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==Definition der Begriffe==
 
==Definition der Begriffe==
===Fakt===
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===Politisch===
 
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Das Wort ‚politisch‘ ist grundsätzlich als Adjektiv zu verstehen, welches etwas beschreibt, dass die Politik betrifft <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=politisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/politisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref>. Weiterhin kann es als „auf ein Ziel gerichtet, klug und berechnend“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=politisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/politisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref> verstanden werden. Seine Herkunft findet das Wort im Griechischen. „politikós“ steht dabei in Bezug auf die Staatsverwaltung oder für die Bürgerschaft <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=politisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/politisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref>.
Der Fakt, auch das Faktum genannt, beschreibt eine Tatsache, welche nachweislich existiert oder geschehen ist <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=Faktum |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/Faktum_Gegebenheit_Sachlage |Abruf=03.01.2022 }}</ref>. Wenn etwas als Fakt ausgelegt wird, ist also davon auszugehen, dass der Umstand, welcher als Fakt beschrieben wird, nachvollziehbar belegt und bewiesen werden kann. Ein Fakt ist mit der Wahrheit gleichsetzbar und vertritt die Realität.
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===Ästhetisch===
 
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Das Wort ‚ästhetisch‘ bildet das Adjektiv zum Substantiv ‚Ästhetisch‘ und ist dadurch in erster Linie als „den Gesetzen der Ästhetik entsprechend“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=ästhetisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/aesthetisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref> zu verstehen. Gleichzeitig bedeutet dies eine Auslegung des Begriffs als „stilvoll, schön, geschmackvoll, ansprechend“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=ästhetisch |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/aesthetisch |Abruf=03.01.2022 }}</ref>.
===Fiktion===
 
Als Gegensatz dazu findet sich die Fiktion, welche etwas Ausgedachtes, nicht reales und nur in der Vorstellung existierendes beschreibt<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Duden/Dudenredaktion (o. J.) |Titel=Fiktion |Jahr=2022 |Website=Duden |Online=https://www.duden.de/rechtschreibung/Fiktion |Abruf=03.01.2022 }}</ref>. Im Unterschied zum Fakt hat die Fiktion keinen Wahrheitsgehalt und basiert auf Erfindungen und Fantasie.
 
 
 
 
==Ausführliche Informationen zu den Begriffen==
 
==Ausführliche Informationen zu den Begriffen==
Der Klimawandel wird literarisch auf verschiedenen Ebenen ausführlich behandelt. Dabei muss zwischen der Fiction und Non-Fiction unterschieden werden; also zwischen den literarischen Ausführungen, welche der Belletristik angehören, und denen, welche der Sachliteratur oder Fachliteratur zuzuordnen sind. Dieser Artikel befasst sich mit der Klimaliteratur, welche der Belletristik angehört, also der Fiction.
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Auf den ersten Blick sind die Begriffe ‚politisch‘ und ‚ästhetisch‘ im Kontext der Literatur, spezifisch der Klimaliteratur, nicht einfach einzuordnen. Bei genauerer Betrachtung ist eine Auslegung möglich, bei der ‚politisch‘ mit der ‚littérature engagée‘ gleichgesetzt wird, ‚ästhetisch‘ hingegen das Prinzip von ‚l’art pour l’art‘ repräsentiert.
 
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Der Begriff ‚littérature engagée‘ kommt aus dem Französischen und beschreibt die engagierte Literatur. Als engagierte Literatur lassen sich (vorrangig) belletristische Werke bezeichnen, welche den Anspruch haben, dem Leser ein spezifisches Interesse nahe zu legen. Engagierte Literatur kann also als eine Form der Literatur verstanden <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=190 }}</ref>. Die engagierte Literatur verfolgt somit immer ein Ziel. Das literarische Werk soll beim Leser ein Nachdenken über das Geschriebene auslösen, sodass seine eigenen Überzeugungen reflektiert werden und schlussendlich eine Handlungsmotivation entsteht. Bezogen auf die Klimaliteratur ist das Ziel der engagierten Literatur verschieden auszulegen. Es sollen dem Leser die Gründe und Auswirkungen des Klimawandels näher gebracht werden, aber auch dazu anleiten, selbst in Aktion zu treten und das eigene Leben klimafreundlicher zu gestalten, also ein nachhaltigeres Denken anregen. Im Besten Falle ist die Überzeugung des Werkes so mächtig, dass der Leser sich aktiv für den Klimaschutz einsetzt.  
Die Literatur innerhalb der Belletristik verfolgt vordergründig das Ziel, zu unterhalten, anstatt der Lehre von Fakten. Um den fiktiven Status eines literarischen Werkes für Leser zu kennzeichnen, werden in der Regel Fiktionssignale eingesetzt: „Unter Fiktionssignalen werden im Allgemeinen Phänomene verstanden, die auf mehr oder weniger eindeutige Weise anzeigen oder nahe legen, dass ein Text fiktional ist.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Zipfel, Frank |Titel=Fiktionssignale |Herausgeber*in=Klauk, Tobias; Köppe, Tilmann |Sammelband=Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch|Ort=Berlin, Boston |Verlag=De Gruyter |Jahr=2014 |Seite=97 f }}</ref> Zu diesen Signalen gehören unter anderem eine von den Autor*innen vorgenommene spezifische literarische Zuschreibung des eigenen Werkes, wie z.B. ‚Roman‘, ‚Drama‘, ‚Gedicht‘ o.ä. Im Bereich der Belletristik hat die Klimaliteratur bereits einen eigenen Gattungsbegriff erhalten, die Climate Fiction (aus dem Englischen, zu Deutsch: Klima-Fiktion). Wie der Kategorie-Name bereits andeutet, sind Werke aus dieser Gattung immer als fiktiv zu verstehen.
 
Ausgehend von dieser Tatsache gilt es zu überlegen, wie die Begriffe Fakt und Fiktion innerhalb eines rein-fiktionalen Kontextes auszulegen sind, und ob ein Fakt als solcher innerhalb dieses Kontextes noch so genannt werden darf.
 
 
 
Im Metzler Lexikon für Literatur wird Fiktion folgendermaßen definiert: „[…] Auf lit. Texte bezogen der imaginäre Status der dargestellten Figuren, Orte und Ereignisse, insofern diese keine direkte Korrespondenz in der Realität besitzen.“ <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=Fiktion |Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite= 239 }}</ref>
 
Basierend auf dieser Definition legitimiert sich etwas also dann als Fiktion, wenn es nicht vergleichbar in der Realität existiert oder geschehen ist. Gleichermaßen ergibt sich daraus, dass ein Fakt in der Literatur etwas beschreibt, was bereits bekannt ist, also tatsächlich existiert oder geschehen ist: „In fiktionaler Lit. […] können sich fiktive mit realen Elementen vermischen. Das gilt bes. für Gattungen an der Grenze zwischen Faktum und F. wie den ä historischen Roman oder das Dokumentartheater […], aber auch für viele andere Werke, welche fiktive Ereignisse schildern, die sich an realen Orten zutragen […].“ <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=Fiktion |Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite= 239 }}</ref>
 
 
 
Im Bereich der Climate Fiction ist dieses Prinzip häufig auf ähnlich umgesetzte Art und Weise anzutreffen.
 
 
 
==Detaillierte Analyse des Gegensatzpaares anhand ausgewählter Beispiele aus der Klimaliteratur==
 
 
 
[[Datei:albinoeichhörnchen.jpg|thumb|Ein Albinoeichhörnchen im Geäst.]]
 
In der Klimawandelliteratur sind häufig Szenarien zu finden, in denen der Klimawandel bereits stattgefunden hat. Der Leser ist für den Prozess des Klimawandels nicht anwesend, sondern wird mit dem sich daraus resultierenden Ergebnis konfrontiert, welches sich häufig als einschneidende Veränderung für die Menschheit und den Planeten im Allgemeinen darstellt. Ein Beispiel dafür stellt die Welt in „Milchzähne“ von Helene Bukowski dar. Die Charaktere aus „Milchzähne“ leben zunächst in einem beständigen Nebel, der sich nie zu lichten scheint. Als eines Tages die Sonne doch durch den Nebel bricht, hört sie nicht mehr auf zu scheinen. Eine unaufhaltsame Dürre breitet sich aus, die kein Ende kennt, und die Natur und Lebenswelt der Charaktere massiv verändert: die ansässigen Tiere bleichen über die Jahre aus, das Gras verkohlt durch den fehlenden Regen. Die Sonne ist so intensiv, dass sogar Möwen angekohlt aus dem Himmel zu Boden stürzen. Zunächst kommen die Hauptcharaktere mit diesen Veränderungen gut klar. Sie haben sich über Jahre hin, während der Zeit des Nebels, eine Menge an Essensvorräten zugelegt und haben gelernt, zu Selbstversorgern zu werden, indem sie den Garten hinter dem Haus bewirtschaften und sich Kaninchen halten. Doch je länger die Dürreperiode anhält, desto weniger Ertrag bringt der Garten, und auch die Ländereien der Nachbarn bringen weniger und weniger Ernte ein. Die Wetterveränderung stellt nach und nach eine ernsthafte Bedrohung für die Anwohner dar.
 
 
 
 
 
Auch die „Maze Runner“-Reihe von James Dashner erzählt von einer post-apokalyptischen Welt, in der die  Charaktere ebenfalls den Folgen einer starken Naturveränderung ausgesetzt sind. In Dashners Roman verändert sich die Welt der Menschen nach einer Reihe von Sonneneruptionen, welche die Erde massiv beschädigen. Ganze Lebensregionen werden von der Erde gebrannt. Die von den Sonneneruptionen unbeschädigten Länder haben mit den Folgekonsequenzen zu kämpfen, die sich in der Form von Feuerstürmen, Tsunamis und extremer Hitze zeigen. Das Endergebnis ist eine neue Wüste, welche sich durch den gesamten Bereich des Äquators zieht; eine durch Wetterkatastrophen gänzlich veränderte Erde.
 
  
Ein ähnliches Geschehen ist in „Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele“ von Suzanne Collins beschrieben: <blockquote>„Er erzählt aus der Geschichte von Panem, dem Land, das aus den Trümmern dessen erstand, was einst Nordamerika genannt wurde. Er zählt die Katastrophen auf, die Dürren, die Stürme, die Feuersbrünste, erzählt von dem anschwellenden Meer, das so viel Land geschluckt hat, und erinnert an den brutalen Krieg um die wenige verbliebene Nahrung.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Collins, Suzanne |Titel=Die Tribute von Panem. Tödliche Hungerspiele |Ort=Hamburg |Verlag=Friedrich Oetinger GmbH |Jahr=2009 |Seite=23 }}</ref></blockquote> Die Welt, in der sich die Charaktere von Suzanne Collins nun behaupten müssen, zeichnet sich durch eine Dystopie aus, in der Hunger und Nahrungsnot konstante Faktoren sind. Während in „Die Tribute von Panem“ die Ursachen für diese Hungersnöte vordergründig am bestehenden politischen System liegen und sich während des Handlungsverlaufs wenige Hinweise dafür finden lassen, dass Klima, Wetter oder die Natur im Allgemeinen für die Hungersnöte verantwortlich sind, so gibt der zitierte Ausschnitt doch einen Einblick in die Umweltkatastrophen, welche der Menschheit in Collins Roman massiv zugesetzt haben.
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Der Begriff ‚l’art pour l’art‘ stammt ebenfalls aus dem Französischen und bedeutet wortwörtlich übersetzt „die Kunst für die Kunst“. Sinngemäß ist dies als „die Kunst um der Kunst willen“ zu verstehen und bildet damit den Gegensatz zur engagierten Literatur, welche immer einen Zweck neben der künstlerischen Aussage selbst verfolgt. Die Kunst um der Kunst willen hingegen steht dafür ein, dass die Kunst selbst Aussage genug ist und verfolgt kein weiteres Motiv: „L’art pour l’art, […] Formel, die […] die Autonomie der Kunst gegen jegliche außerästhetischen (z. B. moralischen, religiösen oder politischen) Zwecke propagiert und das Schöne zum alleinigen Gestaltungsprinzip erklärt.“ <ref>{{Quellen-Lexika|Lemma=|Autor*in= Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard |Herausgeber*in=Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard |Nachschlagewerk=Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen |Ort= Stuttgart, Weimar |Verlag=J. B. Metzler |Jahr=2007 |Seite=420 }}</ref>
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Betrachtet man die Klimaliteratur mit Blick auf das Gegensatzpaar ‚ästhetisch‘ und ‚politisch‘ gilt es zu überlegen, ob die literarischen Werke der Klimaliteratur immer einen politischen Anspruch haben, oder ob sich auch Werke finden lassen, welche rein ästhetisch einzuordnen sind.
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==Detailierte Analyse des Gegensatzpaares anhand ausgewählter Beispiele aus der Klimaliteratur==
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Kunst, im Allgemeinen, hat grundsätzlich immer eine ästhetische Funktion. Die Ästhetik beschreibt in diesem Sinn die Wahrnehmung eines künstlerischen Objekts auf den Betrachter: wie nimmt der Betrachter das Objekt war? Was löst es in dem Betrachter aus? Dabei zu beachten gilt es, dass Kunst von verschiedenen Menschen auf ganz unterschiedliche Weise wahrgenommen werden kann. Zurückzuführen ist dies auf die unterschiedlichen Einflüsse, unter denen Menschen aufgewachsen sind, und die daraus resultierenden unterschiedlichen Geschmäcke, Präferenzen und Abneigungen. Man kann also nicht davon ausgehen, dass ein Kunstwerk die gleiche Reaktion von zwei Personen erhält.
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Für Kunstwerke, die einen rein ästhetischen Anspruch haben, also dem Prinzip der ‚l’art pour l’art‘ entsprechen, stellt dies keine Hürde dar. Besteht das Ziel lediglich darin, in einer undefinierten Form auf den Rezipienten zu wirken, so erfüllt sich das Ziel automatisch durch das Betrachten des Werkes. Im Fall der Literatur erfüllt sich also das Ziel, auf den Leser zu wirken, automatisch dadurch, dass das Werk gelesen wird.
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Hat das Kunstwerk hingegen einen politischen Anspruch und gehört somit zur engagierten Literatur, so geht das Ziel über das Einwirken hinaus. Der künstlerische Beitrag muss nun auf der Wirkungsebene einen solchen Eindruck hinterlassen, dass der Betrachter ausreichend emotional motiviert wird, um aktiv zu handeln: „[...] der Klimawandelroman [...] kann durch seine inhaltliche wie formale Gestaltung das Lesepublikum nicht nur intellektuell, sondern auch emotional-affektiv erreichen.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Mayer, Sylvia |Titel=Klimawandelroman |Herausgeber*in=Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte |Sammelband=Ecocriticism - eine Einführung |Ort=Köln |Verlag=Böhlau Verlag |Jahr=2015 |Seite=234 }}</ref>
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Ein immer wieder in der Klimaliteratur anzutreffendes Thema sind Dystopien. Ein bekanntes Beispiel dafür ist „Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele“ von Suzanne Collins. In ihrem Roman beschreibt Collins eine düstere Zukunft, in der sich Nordamerika aufgrund von unzähligen Klimakatastrophen und Kriegen zu einem Land der Diktatur gewandelt hat. Zu Beginn der Geschichte wird klar betont, dass Naturkatastrophen und deren Auswirkungen zum Untergang Nordamerikas geführt haben, wie es heutzutage bekannt ist, der Schwerpunkt des Romans hingegen liegt bei der Diktatur, welche dort nun herrscht, und den Folgen dieser Regierungsform für die Unterworfenen. Der Fokus wendet sich somit vom Thema Klimawandel und dessen Folgen ab und verfolgt stattdessen über die Trilogie den Kampf der Unterworfenen gegen das Regime, welches sie unterdrückt. Zwar sendet dieser Handlungsverlauf auch eine politische Nachricht, thematisch lässt sich diese aber getrennt zum Thema Klimawandel einordnen. Im Bereich der Klimaliteratur ist Collins Roman demnach mehr als ästhetisch statt politisch zu kategorisieren.
  
Die beschriebenen Katastrophen sind auch uns als Leser nicht unbekannt. Allein in den letzten zwanzig Jahren hat die Anzahl an Umweltkatastrophen beachtlich zugenommen. Zwischen 1980 und 1999 kam es weltweit zu 1.389 aufgezeichneten Überschwemmungen. Die Anzahl der zwischen 2000 und 2019 aufgezeichneten Überschwemmungen weltweit ist fast zweieinhalb mal so hoch und liegt bei 3.254 <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=CRED; UNDRR |Titel=Anzahl an Naturkatastrophen weltweit in den Zeiträumen 1980 bis 1999 und 2000 bis 2019 |Jahr=2020 |Website=Statista |Online=https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1222072/umfrage/anzahl-naturkatastrophen/ |Abruf=08.01.2022 }}</ref>. Während bei Überschwemmungen der höchste Anstieg zu in diesem Zeitfenster zu beobachten ist, ist Hochwasser nicht die einzige Naturkatastrophe, welche in ihrer Häufigkeit zugenommen hat. Das gleiche lässt sich bei anderen Ereignissen wie z.B. bei Stürmen nachweisen, welche einen Anstieg von 1.457 auf 2.043 verzeichneten, und für extreme Temperaturen, welche statt 130-mal 432-mal nachgewiesen werden konnten.
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Ein weiteres Beispiel für ästhetische Klimaliteratur lässt sich in der Lyrik von Marion Poschmann finden. In ihrem Werk „Nimbus“ behandelt die Autorin den Klimawandel in Form von Gedichten. Die Dichtungen Poschmanns verweisen unter anderem auf das Eisschmelzen: <blockquote>„Noch gestern hielt ich mich in tiefverschneiten/ Bergen auf. Jetzt sind sie eingeebnet,/ aufgelöst, ganz schlicht, so wie man einen/ Kühlschrank abtaut. Ich sah Wasser rinnen,/ sah das Eis in Brocken von den Wänden/ brechen, alles fiel zu Tal und wurde/ flüssig, wurde Tal und wurde nichts.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Poschmann, Marion |Titel=Nimbus |Ort=Berlin |Verlag=Suhrkamp Verlag |Jahr=2020 |Seite=}}</ref></blockquote>Die Autorin reagiert auf die zu beobachtenden Folgen des Klimawandels mit einer lyrischen Beschreibung, die eben nur das ist: eine Beschreibung ohne Handlungsaufforderung.
Naturkatastrophen sind durch ihre immer häufigeren Auftritte also längst nicht mehr eine Seltenheit, sondern Begebenheiten, die jedermann bekannt sind. Als solches gesehen lassen sie sich in der Klimawandelliteratur als Fakten auslegen, die von Autoren und Autorinnen genutzt werden, um für die erdachten Dystopien eine fundierte Grundlage zu schaffen, die dem Leser einleuchtet und für ihn nachvollziehbar ist: „‘Klimawandelliteratur‘ […] nutzt das Experimentierfeld der Fiktion, um sich mit der konkreten Erfahrung des anthropogenen Klimawandels, seinen Ursachen und seinen bereits realen wie in der Zukunft möglichen Auswirkungen auseinanderzusetzen.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Mayer, Sylvia |Titel=Klimawandelroman |Herausgeber*in=Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte |Sammelband=Ecocriticism - eine Einführung |Ort=Köln |Verlag=Böhlau Verlag |Jahr=2015 |Seite=234 }}</ref> Basierend auf bekannten Elementen – in diesem Fall Wetter-, Klima- und letztendlich Weltveränderungen – sind die fiktional weitergeführten Welten für den Leser als nachempfindbarer gestaltet und erlauben dem Leser dadurch ein tieferes Eintauchen in die neuen literarischen Welten.
 
  
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Etwas anders sieht es in „Eistau“ von Ilija Trojanow aus. Wie auch Poschmann wird hier das Eisschmelzen beschrieben, jedoch auf andere Art und Weise. Der Roman handelt von Zeno Hintermeier, einem ehemaligen Wissenschaftler, der nun auf Kreuzfahrtschiffen durch die Arktis den Passagieren Informationen über das Eissterben in Form von Vorträgen und individuellen Erklärungsgesprächen näherbringt. Im Verlauf des Romans wird Zenos Leiden immer klarer. Sein Gebiet der Expertise, das Schmelzen der Gletscher überall auf der Welt, geht ihm so nah wie das Sterben einer geliebten Person: „[…] was mich lähmt, scheint sie mit Leben zu erfüllen.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=?|Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=10  }}</ref> Zeno beschreibt in diesem Moment den gravierenden Unterschied zwischen ihm selbst und den Passagieren an Bord. Während ihn das Abtauen der Eismassen in Verzweiflung stürzt, erfreuen sich die Urlauber an Bord an den Gletschern, die während der Kreuzfahrt zu beobachten sind. Es finden sich viele derartige Formulierungen in Trojanows Roman, die über Zenos Gemütszustand keinen Zweifel lassen. Für den ehemaligen Wissenschaftler mündet das Wissen über das Tauen der Gletscher in einer Depression, aus der er kaum herauszufinden vermag. Auch sein Handeln, den Passagieren die Bedeutungen des Eisschmelzens näherzubringen, erscheint ihm irgendwann wie eine Farce. Am deutlichsten wird dies in einem Gespräch zwischen Zeno und einem Wirt aus Ushuaia, einem Ort, den das Kreuzfahrtschiff öfters besucht: <blockquote>„Ich habe dich beobachtet. Du bist nur Gerede. Deine Empörung ist ein Furz. Du läßt Luft ab, du stänkerst herum, ansonsten bist du wie alle anderen, nein, schlimmer noch, du weißt Bescheid, und du läßt dir dein Wissen versilbern.“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=?|Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=17  }}</ref></blockquote> Die Worte sind an Zeno selbst gerichtet, der dafür bekannt ist, sich selbst in Rage zu reden, wenn er über das Schmelzen der Eismassen redet. Zeno verteidigt sich nicht gegen den Vorwurf. Aus den Worten des Wirtes ist eine klare Anklage Zenos zu entnehmen, der in den Augen des Wirtes noch schlimmer als die Passagiere des Kreuzfahrtschiffes ist, da er über das Ausmaß an Naturverwüstung Bescheid weiß und doch nichts Konkretes dagegen unternimmt. Der Vorwurf an Zeno kann auch als ein Vorwurf an die Menschheit im Allgemeinen verstanden werden. Die Konsequenzen des Klimawandels sind bereits bekannt, jedoch ist die vorherrschende Meinung, dass viel zu wenig unternommen wird, um das Klima zu schützen. Der Vorwurf enthält also eine politische Nachricht, die auch kurz darauf noch einmal ganz klar formuliert wird: „Etwas muß geschehen. Es ist höchste Zeit.“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Trojanow, Ilja |Titel=Eistau |Ort=?|Verlag=FISCHER Taschenbuch |Jahr=2019 |Seite=18  }}</ref>
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==Fazit==
 
==Fazit==
Zusammengefasst können innerhalb der Klimawandelliteratur, auch Climate Fiction genannt, die Begriffe Fakt und Fiktion insofern ausgelegt werden, dass, dem Leser bekannte, real existierende oder geschehene Begebenheiten (Fakten) genutzt werden, um eine Grundlage zu schaffen, auf der aufbauend im weiteren Verlauf fiktiv weitergesponnen werden kann. Der Begriff ‚Fakt‘ im Kontext der Belletristik erfährt also eine Legitimierung dadurch, dass die beschriebenen Figuren, Orte oder Ereignisse eine direkte Entsprechung in der Realität besitzen. Obwohl also Fakt und Fiktion grundsätzlich als Gegensatz zu verstehen sind, sind die Begriffe in der Klimawandelliteratur nicht einfach voneinander getrennt anzusehen, sondern als Gemisch anzusehen, bei dem die Begriffe voneinander abhängig sind und aufeinander aufbauen.
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Die verschiedenen Beispiele zeigen, dass sowohl in der ästhetischen Klimaliteratur als auch in der politischen Klimaliteratur grundsätzlich von AutorInnen so gehandelt wird, dass die LeserInnen auf unbestimmte, für jeden Leser und Leserin unterschiedliche Art und Weise, erreicht werden. Ist das Ziel des Werkes, eine politische Aussage zu vermitteln, so sind die Werke trotzdem von ihrer emotionalen Tragweite abhängig: „Durch die mögliche Imagination in der Literatur kann ein Mehrwert geschaffen werden, der durch ästhetische Sensibilisierung ein tiefergehendes ökologisches Verständnis hervorrufen kann und somit gegebenenfalls ein aktives Handeln bewirkt.“ <ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Mayer, Sylvia |Titel=Klimawandelroman |Herausgeber*in=Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte |Sammelband=Ecocriticism - eine Einführung |Ort=Köln |Verlag=Böhlau Verlag |Jahr=2015 |Seite=259 }}</ref> Beachtet man dabei, dass die Form und das Ausmaß, in der ein Werk auf jemanden wirken kann äußerst subjektiv ist, kann argumentiert werden, dass auch die Einordnung eines literarischen Werkes zu ästhetisch oder politisch subjektiv ist und somit sehr unterschiedlich ausfallen kann.
  
 
== Belege ==
 
== Belege ==
 
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Version vom 29. Januar 2022, 13:16 Uhr

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Dieser Beitrag ist kein inhaltlicher Bestandteil des Living Handbooks, sondern die persönliche Werkstatt-Seite von Nutzer*in Lara Neugebauer. Bitte nehmen Sie keine Änderungen an dieser Seite vor, ohne dies zuvor mit Lara Neugebauer abgesprochen zu haben.


Definition der Begriffe

Politisch

Das Wort ‚politisch‘ ist grundsätzlich als Adjektiv zu verstehen, welches etwas beschreibt, dass die Politik betrifft [1]. Weiterhin kann es als „auf ein Ziel gerichtet, klug und berechnend“[2] verstanden werden. Seine Herkunft findet das Wort im Griechischen. „politikós“ steht dabei in Bezug auf die Staatsverwaltung oder für die Bürgerschaft [3].

Ästhetisch

Das Wort ‚ästhetisch‘ bildet das Adjektiv zum Substantiv ‚Ästhetisch‘ und ist dadurch in erster Linie als „den Gesetzen der Ästhetik entsprechend“ [4] zu verstehen. Gleichzeitig bedeutet dies eine Auslegung des Begriffs als „stilvoll, schön, geschmackvoll, ansprechend“ [5].

Ausführliche Informationen zu den Begriffen

Auf den ersten Blick sind die Begriffe ‚politisch‘ und ‚ästhetisch‘ im Kontext der Literatur, spezifisch der Klimaliteratur, nicht einfach einzuordnen. Bei genauerer Betrachtung ist eine Auslegung möglich, bei der ‚politisch‘ mit der ‚littérature engagée‘ gleichgesetzt wird, ‚ästhetisch‘ hingegen das Prinzip von ‚l’art pour l’art‘ repräsentiert. Der Begriff ‚littérature engagée‘ kommt aus dem Französischen und beschreibt die engagierte Literatur. Als engagierte Literatur lassen sich (vorrangig) belletristische Werke bezeichnen, welche den Anspruch haben, dem Leser ein spezifisches Interesse nahe zu legen. Engagierte Literatur kann also als eine Form der Literatur verstanden [6]. Die engagierte Literatur verfolgt somit immer ein Ziel. Das literarische Werk soll beim Leser ein Nachdenken über das Geschriebene auslösen, sodass seine eigenen Überzeugungen reflektiert werden und schlussendlich eine Handlungsmotivation entsteht. Bezogen auf die Klimaliteratur ist das Ziel der engagierten Literatur verschieden auszulegen. Es sollen dem Leser die Gründe und Auswirkungen des Klimawandels näher gebracht werden, aber auch dazu anleiten, selbst in Aktion zu treten und das eigene Leben klimafreundlicher zu gestalten, also ein nachhaltigeres Denken anregen. Im Besten Falle ist die Überzeugung des Werkes so mächtig, dass der Leser sich aktiv für den Klimaschutz einsetzt.

Der Begriff ‚l’art pour l’art‘ stammt ebenfalls aus dem Französischen und bedeutet wortwörtlich übersetzt „die Kunst für die Kunst“. Sinngemäß ist dies als „die Kunst um der Kunst willen“ zu verstehen und bildet damit den Gegensatz zur engagierten Literatur, welche immer einen Zweck neben der künstlerischen Aussage selbst verfolgt. Die Kunst um der Kunst willen hingegen steht dafür ein, dass die Kunst selbst Aussage genug ist und verfolgt kein weiteres Motiv: „L’art pour l’art, […] Formel, die […] die Autonomie der Kunst gegen jegliche außerästhetischen (z. B. moralischen, religiösen oder politischen) Zwecke propagiert und das Schöne zum alleinigen Gestaltungsprinzip erklärt.“ [7] Betrachtet man die Klimaliteratur mit Blick auf das Gegensatzpaar ‚ästhetisch‘ und ‚politisch‘ gilt es zu überlegen, ob die literarischen Werke der Klimaliteratur immer einen politischen Anspruch haben, oder ob sich auch Werke finden lassen, welche rein ästhetisch einzuordnen sind.

Detailierte Analyse des Gegensatzpaares anhand ausgewählter Beispiele aus der Klimaliteratur

Kunst, im Allgemeinen, hat grundsätzlich immer eine ästhetische Funktion. Die Ästhetik beschreibt in diesem Sinn die Wahrnehmung eines künstlerischen Objekts auf den Betrachter: wie nimmt der Betrachter das Objekt war? Was löst es in dem Betrachter aus? Dabei zu beachten gilt es, dass Kunst von verschiedenen Menschen auf ganz unterschiedliche Weise wahrgenommen werden kann. Zurückzuführen ist dies auf die unterschiedlichen Einflüsse, unter denen Menschen aufgewachsen sind, und die daraus resultierenden unterschiedlichen Geschmäcke, Präferenzen und Abneigungen. Man kann also nicht davon ausgehen, dass ein Kunstwerk die gleiche Reaktion von zwei Personen erhält. Für Kunstwerke, die einen rein ästhetischen Anspruch haben, also dem Prinzip der ‚l’art pour l’art‘ entsprechen, stellt dies keine Hürde dar. Besteht das Ziel lediglich darin, in einer undefinierten Form auf den Rezipienten zu wirken, so erfüllt sich das Ziel automatisch durch das Betrachten des Werkes. Im Fall der Literatur erfüllt sich also das Ziel, auf den Leser zu wirken, automatisch dadurch, dass das Werk gelesen wird.

Hat das Kunstwerk hingegen einen politischen Anspruch und gehört somit zur engagierten Literatur, so geht das Ziel über das Einwirken hinaus. Der künstlerische Beitrag muss nun auf der Wirkungsebene einen solchen Eindruck hinterlassen, dass der Betrachter ausreichend emotional motiviert wird, um aktiv zu handeln: „[...] der Klimawandelroman [...] kann durch seine inhaltliche wie formale Gestaltung das Lesepublikum nicht nur intellektuell, sondern auch emotional-affektiv erreichen.” [8] Ein immer wieder in der Klimaliteratur anzutreffendes Thema sind Dystopien. Ein bekanntes Beispiel dafür ist „Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele“ von Suzanne Collins. In ihrem Roman beschreibt Collins eine düstere Zukunft, in der sich Nordamerika aufgrund von unzähligen Klimakatastrophen und Kriegen zu einem Land der Diktatur gewandelt hat. Zu Beginn der Geschichte wird klar betont, dass Naturkatastrophen und deren Auswirkungen zum Untergang Nordamerikas geführt haben, wie es heutzutage bekannt ist, der Schwerpunkt des Romans hingegen liegt bei der Diktatur, welche dort nun herrscht, und den Folgen dieser Regierungsform für die Unterworfenen. Der Fokus wendet sich somit vom Thema Klimawandel und dessen Folgen ab und verfolgt stattdessen über die Trilogie den Kampf der Unterworfenen gegen das Regime, welches sie unterdrückt. Zwar sendet dieser Handlungsverlauf auch eine politische Nachricht, thematisch lässt sich diese aber getrennt zum Thema Klimawandel einordnen. Im Bereich der Klimaliteratur ist Collins Roman demnach mehr als ästhetisch statt politisch zu kategorisieren.

Ein weiteres Beispiel für ästhetische Klimaliteratur lässt sich in der Lyrik von Marion Poschmann finden. In ihrem Werk „Nimbus“ behandelt die Autorin den Klimawandel in Form von Gedichten. Die Dichtungen Poschmanns verweisen unter anderem auf das Eisschmelzen:

„Noch gestern hielt ich mich in tiefverschneiten/ Bergen auf. Jetzt sind sie eingeebnet,/ aufgelöst, ganz schlicht, so wie man einen/ Kühlschrank abtaut. Ich sah Wasser rinnen,/ sah das Eis in Brocken von den Wänden/ brechen, alles fiel zu Tal und wurde/ flüssig, wurde Tal und wurde nichts.“[9]

Die Autorin reagiert auf die zu beobachtenden Folgen des Klimawandels mit einer lyrischen Beschreibung, die eben nur das ist: eine Beschreibung ohne Handlungsaufforderung. Etwas anders sieht es in „Eistau“ von Ilija Trojanow aus. Wie auch Poschmann wird hier das Eisschmelzen beschrieben, jedoch auf andere Art und Weise. Der Roman handelt von Zeno Hintermeier, einem ehemaligen Wissenschaftler, der nun auf Kreuzfahrtschiffen durch die Arktis den Passagieren Informationen über das Eissterben in Form von Vorträgen und individuellen Erklärungsgesprächen näherbringt. Im Verlauf des Romans wird Zenos Leiden immer klarer. Sein Gebiet der Expertise, das Schmelzen der Gletscher überall auf der Welt, geht ihm so nah wie das Sterben einer geliebten Person: „[…] was mich lähmt, scheint sie mit Leben zu erfüllen.“[10] Zeno beschreibt in diesem Moment den gravierenden Unterschied zwischen ihm selbst und den Passagieren an Bord. Während ihn das Abtauen der Eismassen in Verzweiflung stürzt, erfreuen sich die Urlauber an Bord an den Gletschern, die während der Kreuzfahrt zu beobachten sind. Es finden sich viele derartige Formulierungen in Trojanows Roman, die über Zenos Gemütszustand keinen Zweifel lassen. Für den ehemaligen Wissenschaftler mündet das Wissen über das Tauen der Gletscher in einer Depression, aus der er kaum herauszufinden vermag. Auch sein Handeln, den Passagieren die Bedeutungen des Eisschmelzens näherzubringen, erscheint ihm irgendwann wie eine Farce. Am deutlichsten wird dies in einem Gespräch zwischen Zeno und einem Wirt aus Ushuaia, einem Ort, den das Kreuzfahrtschiff öfters besucht:

„Ich habe dich beobachtet. Du bist nur Gerede. Deine Empörung ist ein Furz. Du läßt Luft ab, du stänkerst herum, ansonsten bist du wie alle anderen, nein, schlimmer noch, du weißt Bescheid, und du läßt dir dein Wissen versilbern.“ [11]

Die Worte sind an Zeno selbst gerichtet, der dafür bekannt ist, sich selbst in Rage zu reden, wenn er über das Schmelzen der Eismassen redet. Zeno verteidigt sich nicht gegen den Vorwurf. Aus den Worten des Wirtes ist eine klare Anklage Zenos zu entnehmen, der in den Augen des Wirtes noch schlimmer als die Passagiere des Kreuzfahrtschiffes ist, da er über das Ausmaß an Naturverwüstung Bescheid weiß und doch nichts Konkretes dagegen unternimmt. Der Vorwurf an Zeno kann auch als ein Vorwurf an die Menschheit im Allgemeinen verstanden werden. Die Konsequenzen des Klimawandels sind bereits bekannt, jedoch ist die vorherrschende Meinung, dass viel zu wenig unternommen wird, um das Klima zu schützen. Der Vorwurf enthält also eine politische Nachricht, die auch kurz darauf noch einmal ganz klar formuliert wird: „Etwas muß geschehen. Es ist höchste Zeit.“ [12]

Fazit

Die verschiedenen Beispiele zeigen, dass sowohl in der ästhetischen Klimaliteratur als auch in der politischen Klimaliteratur grundsätzlich von AutorInnen so gehandelt wird, dass die LeserInnen auf unbestimmte, für jeden Leser und Leserin unterschiedliche Art und Weise, erreicht werden. Ist das Ziel des Werkes, eine politische Aussage zu vermitteln, so sind die Werke trotzdem von ihrer emotionalen Tragweite abhängig: „Durch die mögliche Imagination in der Literatur kann ein Mehrwert geschaffen werden, der durch ästhetische Sensibilisierung ein tiefergehendes ökologisches Verständnis hervorrufen kann und somit gegebenenfalls ein aktives Handeln bewirkt.“ [13] Beachtet man dabei, dass die Form und das Ausmaß, in der ein Werk auf jemanden wirken kann äußerst subjektiv ist, kann argumentiert werden, dass auch die Einordnung eines literarischen Werkes zu ästhetisch oder politisch subjektiv ist und somit sehr unterschiedlich ausfallen kann.

Belege

  1. Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): politisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
  2. Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): politisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
  3. Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): politisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
  4. Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): ästhetisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
  5. Duden/Dudenredaktion (o. J.) (2022): ästhetisch. In: Duden. Online, zuletzt abgerufen am 03.01.2022.
  6. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 190.
  7. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler (2007), S. 420.
  8. Mayer, Sylvia (2015): Klimawandelroman. In: Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte (Hrsg.): Ecocriticism - eine Einführung, Köln: Böhlau Verlag, S. 234.
  9. Poschmann, Marion (2020): Nimbus. Berlin: Suhrkamp Verlag, S. 9.
  10. Trojanow, Ilja (2019): Eistau. ?: FISCHER Taschenbuch, S. 10.
  11. Trojanow, Ilja (2019): Eistau. ?: FISCHER Taschenbuch, S. 17.
  12. Trojanow, Ilja (2019): Eistau. ?: FISCHER Taschenbuch, S. 18.
  13. Mayer, Sylvia (2015): Klimawandelroman. In: Dürbeck, Gabriele; Stobbe, Urte (Hrsg.): Ecocriticism - eine Einführung, Köln: Böhlau Verlag, S. 259.