil inszenieren die Wissenschaft und ihre Methoden als spektakulär und spannungsreich: Sie nähern sich aus der Luft und schießen dann auf den Leib des Bären. Es besteht also ein physischer Kontakt zwischen der Sphäre des Tieres und der des Menschen. Das Sammeln der Fellrückstände und die Beobachtung aus der Ferne setzen ihren Fokus mehr auf eine bodenständigere Forschungspraxis, die immer eine körperliche Distanz zu den Eisbären bewahrt. Den Methoden gemeinsam ist, dass der Eisbär auf unterschiedliche Weise seiner Bewegungsfreiheit beraubt wird: Durch die moderne Technik bleiben nur noch sehr wenige Lebensbereiche des Eisbären unerschlossen und somit unangetastet vom Menschen. Gerade die filmische Darstellung addiert zu der Beobachtungsebene der gezeigten Akteure*innen die zusätzliche Schau der Rezipierenden, derer sich der Eisbär nicht entziehen kann. Geprägt ist die Eisbär-Forscher*innen Beziehung zusammengefasst davon, dass der Eisbär zu seinem Schutz dem Handeln und der Beobachtung des Menschen, schutzlos ausgeliefert ist.

Belege

  1. Dammertz, T., Gerisch, C., Kindler, A. (2014): Der Eisbär in Not? Manitoba: Spiegel TV. Die im Folgenden angeführten Minuten- und Sekundenangaben beziehen sich auf Inhalte dieses Films.
  2. Vgl. Stuber, Andre (2005): Wissenschaft in den Massenmedien. Die Darstellung wissenschaftlicher Themen im Fernsehen, in Zeitungen und in Publikumszeitschriften, S. 107.
  3. Vgl. Ebd.
  4. Vgl. Ebd., S. 43.
  5. Vgl. Gerlach, N. (2009): Der Tierfilm zwischen Repräsentation und Simulation. Marburg: Schüren Verlag, S. 103f
  6. O`Brien, T., Robertson, S. (2012). Der Eisbär. Longest summer Produvtions Inc. 37:48–39:15.
  7. Helgestad, Asgeir (2020): Auf Wiedersehen Eisbär – Leben auf. NDR. 20:08–20:15.
  8. Vgl. Stuber, Andre (2005): Wissenschaft in den Massenmedien. Die Darstellung wissenschaftlicher Themen im Fernsehen, in Zeitungen und in Publikumszeitschriften, S. 161ff.
  9. Vgl. Munz, Tanja (2005): Die Ethologie des wissenschaftlichen Cineasten. Karl von Frisch, Konrad Lorenz und das Verhalten der Tiere im Film. In: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, Jg. 14, Nr. 2, S. 52–68, hier S. 66.